Merry Mental Load
So schön besinnlich, dieser Advent, oder? Der Endspurt auf die Feiertage ist in vollem Gange und Santa belädt jeden Moment seinen Schlitten. Aber Moment mal: Für einen vollgepackten Sack brauchen (Single-)Moms gar nicht auf den Weihnachtsmann zu warten, oder? Den tragen sie nämlich schon das ganze Jahr über selbst mit sich herum: Ein voluminöser Haufen aus Gedanken, Aufgaben und Eventualitäten, der sich nur schwer in einem einzigen Gepäckstück zusammenfassen lässt und spätestens Ende November zu einer tickenden Zeitbombe heran schwillt. Die Rede ist vom Mental Load. Ein Begriff, der energiefressende und nicht selten überfordernde Kopfarbeit beschreibt und mit oder ohne Partner oftmals vorwiegend von Müttern geschultert wird. Neben der aktiven Care- und Haushaltsarbeit gibt es nämlich noch jede Menge Theoriestunden. All die „Kleinigkeiten“, die wir eben so „im Hinterkopf behalten“ müssen. Was bringen wir zum nächsten Kindergeburtstag mit? Passen dem Kind die Winterschuhe noch? Was steht morgen an und Donnerstag auf dem Tisch? Oh, und wann waren nochmal Kita-Schließtage?… Ihr kennt’s.
Ende des Jahres dann das große Crescendo. Eine Festivität jagt die nächste, die Erwartungen sind groß, das Budget klein, Tradition trifft Schnelllebigkeit, der Weihnachtsbaum thront als Mahnmal am Ende der To-Do-Liste – Hilfe! Nun hat man mit dem Buzzword „Mental Load“ zumindest schonmal ein Problem definiert, von dem lange niemand etwas wissen wollte, erst recht nicht die Zugführer des Patriarchats. Die Diskussion darüber, wer den imaginären Kopfkino-Sack denn nun schultert und dass er sich zusammen besser trägt als alleine, ist eröffnet. Ein wichtiger Schritt, ein neuer Streitpunkt in vielen Beziehungen, oder zumindest einer mit neuem Namen. Für Alleinerziehende jedoch häufig nicht mehr als ein Schattenboxen, wenn ein „Kannst du mal mit anpacken?“ doch ungehört im weihnachtlichen Schneesturm verebbt.
Was aber jetzt tun, um die Lametta-Lust nicht gänzlich zu verlieren und den Jahreswechsel platt wie eine Flunder unter all dem Ballast zu erleben? Eine pauschale Superlösung gibt es nicht, aber vielleicht ein paar Mantra-Rentiere, die den Parenting-Schlitten zumindest ein bisschen am Laufen halten:
Am allerschönsten fände ich…
Adventskalender, Adventskranz, Stiefel putzen, Weihnachtsbaum, Gänsebraten, Bleigießen, Racelette und Feuerwerk… That’s a lot! Die meisten Endjahres-Traditionen sind zwar schön, häufen sich aber auch dermaßen, dass kaum ein Highlight Platz zum Atmen hat. Wir brauchen Prioritäten. Ja, die dürfen wir haben. Und unsere Kinder auch. Schreibt doch einmal alle Nice-To-Haves auf, setzt euch zusammen und kürt gemeinsam die Top 3 für eure Feiertage. Ob nun Deko, Musik und Zusammensein, oder Braten, Baum und Kerzenschein: Setzt einen Fokus und vernachlässigt den Rest, je nach Kapazitätenlage. Sinnvoll ist es auch, ins Detail zu gehen: Ist der Traumbaum groß oder bunt? Der Adventskalender of Desire gebastelt oder aus Schokolade? Das Weihnachtsdessert kunstvoll geschichtet oder eine doppelte Portion Lieblingseis? Erfahrungsgemäß haben insbesondere Kinder andere Ansprüche als manch Erwachsener denkt. Und das übrigens nicht nur Weihnachten und Silvester, sondern auch an Geburtstagen, Wochenenden oder im Urlaub. Also: Sprecht drüber und erklärt den Kids Budget- und Zeitengpässe, denn auch kleine Menschen können kompromissbereit sein.
Denkst du dran?
