Interview mit Anne Dittmann

Tadaaaa, das Buch unserer Kolumnistin Anne Dittmann ist da! Wir freuen uns sehr. Und wer unseren Instagram-Kanal verfolgt, hat sicher schon gesehen, dass Anne und ich, Sara, die Gründerin von SOLOMÜTTER, das Buch an 80 Menschen aus Wirtschaft, Politik und Unterhaltung geschickt haben, weil ich nach dem Lesen eines Vorabexemplars überzeugt war, dass jede und jeder, die oder der in diesem Land Entscheidungen für Familien trifft, wissen sollte, was in „solo, selbst & ständig – Was Alleinerziehende wirklich brauchen“ steht.
 
Jetzt möchte ich aber noch mal von Anne wissen, wer ihrer Meinung nach das Buch lesen sollte?
 
Ich habe mir beim Schreiben eine kleine Gruppe von Menschen vorgestellt: Allen voran Eltern, die kurz vor einer Trennung stehen oder schon getrennt sind und die einerseits Orientierung, konkrete Tipps und Beratung suchen, aber andererseits auch die Gewissheit brauchen, dass sie mit ihrer Lage, ihren Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen nicht allein sind.
 
Außerdem habe ich solo, selbst & ständig auch mit dem Wissen geschrieben, dass Alleinerziehende mit ihren Geschichten und all den Ungerechtigkeiten, die sie täglich erleben, nicht unter sich bleiben wollen. Sie wollen sie Politiker*innen und anderen Entscheidungsträger*innen geballt vor die Füße werfen und nicht länger ignoriert werden. Aber das Problem ist eben auch: Alleinerziehende haben kaum Zeit und Kraft übrig, um sich zu organisieren und laut zu werden. Wir sind eine sehr stille Gesellschaftsgruppe – darum habe ich dieses Buch geschrieben. Es ist unser gemeinsamer Aufschrei.
 
 
Aber braucht es dein Buch denn überhaupt? Die Scheidungsraten sinken ja seit einiger Zeit…
 
Unbedingt! Es wird nämlich in Zukunft immer mehr Alleinerziehende geben. Das verwundert, oder? Wenn doch gleichzeitig die Scheidungsraten sinken! Aber das liegt daran, dass immer weniger Menschen heiraten; während vor gut sechzig Jahren noch über 600.000 Paare geheiratet haben, tun es heute nur noch die Hälfte. Wer außerhalb einer Ehe eine Familie gründet und sich dann trennt, taucht nicht in der Scheidungsstatistik auf. Und Wissenschaftler*innen wie die promovierte Biologin Meike Stoverock glauben schon erste Anzeichen dafür zu sehen, dass die Alleinerziehende mit drei Kindern von drei verschiedenen Vätern in Zukunft völlig normal sein wird – mit der wachsenden Gleichberechtigung bzw. Unabhängigkeit der Frau geht das Konzept der lebenslangen monogamen Partner*innenschaft, die im Patriarchat durch die Ehe institutionalisiert wurde, stetig zurück. Das heißt für uns: Alleinerziehende werden in Zukunft immer mehr gesellschaftlichen Raum einnehmen und wir werden noch viel darüber sprechen müssen, wie getrennte Eltern ihre Kinder gut versorgen können und unsere Arbeitskultur an ihre Bedürfnisse angepasst werden kann.
 
Und mal ganz allgemein gefragt: Sind denn Trennungen heutzutage überhaupt noch ein Problem?
 
Forschungen zeigen längst, dass elterliche Trennungen an sich kein nachhaltiges Problem sind – weder für die Eltern, die über ihren Liebeskummer hinwegkommen können, noch für die Kinder. Studien zeigen, dass gut begleitete Trennungen Kinder sogar resilienter machen und dass sie ihre sozialen Fähigkeit durch die Trennung als Herausforderung sogar ausbauen! Trennungen wurden strukturell und politisch zu einem nachhaltigen Problem gemacht, das ist ein wichtiger Unterschied!
 
Was kann denn, deiner Meinung nach, tatsächlich zu einem Problem in Trennungssituationen werden?
 
Unsere Gesellschaft ist immer noch auf der traditionellen Normfamilie aufgebaut. Das merken Eltern direkt nach der Trennung am stärksten: Plötzlich sollen vom gleichen Haushaltseinkommen zwei Wohnungen bezahlt werden, womöglich doppelt Kinderzimmer, Möbel, Kleidung. Wenn Väter Unterhalt zahlen, können sie ihre Kinder oft nur als Gäste auf der Klappcouch im Wohnzimmer zu sich einladen – das geht auch zulasten der getrennten Familiendynamik. Die Verknappung der Ressourcen nach einer Trennung schürt Konflikte, dazu ist Armut für viele Alleinerziehende ein Thema. All das ist politisch.
 
