Es gibt Petitionen, aber die Netzwerke fehlen
Diese Kolumne ist diesmal als Video u.a. bei Instagram erschienen. Der nachstehende Text ist eine Abschrift des Gesagten.
Liebe Verena Pausder,
liebe alle, die die Elterngeld-Petition unterschrieben haben,
ich unterstütze euch, habe die Petition ebenfalls unterschrieben und geteilt, aber
1. gefällt mir nicht, welche Formen die Argumentation teilweise annimmt, weil sie spaltend ist und
2. wünsche ich mir, dass ihr, die Eltern und werdenden Eltern mit mehr Geld, genauso solidarisch mit armutbetroffenen Familien, insbesondere Alleinerziehenden seid wie diese Familien es gerade mit euch sind.
Was ich genau meine:
Ja, vor allem Mütter werden durch die Senkung der Einkommensgrenze auf 150.000 Euro für den Elterngeldbezug abhängig von ihren Partnern gemacht – und das in einer sehr sensiblen Phase ihres Lebens. Und das darf nicht sein, das ist ein legitimes Argument dagegen.
Aber wenn ich Argumente lese wie „Wir arbeiten besonders hart und zahlen reichlich Steuern“, dann muss ich tief durchatmen, um weiterhin solidarisch mit euch zu bleiben. Warum?
Weil meine alleinerziehende Mutter, die in Vollzeit und Schichtdienst als Busfahrerin ganz Berlin kutschiert hat, hart gearbeitet hat. Weil Eltern, die in der Pflege arbeiten hart arbeiten. Weil Haushaltshilfen hart arbeiten. Und es ist egal, ob sie sich ins Burnout arbeiten oder ihre Rücken kaputt – sie werden niemals auf ein Jahreseinkommen von 75.000 Euro kommen.
Ich will nicht sagen, dass eure Arbeit leicht ist. Ich will hier kein Gegeneinander aufmachen, denn 24 Stunden vor dem Laptop zu sitzen, um die Deadline nicht zu reißen ist auch hart, das kenne ich selbst. Aber viele von euch verdienen in der Privatwirtschaft 5000 Euro für eine 45-Minütige Keynote oder 8000 Euro für einen 3-Stündigen Workshop. Das sind unfassbare Summen für … zum Beispiel die Erzieher*innen, zu denen ihr eure Kinder schickt – und leisten die Erzieher*innen weniger?
Was ich sagen will: Ihr verdient nicht nur deswegen so viel Geld, weil ihr hart arbeitet – das tun andere auch. Ihr werdet für eure Arbeit nur ziemlich gut bezahlt. Weil ihr dort arbeitet, wo das Geld fließt.
Und wer dort arbeitet, wo das Geld fließt, ist extrem gut vernetzt. Das sieht man auch am Erfolg eurer Petition. Ihr habt die Follower, die Beziehungen zu reichweitenstarken und namhaften Leuten und Medien. Entsprechend bekommt euer Anliegen Aufmerksamkeit.
Und das freut mich auch wirklich sehr, weil keine Mutter in Abhängigkeit leben sollte.
Aber die Erfahrung, die ihr jetzt gerade macht, machen Eltern mit wenig Geld schon sehr, sehr lange. Insbesondere Alleinerziehende.
Wusstet ihr, dass seit Jahrzehnten jedes 5. Kind in Deutschland von Armut betroffen ist? Es sind oft die Kinder von Alleinerziehenden. Und: die meisten Alleinerziehenden sind Frauen. Und auch sie arbeiten hart: alleinerziehende Mütter sogar durchschnittlich vier Wochenstunden mehr als Mütter in Paarbeziehungen.
Aber sie sind eben Alleinverdiener*innen, die Preise steigen, der Niedriglohnsektor ist weiblich, der Gender-Pay-Gap real, Führungspositionen werden nur an vollzeitarbeitende Männer vergeben und die Kinderbetreuung in Deutschland lässt 380.000 fehlende Kita-Plätze zu wünschen übrig.
Darum will Familienministerin Lisa Paus 12 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung ausgeben, weil so die strukturell bedingte Kinderarmut akut aufgefangen werden kann. Aber ihr Haushalt bekommt gerade einmal 13,5 Milliarden Euro zugesprochen. Und Christian Lindner sagt, 2 Milliarden müssen für die Kindergrundsicherung reichen.
Generell wird bei Menschen mit wenig Geld gerade gekürzt bis auch das letzte Hemd weg ist: In Berlin Neukölln zum Beispiel soll das Geld für Reparaturen an Spielplätzen wegfallen, die Obdachlosenhilfe und tägliche Reinigung an Schulen auch.
Aber wie sollen Betroffene laut werden? Es gibt Petitionen, aber die Netzwerke und reichweitenstarken und namhaften Unterstützer*innen fehlen. Und somit auch der Einfluss.
Ich will kein Entweder-Oder. Ich will dich, Verena Pausder und alle, die die Elterngeld-Petition unterschrieben haben nur darum bitten, euch auch mit Eltern zu solidarisieren, die wenig Geld haben. Es braucht mehr Geld für das Familienministerium, um Kinderarmut und patriarchale Abhängigkeiten zu bekämpfen, das sollten wir gemeinsam fordern.
Von Anne Dittmann