Interview mit Rechtsanwältin Karola Rosenberg
Als viertes von fünf Kindern ist Karola Rosenberg damit aufgewachsen zu verhandeln – über den besten Sitzplatz, das größte Stück Kuchen oder das schönste Spielzeug. Durch ihren Vater, der ebenfalls als Rechtsanwalt und Richter tätig war, bekam sie schon früh Einblicke ins Familienrecht.
Wir haben mit Karola gesprochen und wollten unter anderem wissen, was die guten und was die nicht so schönen Seiten ihres Berufes sind. Außerdem hat uns Karolas Engagement für die neue Rechtshilfehotline der Stiftung Alltagsheld:innen interessiert.
Liebe Karola, war der Anwaltsjob mit deinem familiären Hintergrund für dich quasi gesetzt?
Zugegeben – zunächst hat mich das Bonbon-Glas auf dem Bürotisch meines Vaters mehr interessiert, als seine Geschichten aus dem Arbeitsalltag. Doch mit steigendem Alter stieg auch mein Interesse an den Hintergründen. Durch und durch Praktikerin, machte ich nach dem Abitur aber zunächst eine Ausbildung bei der Polizei. Das dabei an der Fachhochschule zu leistende „kleine Jurastudium“ machte mir viel Spaß und so entschloss ich mich, auch das „große“ Jurastudium an den Universitäten in Osnabrück und Bonn zu absolvieren.
Hatte auch deine persönliche Situation damit zu tun? Warst du selbst auch eine Zeit lang alleinerziehend?
Nein, ich war nie alleinerziehend und bin auch in einer klassischen „Zweieltern-Familie“ mit meinen vier Geschwistern sehr Bullerbü-mäßig aufgewachsen. Ich bin seit über 20 Jahren mit dem gleichen Mann zusammen und seit mehr als 10 Jahren verheiratet. Allerdings habe ich mal scherzend gesagt, dass ich „Teilzeit alleinerziehend und Vollzeit berufstätig“ bin. Mein Mann ist Berufssoldat und zum Teil für längere Zeit in Einsätzen im In- und Ausland. Ich kenne also die praktisch-organisatorischen Probleme von Eineltern-Familien, aber nicht die emotionalen und finanziellen Schwierigkeiten. Jedenfalls nicht aus persönlicher Erfahrung.
Wir kennen dich und deine Arbeit in erster Linie von Instagram, wo du Interessierte an deinem Leben als Anwältin teilhaben lässt. Wann und warum hast du dich entschlossen Teile deiner Arbeit auf Social Media sichtbar zu machen?
Ich war frustriert und wollte etwas verändern. Ich habe gearbeitet bis zum Umfallen und hatte lauter Fälle, die relativ leicht zu regeln gewesen wären, wenn die Mandant:innen einfach manche Sachen früher gewusst hätten. Ich wollte ansetzen, bevor alles in Scherben liegt und es nur noch darum geht, zu kitten was zu kitten ist. Also habe ich mir eine Strategie überlegt, wie man die wesentlichen Informationen möglichst einfach möglichst vielen Leuten zugänglich machen kann. Ich habe ein Buch über Instagram gelesen, weil ich so gar nicht Social Media-affin war und dann einfach losgelegt.
Mittlerweile bist du deutschlandweit als Anwältin unterwegs und hast diverse Fälle begleitet. Was ist besonders schön an deinem Beruf?
Ich löse gerne Probleme. Die Geschichten der Menschen sind für mich wie ein Riesendurcheinander an Seilen. Jura ist mein Werkzeug, um das Chaos zu entwirren. Ich prüfe, welche Stricke „entheddert“ werden können, wo man schneiden muss und was einfach zur Seite geschoben werden kann. Das kann für Mandant:innen ein schmerzhafter Prozess sein. Das Schönste ist, wenn eine Strategie aufgeht und die Menschen am Ende frei und unbelastet in die Zukunft gehen.
Und gibt es auch eine traurige, unschöne Seite? Was deprimiert dich?
Unwissenheit und fehlendes Interesse oder Voreingenommenheit bei anderen professionell Beteiligten. Kindschaftsrecht ist das ungeliebte Stiefkind des Familienrechts. Die Fälle sind oft anstrengend, belastend und aufwendig und gleichzeitig häufig schlecht bezahlt. Aber das ändert man nicht, indem man Fälle stereotyp und mit einer Null-Bock-Haltung abfrühstückt. Die Kinder gehen dabei drauf und das finde ich frustrierend, deprimierend und inakzeptabel.
