Frau sitzt am Laptop und arbeitet an der SOLOMÜTTER Seite im Hintergrund sitzt ein Kind

Hohe Inflationsrate: Alleinerziehende und ihre Kinder werden abgehängt

Alleinerziehende und ihre Kinder werden zunehmend abgehängt. Ein Grund dafür ist die steigende Inflationsrate, die im Frühjahr 2022 die 7-Prozent-Marke überschritten hat. Hohe Lebensmittelpreise, Wohnkosten von teilweise mehr als 50 Prozent des Einkommens und fehlende Ersparnisse führen zu akuter Armutsbedrohung. Eine Umfrage der Plattform solomuetter.de zeigt: Deutlich mehr als zwei von drei Ein-Eltern-Familien machen sich „große Sorgen“ um ihre finanzielle Zukunft. 

Rund 74 Prozent aller Alleinerziehenden machen sich aufgrund der steigenden Inflationsrate „große Sorgen“. Dies ergab eine Umfrage unter 385 Mitgliedern der Online-Plattform SOLOMÜTTER. 23 Prozent der Teilnehmer:innen sorgen sich „manchmal“ und nur 3 Prozent leben – in Bezug auf die Inflationsrate – sorgenfrei.

Die gemeinnützige Organisation, die sich für eine Gesellschaft einsetzt, in der Alleinerziehende und ihre Kinder nicht mehr benachteiligt werden, erhielt in den letzten Wochen zahlreiche Hilferufe aus der rund 6.000 Mitglieder umfassenden Community. „Viele Alleinerziehende fühlen sich aktuell wie ein Kaninchen vor der Schlange“, so SOLOMÜTTER-Gründerin Sara Buschmann. „Sie wissen nicht, wie sie zukünftig finanziell über die Runden kommen sollen. Die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit führt in unserer Community teilweise zu Ohnmachtsgefühlen, Schlafstörungen oder Zukunftsängsten.“

Und diese Ängste sind nicht unbegründet. Die Inflationsrate hat mittlerweile die 7-Prozent-Marke überschritten. Ein Wert, der zuletzt vor 40 Jahren erreicht wurde. Zum Vergleich: Zwischen 2010 und 2020 lag die Teuerungsrate in Deutschland bei höchstens 2,1 Prozent. 

Die aktuellen Preissteigerungen führen zu einer Mehrbelastung aller Haushalte. In welchem Umfang sich diese Belastung jedoch tatsächlich auswirkt, hängt stark von der Einkommenshöhe und der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen ab. Eine Kurzexpertise von Prognos, einem der ältesten Wirtschaftsforschungsunternehmen Europas, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zeigt, dass insbesondere Familien mit kleinen Einkommen und Kindern belastet sind. So hatten Alleinerziehende, die sowieso schon von einem deutlich erhöhten Armutsrisiko bedroht sind, im Juni dieses Jahres mit einer einkommensabhängigen Mehrbelastung von bis zu 354 Euro zu kämpfen. 

„Ein Netto von 354 Euro mehr können Alleinerziehende nicht kurzfristig zusätzlich erwirtschaften“, so Buschmann. „Denn das würde bedeuten, eine immense Gehaltserhöhung aushandeln oder einen ergänzenden 450-Euro-Job annehmen zu müssen – beides halte ich für unrealistisch. Etwas mehr als 70 Prozent aller Alleinerziehenden sind bereits berufstätig, davon 46 Prozent in Vollzeit oder vollzeitnah. Wie sollen diese Menschen, die zusätzlich alleine Kinder großziehen, da noch eine Schippe aufladen?“ 

Eine Stimme aus der SOLOMÜTTER-Community ergänzt dazu: „Den medialen Rat, schon jetzt Geld zur Seite zu legen, um die Energiesteigerung tragen zu können, empfinde ich als blanken Hohn. Ein Witz, sparen ist mir nicht möglich. Ich bin froh, wenn meine laufenden Kosten bezahlt werden können und der Kühlschrank nicht leer ist.“ Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e. V. (VAMV e. V.) sieht dies ähnlich und ergänzt: „Dort wo jeder Euro für die grundlegenden Lebenserhaltungskosten ausgegeben werden muss, besteht auch keine Möglichkeit sich weiter einzuschränken.“ 

Viele Ein-Eltern-Familien geben schon heute mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aus. Außerdem ist der Verbraucherpreisindex für Lebensmittel und Energie überproportional gestiegen – beides Werte, die ebenfalls insbesondere Familien mit Kindern zu schaffen machen. Viel zu häufig finden diese Probleme aus Scham und fehlender Stimme noch im Verborgenen statt oder werden im Privaten gelöst, obwohl sie strukturell angegangen werden müssen. Eine Community-Mutter schreibt bei SOLOMÜTTER beispielsweise: „Ich würde es niemals schaffen, wenn mein Bruder nicht finanziell unterstützen würde monatlich.“

Deshalb gilt es, Alleinerziehende schnellstmöglich strukturell stärker zu entlasten. Andreas Heimer, Diplomsoziologe und Partner bei Prognos, erklärt: „Diese akute Mehrbelastung Alleinerziehender und einkommensarmer Familien müsste bei der Weiterentwicklung der strukturellen Entlastungsmaßnahmen seitens der Politik dringend berücksichtigt werden.“

Und das ist aktuell (noch) nicht der Fall. Laut der Hans-Böckler-Stiftung etwa können Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Haushaltsnetto-einkommen zwischen 2.000 und 2.600 Euro durch die Entlastungspakete der Bundesregierung bis zu 48 Prozent bei den Mehrkosten entlastet werden – bei Paaren mit zwei Kindern liegt dieser Wert bei gleichem Einkommen bei
64 Prozent. Dies ist auf eine Koppelung der Energiepreispauschale an das Erwerbseinkommen zurückzuführen. Gehen zwei Personen arbeiten, wirkt sich dies positiv auf die staatliche Unterstützung aus. Ähnlich ungerecht geht es auch bei der Auszahlung des Kinderbonus zu: Dieser kommt in den Haushalten Alleinerziehender oft nur hälftig an, da diese Leistung – unabhängig vom Betreuungs- oder Umgangsmodell – zu 50 Prozent auch dem unterhaltszahlenden Elternteil zusteht. Bei Familien mit zwei Elternteilen steht der Bonus dem Haushalt, in dem die Kinder leben, in vollem Umfang zur Verfügung.

Insgesamt sollte aber auch hinterfragt werden, ob sich eine langfristige Mehrbelastung überhaupt durch Einmalzahlungen abmildern lasse. Es gelte „in der Krise sowohl kurz- und mittelfristige Hilfen, als auch eine langfristige Perspektive“ für Alleinerziehende zu schaffen, so der VAMV e. V. in einer Stellungnahme zur Auswirkung der Inflationsbelastung. 

Hier muss die Politik kurzfristig veritable Ansätze liefern und diese schnellstmöglich umsetzen. 

Alleinerziehende leisten enorm viel: Sie sind häufig berufstätig, sehr aktiv, selbstbewusst, gute Netzwerker:innen, Alltagsmanager:innen, Problemlöser:innen und vieles, vieles mehr. Aber um all dies auch leben zu können, brauchen Ein-Eltern-Familien faire Rahmenbedingungen und müssen perspektivisch mitgedacht werden – und das noch deutlich stärker, als es aktuell der Fall ist.

Von Sara Buschmann