Warum können viele Mütter sich und ihre Kinder finanziell denn nicht selbst auffangen nach einer Trennung?
 
Weil eine Familie mit verheirateten Eltern zuvor jahrelang steuerlich davon profitiert hat, dass ein Elternteil möglichst wenig verdient und der andere möglichst viel – dafür sorgt das Ehegattensplitting. Mir haben schon einige Mütter geschrieben, dass sie sich gerne trennen würden, aber es wegen Geldmangels nicht können. Das ist finanzielle Gewalt, die hier in Deutschland ganz im Stillen Frauen an Männer kettet. Und dann gibt es noch psychische und körperliche Gewalt. Wir dürfen nicht vergessen: Immer noch wird an jedem dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet.
 
Wie kann eine von Gewalt betroffene Mutter sich und ihre Kinder schützen?
 
Das word Betroffenen sehr schwer gemacht: Eine aktuelle Bestandsaufnahme des Soziologen Dr. Wolfgang Hammer zeigt, dass Müttern und Kindern von Polizei, Jugendämtern und an Familiengerichten viel zu wenig geholfen wird – und dass Behörden sexistisch handeln. Müttern wird nicht geglaubt, dass sie Gewalt erfahren haben, am Ende sind sie in Gerichtsverfahren die manipulativen Lügnerinnen – weshalb Anwält*innen bereits dazu abraten, die häusliche Gewalt überhaupt vor Gericht zu erwähnen. In den Fällen, die Hammer und sein Team untersucht haben, mussten die Kinder beim Vater bleiben. Und das auch dann, wenn sie selbst ausgesagt haben, dass sie lieber bei der Mutter wohnen wollten – die Situation ist prekär!
 
Wer kann sich denn eine Trennung besser leisten? Männer oder Frauen?
 
Wenn ein Kind in einer hetero Familie zur Welt kommt, verdienen Mütter danach weniger Geld, Väter mehr. Die Motherhood Lifetime Penalty zeigt, wie stark Mütter finanziell benachteiligt werden: Laut Bertelsmann-Stiftung haben Väter mit drei Kindern bezogen auf ihre gesamtes Erwerbsleben ein durchschnittliches Gesamteinkommen von 1,5 Millionen Euro. Mütter mit drei Kindern kommen auf 450.000 Euro. Kurz gesagt: Väter können sich strukturell die Trennung eher leisten als Mütter. 
 
 
 
Wie sieht das typische Mutterleben und das typische Väterleben nach einer Trennung aus?
 
Die allermeisten Eltern entscheiden sich nach der Trennung für das Residenzmodell – meist wohnen die Kinder bei der Mutter und besuchen den Vater am Wochenende. Nicht selten verlieren Väter den Kontakt zu ihren Kindern. Manchmal passiert ihnen die gleiche Geschichte sogar mehrmals. Tatsachen, die immer mehr erforscht werden, und wir verstehen allmählich die strukturellen Hintergründe, die dafür sorgen, dass viele Trennungen sehr ähnlich verlaufen – mehr dazu steht in meinem Buch. Mütter, die sich um Kinder, Haushalt und Lohnarbeit gleichzeitig kümmern müssen, sind von morgens bis abends beschäftigt, häufig sozial isoliert, haben ein höheres Risiko für Burnout und Depressionen. Viele landen innerhalb weniger Jahre wieder in einer Partner*innenschaft und scheren so wieder ein in das Konzept der Normfamilie. Manche bleiben lange Single. Aber auch bei letzteren werden über die Jahre die Kinder größer und die Alleinerziehenden sind stolz auf das, was sie geleistet haben – sie sind sich ihren Fähigkeiten, auch außerhalb der Mutterschaft, sehr bewusst und fallen nicht in ein Loch, wenn die Kinder ausziehen.
 
Kannst du unseren Leser*innen bitte einmal die Wahrscheinlichkeit von Trennungen in Korrelation zu Flugzeugabstürzen erzählen? Ich liebe diesen Fakt und sage nur: Verliebte, der Ernstfall ist nicht unwahrscheinlich.
 