Das Thema PAS ist ja seit einiger Zeit in aller Munde. Vornehmlich Väter nutzen diese Argumentation, aber auch Medien wie die ARD widmen diesem Thema ganze Filme und Talkrunden. Wie beobachtest du die Entwicklung dieses Themas und die der Diskussion in der Öffentlichkeit?
PAS ist die Abkürzung für Parental Alienation Syndrome. Wenn die Leute von PAS sprechen meinen sie häufig die Entfremdung des Kindes, also dass das Kind nichts mehr mit dem „Umgangs-Elternteil“ zu tun haben will. Schuld daran soll dann der andere betreuende Elternteil sein, der das Kind manipuliert und gegen den Umgangselternteil aufbringt. Da die Hauptbetreuung häufiger durch die Mütter erfolgt, wird die Argumentation häufig von Väterinitiativen genutzt. PAS als „Syndrom“ wurde von Gardner geprägt und ist wissenschaftlich nicht haltbar, Gardner selber ist wissenschaftlich ebenfalls nicht tragbar.
Ich finde die Art der Diskussion völlig grotesk und wenig ziel- und lösungsorientiert. Weder bringt es etwas zu leugnen, dass es Eltern – und damit meine ich ausdrücklich Väter und Mütter – gibt, die ihre Kinder ohne Rücksicht auf Verluste manipulieren. Auf der anderen Seite ist es eine ziemlich einfache und dementsprechend schlechte Erklärung, jede Schuld von sich zu weisen, weil ja immer der betreuende Elternteil schuld daran ist, dass das Kind keinen Kontakt mehr möchte.
Einfache Lösungen für komplexe Probleme sind ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass man sich auf dem Holzweg befindet. Die Diskussion wird darüber geführt, wer schuld ist. Wem soll das etwas bringen? Ein Massenphänomen, nach dem die vermeintlich verbitterten Mütter stets die armen Väter durch hinterlistige Manipulation der Kinder von eben diesen fern halten, ist absoluter Unsinn. Der gleiche Unsinn ist das Märchen von den perfekten Müttern, die niemals den heißgeliebten Kindern etwas antun würden. Monster gibt es sowohl auf Väter-, als auch auf Mütterseite.
Ich würde mir wünschen, die ganzen Kampagnen und Gegenkampagnen würden all die finanziellen Mittel und Medienaufmerksamkeit dafür einsetzen, Lösungen zu finden, statt Schuldzuweisungen zu propagieren.
Viele fordern Reformen im Familienrecht. Siehst auch du Bedarf? Und falls ja, welchen?
Ja und nein! Wir haben in Deutschland grundsätzlich exzellente Gesetze und eine hervorragende höchstrichterliche Rechtsprechung. Das Problem liegt in der Umsetzung in der Praxis, besonders auf amtsgerichtlicher Ebene. Die Sachverhalte sind häufig sehr komplex, aufwendig zu bearbeiten und interdisziplinär, weil rechtliche, pädagogische, wirtschaftliche und psychologische Aspekte zusammentreffen. Die Sachbearbeiter:innen aller beteiligten Professionen sind oft schlecht bezahlt bei gleichzeitiger hoher Arbeitsbelastung. Dazu kommt dann noch der weit verbreitete Glaubenssatz, dass es ja um Kinder gehe und nicht um Recht und Recht haben. Dabei wird dann gar nicht bemerkt, dass man damit zugleich sagt, dass Kinder keine Rechte haben. Statt, dass die überwiegend sehr guten rechtlichen Arbeitsmittel genutzt werden, um das oben erwähnte Knäuel an Problemen zu „entheddern“, entsteht eine „Bauchgefühl-Rechtsprechung“. Und dann ist es eben reine Glückssache, ob man auf Leute trifft, die das gleiche Bauchgefühl wie man selbst hat haben oder eben nicht. Das Bauchgefühl beruht aber ja auf den individuellen Lebenserfahrungen der einzelnen professionell Beteiligten. Mit Jura und der Anwendung des Rechts hat das dann nicht mehr viel zu tun. Das ist ein Fehler.
Du bist mittlerweile wirklich umtriebig. Unter anderem auch als telefonische Ansprechpartnerin bei der Rechtshilfehotline der Stiftung Alltagsheld:innen. Das Angebot wurde wahnsinnig gut angenommen. Warum gibt es so viel Bedarf?
Letztlich aus den oben genannten Gründen. Ich glaube, dass die Hotline besonders wichtig ist, um ein niederschwelliges Beratungsangebot und erste Informationen zu bekommen. Viele Menschen haben Angst sich an eine:n Anwält:in zu wenden, aus Angst vor hohen Kosten und weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Manchmal entsteht auch eine Verunsicherung darüber, ob man bei seinem Anwalt richtig aufgehoben ist.