Aufzählungen, Fragen, Sorgen und Erinnerungen an sich selbst routieren als Endlosspirale zwischen den Schläfen, rauben uns die Konzentration, den letzten Nerv und manchmal sogar den Schlaf. Einmal aufklappen und ausleeren, bitte? Genau. Ja, das geht tatsächlich. Es ist wirklich banal, aber durch einfaches Aufschreiben unserer Gedanken, sortieren wir diese vom Hirn ins Heft. Ob jetzt To-Do-Listen, Budget-Pläne, oder das gute alte Tagebuch: Alles, was wir mit Tinte in Papier meißeln, findet eine Abfahrt aus dem Gedankenkarussel und der Knoten lichtet sich. In der Psychologie ist das sogenannte expressive Schreiben ein bewährtes Mittel, um stressbedingte Veränderungen der Gehirnströme zu normalisieren. Dabei werden regelmäßig zehn Minuten vor dem Schlafengehen alle Sorgen und Ängste ungefiltert aufgeschrieben. Und ungefiltert meint, dass keine Gedanken vorher sortiert, abgewogen oder vervollständigt werden sollen. Es gilt tatsächlich: Einfach laufenlassen und wie mit einem aufgedrehten Ventil den Druck im Kopf reduzieren.
Bitte? Danke.
Is anybody out there? – Mit unserem Mental Load fühlen wir uns oft allein, als Alleinerziehende sowieso. Das Gefühl, alles alleine zu tragen, ist manchmal schwerer als die anfallenden Aufgaben an sich. Ohne diese zu schmälern, kann es manchmal helfen, zumindest in Teilen Teamarbeit zu leisten und diese bewusst einzufordern. Ob vom Kindsvater, anderen Familienmitgliedern, Freund*innen oder Nachbar*innen: Jede Unterstützung hilft. Weil wir aber so sehr darauf gepolt sind, anderen und uns selbst Stärke zu beweisen, fällt es schwer, Hilfe anzunehmen, oder gar um sie zu bitten. Dabei sind die meisten Mitmenschen froh über konkrete Hinweise, wie und in welchem Rahmen sie unterstützen können. Vielleicht ist eine befreundete Familie froh, wenn sie ihre 20 Kilo Gans nicht alleine essen muss? Vielleicht fragt sich die Omi aus dem dritten Stock ohnehin, wem sie noch einen bunten Schal stricken könnte? Und der Schwager hat sowieso eine Wette mit seinem Kumpel am Laufen, wer die meisten Wasserkisten schleppen kann? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dann wurde im schlimmsten Fall vergebens um Hilfe gebeten. Wir müssen lernen, dass daran nichts peinlich oder schwach ist. Im Gegenteil: Es zeugt von Stärke, seine eigenen Ressourcen einschätzen und Bedürfnisse artikulieren zu können.
Love is in the air
Das Jahresende steht im Zeichen der Nächstenliebe und Zuversicht? Wir möchten verständnisvoll und versöhnlich sein, während wir unseren Liebsten ein gutes Gefühl geben? Sehr schön. Zu unseren Liebsten und Engsten gehören wir übrigens auch selbst. Schonmal darüber nachgedacht, dass es uns viel leichter fällt, Verfehlungen, Imperfektion und schwache Momente von anderen mit Umarmungen und Zuspruch zu begegnen, als unsere eigenen Unvollkommenheiten zu akzeptieren? Wieviele Freund*innen hätten wir noch, wenn wir mit ihnen reden würden, wie mit uns selbst? Vielleicht ist also der romantisch verstrahlte Jahreswechsel ein guter Moment, um uns selbst auch einmal ein Dankeskärtchen zu schreiben. Eine verbale Wärmflasche voll bedingungsloser Liebe für jedes Missgeschick, jede Krise, jedes Versagen und jedes Weitermachen. Denn mal ganz ehrlich, es ist wirklich toll, wie ihr das Jahr gemeistert habt. Ihr seid ein Knaller – mit oder ohne Feuerwerk.
Turid Reinicke ist Journalistin, Illustratorin und Creative Director. Sie kommt aus Berlin, lebt in Hamburg und träumt von Portugal. Nach langjähriger Chefredaktion der Magazine „Nylon“ und „Blonde“, hostet sie nun gemeinsam mit Muschda Sherzada den Podcast „Oh Boy“. Das Format beschäftigt sich unterhaltsam und selbstkritisch mit Geschlechterklischees und Feminismus im Alltag von Müttern mit Söhnen.
Von Turid Reinicke