Es geht in meinem Buch auch um individuelle Eheverträge, um die kümmert sich nämlich fast niemand. Alle glauben, dass das Scheidungsrecht alles fair aufteilt – aber das stimmt so nicht! Etwa wird außer acht gelassen, dass Mütter, die sich zehn Jahre lang ausschließlich um Kinder und Haushalt gekümmert haben, nicht einfach nach einer Trennung wieder den alten Job als Wissenschaftler*innen, Sachbearbeiter*innen usw. bekommen. Es gibt kein Anknüpfen – und diese Tatsache kostet sie zusätzliches Geld! Warum also nicht solche Dinge mit berücksichtigen? Das kann aktuell nur in einem individuellen Ehevertrag geregelt werden, an den aber vor allem vermögende Männer denken, um ihr Geld nach einer Scheidung abzusichern. Darum mach ich einen Vergleich auf: Ich beschreibe in meinem Buch die Wahrscheinlichkeit mit einem Flugzeug abzustürzen. Sie liegt bei 0,0000004 Prozent. Und trotzdem wird Passagier*innen vor jedem Start erklärt, was sie im Notfall zu tun haben, wie sie sich die Sauerstoffmasken aufsetzen müssen, die Rettungswesten umlegen sollen und wo die Notausgänge sind. Für den Fall, dass ich nach einem Absturz aufgrund von Rauch nichts mehr sehen kann, zähle ich stets nach, an wie vielen Sitzlehnen ich mich entlangtasten muss, um zum nächsten Ausgang zu kommen. Ich bin also vorbereitet, obwohl ich ziemlich sicher niemals einen Flugzeugabsturz erleben werde, genauso wie die meisten anderen Menschen auch. Komisch ist: Dass wir einmal heiraten und uns wieder scheiden lassen, ist millionenfach wahrscheinlicher. Warum wollen wir uns dann nicht damit beschäftigen, wie wir von unserer Wolke 7 wieder sicher auf den Boden der Tatsachen kommen? „Na weil wir uns so sehr lieben“, heißt es dann immer. Aber: Wenn Paare einander lieben, dann sollten sie sich für den*die Partner*in doch auch eine sichere Trennung wünschen – insbesondere, wenn Kinder involviert sind, oder? Falls nicht, wie soll es dann erst ablaufen, wenn tatsächlich die Trennung ansteht?
 
Ich lese aktuell in vielen Büchern einen Satz, der mir auch aus meiner eigenen Jugend geläufig ist: „Mach dich nie von einem Mann abhängig“. Warum wurde uns das immer gesagt? Und wie geht dieses „unabhängig“?
 
Unabhängigkeit ist wie gesagt nicht vorgesehen in der normalen Familienbiografie einer Mutter. Darum müssen wir selbst dafür sorgen: Etwa, indem wir uns die Elternzeit fifty-fifty mit dem Partner teilen. Oder wir kümmern uns um individuelle Eheverträge. Es gibt nicht den einen Weg, aber wir müssen für uns selbst sorgen, wenn es um die innerfamiliäre Verteilung von finanziellen Ressourcen oder um die Rentenvorsorge geht. Keine falsche Bescheidenheit!
 
Warum sind Alleinerziehende eine Provokation?
 
Weil sie – allein durch ihre Existenz – unsere patriarchale Gesellschaft damit konfrontieren, dass ein Leben ohne Mann möglich ist. Manche beleidigt es, manchen macht es Angst – etwa davor, dass die eigene Frau auf „dumme“ Ideen kommen könnte.
 
Du sprichst vom „Endgegner Vereinbarkeit“. Warum ist die Verknüpfung von Care- und Erwerbsarbeit so schwierig?
 
Eine ganz einfache Rechnung: Laut Bertelsmann-Stiftung müssten Alleinerziehende Vollzeit arbeiten, um der Armut zu entkommen (das gilt allerdings nur für fast alle, selbst mit Vollzeitarbeit wären noch zwei Prozent von Armut betroffen). Aber: Vollzeit bedeutet aktuell acht Stunden Arbeit plus eine Stunde Pause, dazu kommen Fahrzeiten zur Kita oder zum Hort von einer Stunde pro Tag, wenn es gut läuft. Das heißt, die Kinder müssten jeden Tag zehn Stunden mindestens betreut werden. Und abgesehen von der Frage zum Kindeswohl, kann eine solche Betreuung in den meisten Einrichtungen gar nicht angeboten werden. Allein dieses Jahr fehlen fast 400.000 Kita-Plätze. Mehr müssen wir dazu nicht sagen, oder?
 
Es gibt ja Verbände und Parteien, die das Wechselmodell als Regelbetreuungsmodell installieren möchten und es als Heilsbringer verkaufen. Macht das Sinn und woher kommen diese Forderungen?
 