Mit welchen Themen (natürlich ohne konkret zu werden) wenden sich die Anrufer:innen an dich?
Das Oberthema ist (logischerweise) Probleme rund um die Trennung mit Kind. Wer hat welche Rechte, wann macht das Wechselmodell Sinn, wie kann man sich schützen, bei wem bekommt man Hilfe…
Und in welchem Rahmen kannst du in dieser kurzen Zeit helfen oder unterstützen? Was ist die Erwartungshaltung der Anrufer:innen?
Tatsächlich kann man innerhalb weniger Minuten das Grundproblem erkennen und einen ersten „Fahrplan“ für die nächsten Schritte entwickeln. Das hilft den Anrufer:innen schon aus dem Gefühl der völligen Hilflosigkeit und Ohnmacht heraus. Egal wie übermächtig das Problem zu sein scheint. Wenn man schon mal weiß, was der nächste Schritt ist und in welche Richtung man loslaufen muss und wer einem auf dem Weg helfen kann, erscheint alles schon ein Stück lösbarer.
Ich kenne Menschen, denen es im Trennungsprozess negativ ausgelegt werde, sich recht schnell an eine:n Anwält:in gewandt zu haben. Was empfiehlst du bzw. wann hältst du eine Rechtsberatung für sinnvoll?
Je früher desto besser. Man muss das ja nicht an die große Glocke hängen und es besteht bei den Rechtsanwält:innen die Schweigepflicht. Nur weil man sich beraten lässt, heißt das ja noch nicht, dass man auch nach außen auftritt. Ich begleite manche Mandant:Innen im Hintergrund durch die Trennung, ohne dass der oder die andere das je erfahren hat.
Wer kann zusätzlich zu einem Rechtsbeistand bei einer Trennung noch unterstützen? Was ist sinnvoll?
Ein starkes Netzwerk ist sinnvoll, wobei man immer wieder reflektieren muss, was für einen selbst richtig ist und nicht blind irgendwelchen Empfehlungen folgen. Es gibt Vereine und Interessengemeinschaften, die ganz lebenspraktisch helfen, z.B. der VAMV. Wenn es eine sehr belastende Trennung ist, würde ich auch immer empfehlen sich psychologisch unterstützen zu lassen. Da besteht oft die Angst davor, als psychisch krank stigmatisiert zu werden und deshalb schlechtere Karten im Rechtsstreit ums Kind zu haben. Oft ist aber das Gegenteil der Fall. Das man sich selbstkritisch und selbstreflektiert verhält, ist oft einer der stärksten Punkte, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken.
Du gibst ja online auch immer viele Tipps und Ratschläge — meistens deeskalierender Natur. Du klärst aber auch über Mythen und Ungerechtigkeiten auf. Kannst du mal drei ungewöhnliche Beispiele nennen?
1. Mythos: Psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen stempelt einen als „Psycho“ ab, der/die sich nicht um die Kinder kümmern kann. FALSCH.
2. Alle Trennungskinder nehmen durch die Trennung psychischen Schaden und sind durch die Trennung geschädigt. FALSCH. Die Trennung kann eine Riesenerleichterung sein.
3. Vor Gericht sollte mehr über das Kind und weniger über das Recht gesprochen werden. Klingt zwar richtig, ist aber FALSCH, weil das dazu führt, dass Kinder im rechtsfreien Raum dem Bauchgefühl der restlichen Beteiligten ausgesetzt sind. Wenn das stimmen würde, bräuchte man kein Gericht, sondern nur Gesprächskreise.
Oder: Ich brauche keine Strategie für die Trennung, ich sage einfach immer die Wahrheit und dann wird die Gerechtigkeit siegen. Funktioniert nur bei Disney, im echten Leben, in denen subjektive Wahrheiten, Stereotypen und Überarbeitung eine Rolle spielen, geht das schnell nach hinten los.
Und noch einen Tipp zum Schluss: Woran erkenne ich einen guten Rechtsbeistand?
Ausnahmen bestätigen die Regel, aber grundsätzlich ist es besser bei speziellen Problemen auch zum Spezialisten zu gehen. Eine Herz-OP lässt man ja auch eher nicht vom Hausarzt durchführen. Im Zweifel immer nochmal in eine zweite Erstberatung investieren und schauen, ob die Chemie auch stimmt.
Danke, Karola, das war spannend und auch ein bisschen erleichternd. Für uns fühlt es sich nach diesem Interview so an, als ob wir tatsächlich Anwält:innen finden können, mit denen wir – auf Augenhöhe und mit viel Engagement von allen Seiten – gute Ergebnisse aushandeln können. Also an dieser Stelle auch noch mal eine absolute Follower-Empfehlung für Karolas Account!
Von Sara Buschmann