Im Dezember

Ich erinnere mich an den Duft von Kokosmakronen im ganzen Haus. In dem meiner Eltern in Süddeutschland. Ich war sieben, meine Schwester klein und meine Mama zu Hause. Schön war das, warm und gemütlich in meiner Erinnerung.

Meine Tochter wird im Dezember sieben. Ich sitze hier, bin weder etabliert noch schreibe ich auf goldenem Papier. Westernhagen läuft im Hintergrund, er will zurück auf die Straße.
Ich nicht, ich will nicht raus.
Nicht auf den Weihnachtsmarkt gegenüber. Meine Tochter freut sich seit Wochen und schaut jeden Tag nach, welcher neue Stand aufgebaut wurde. Heute ist Eröffnung, ein Montagnachmittag und sie muss unbedingt hin. Wir laufen rüber, Hand in Hand, sie sagt es rieche so gut nach gebrannten Mandeln, ob sie welche haben dürfe? Bitte, nur heute? Die sind leider teuer, meine Antwort. Vorbei am Zuckerwattestand, sie hat ihn natürlich entdeckt. Oh, Zuckerwatte, teilen wir uns die, Mama? Nein, heute nicht, zu teuer.

Wir sind am Karussell. Aber Karussell fahren, bitte, bitte, nur ein Mal.
Ja.
3 Minuten und 3 Euro später ist meine Tochter glücklich. Für 3 Sekunden.
Denn vor uns steht ein Trampolin. Bitte, bitte.
Nein.
In Gedanken noch bei den 6 Euro, die andere Eltern für 4 Minuten Trampolinspringen zahlen, kommen wir wieder am Zuckerwattestand vorbei. Alle Kinder dürfen Zuckerwatte haben, alle. Ich kann den Preis nicht erkennen, zu viele Kinder mit ihren Eltern stehen davor. Weißt du was, wir gehen zum Supermarkt und holen da welche? Ein Becher Zucker, als rosa Watte, weich und leicht. 79 Cent sagt die Kassiererin. Okay, denke ich.
Danke Mama.

Danke Mama, es war schön, höre ich nochmal, als wir gehen.
Ich habe den Becher Zuckerwatte in der Hand, federleicht.
Wir sind zurück in unserer Wohnung. Es ist kalt hier, nur das kleine Zimmer ein wenig geheizt. Winter in Berlin heißt für mich das Teilen meines Bettes, weil ich es mir nicht leisten kann das größere Zimmer, das Kinderzimmer, zu heizen. Alles spielt sich in meinem kleinen Zimmer ab. Spielen und essen am Couchtisch, denn es ist bitterkalt in der Küche. Auch Hausaufgaben machen, denn es ist zu kalt im Kinderzimmer.
Ich denke an meine Kindheit. An den Dezember mit Plätzchenduft und Wärme vorm Kamin. An das Freuen aufs Christkind, an die Geschenke. All das ist heute nicht mehr zuckerwatteleicht, sondern tannenschwer. Der Dezember duftet nicht mehr nach Kokos, sondern nach Existenzangst. Adventskalender, Weihnachtsmarkt, Nikolaus, Geburtstag, Weihnachten. Der Dezember, der teuerste Monat. Ich bin (finanziell) am Ende mit diesem Jahr.

Von einer Gastautorin