Das Wechselmodell wird aktuell nur von vier Prozent aller Trennungsfamilien gelebt – auch mein Kind, sein Vater und ich leben es seit ein paar Jahren. Bevor ich das Wechselmodell vorgeschlagen hatte, musste ich mir erst ausrechnen, ob ich mir das überhaupt leisten kann. Denn: Der Kindesunterhalt fällt weg, das Kindergeld wird geteilt. Man hat offiziell keinen Anspruch mehr auf Kindergeldzuschlag – wobei manche Sachbearbeiter*innen von der Familienkasse da kulant sind.
 
Das Wechselmodell mit seinen finanziellen Belastungen wird politisch nicht gefördert für jene Familien, die es gerne ausprobieren wollen. Auch bei der Wohnungssuche werden Eltern, die nahe am anderen Elternteil wohnen wollen, nicht bevorzugt. Das Modell ist also schon allein strukturell schwer umzusetzen – viele Faktoren müssen stimmen.
 
Dazu kommt die Beziehung zwischen den Eltern. Aktuelle Studien zeigen, dass das Wechselmodell für Kinder sehr passend und gut sein kann, wenn sich die Eltern nur konstruktiv streiten bzw. Konflikte regelmäßig gemeinsam überwinden können und an einem Strang ziehen. Wenn die Eltern allerdings Konflikte destruktiv ausleben, ein Elternteil den anderen psychisch oder körperlich misshandelt, dann wirkt sich das Wechselmodell besonders schlecht auf das Kind aus. Das liegt daran, dass das Wechselmodell intensiv ist, der Austausch zwischen den Eltern engmaschig. Das Wechselmodell als Regelfall einzuführen macht daher keinen Sinn. Was Sinn ergeben würde: Eltern finanziell unterstützen, die das Wechselmodell leben wollen. 
 
Und vielleicht abschließend noch mal gefragt: Warum macht es Sinn, Alleinerziehende im Allgemeinen zu unterstützen?
 
Weil auch Alleinerziehende den Anspruch haben, ein gutes Leben zu führen und ihre Kinder gut (mit Zeit und Mitteln) beim Aufwachsen zu begleiten. Weil Kinder ein Recht auf ein Leben ohne Armut und sozialer Isolation haben und wir uns – auch mit Blick auf den Fachkräftemangel – längst keine Gesellschaft mehr leisten können, die Eltern und ihre Kinder an den Rand drängen, nur weil zwei Erwachsene sich getrennt haben.
 
Und am wichtigsten ist wohl zu verstehen, dass kein Elternteil auch davor schützen kann, selbst einmal allein- oder getrennterziehend zu werden. Sich für Alleinerziehende einzusetzen bedeutet demnach auch immer, sich für die eigene Sicherheit einzusetzen.
 
Danke, liebe Anne! Ich hoffe, dass ganz viele Menschen „solo, selbst & ständig“ lesen und das dein Buch die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient! Ich freue mich auf die Premiere am 17.5. im Pfefferberg Theater und bin gespannt, welches Feedback wir auf unsere Versandaktion erhalten – fingers crossed.

Anne Dittmann | solo, selbst & ständig

Was Alleinerziehende wirklich brauchen

Paperback, 240 Seiten
ISBN: 978-3-466-31204-7
EUR 18,00 (D)

Eine Trennung mit Kind stellt eine immense Herausforderung dar. Die meinungsstarke Journalistin und Autorin Anne Dittmann weiß, wovon sie spricht – und gibt einfühlsam und ermutigend Orientierung. Sie holt Betroffene da ab, wo sie während oder nach einer Trennung stehen: mit all ihren Fragen, Problemen, Unsicherheiten und Gefühlen – und den mit einer Trennung einhergehenden Vorurteilen und Benachteiligungen in unserer Gesellschaft. Anne Dittmann formuliert klar, was Alleinerziehende wirklich brauchen, und zeigt Schritt für Schritt, welche Hebel auf individueller wie auf struktureller Ebene gezogen werden können und müssen, um das Leben von Alleinerziehenden zu verbessern.

Sie liefert mit ihrem Wut- und Mutmachbuch allen Allein- und Getrennterziehenden eine kenntnis- und faktenreiche Begleitung, angereichert mit persönlichen Erfahrungen rund um ihre eigene Trennung mit Kind und wertvollem Input aus ihrer großen Community: Über das Trennen und Kümmern. Über Geld, Arbeit und Gesundheit. Über das Daten und die Liebe. Und über das Träumen und Leben als Alleinerziehende.

Dieses Buch gibt Allein- und Getrennterziehenden eine Stimme, liefert konkrete Erste-Hilfe-Tipps, die richtigen Ventile für Frust und Ängste und bietet Halt, Trost und Bestärkung in einer neuen Lebensphase.

Von Sara Buschmann