Angst beruhigen, Hoffnung nähren
Wenn wir vor Angst gelähmt sind, bringt das niemandem etwas. Ein Ausweg
In den vergangenen zwei Wochen hatte ich oft große Angst, in einer Nacht sogar furchtbare Panik. Als gegen zwei Uhr eine Eilmeldung auf mein Handy kam, wachte ich von dem Signalton auf und las, dass das größte AKW in Europa brennt. Ich war so aufgebracht, dass ich nicht mehr länger alleine sein konnte. Also zog ich mir meinen Mantel über und rannte zur Tür hinaus. Mein Kind schlief bei seinem Vater zwei Straßen weiter. Dort rannte ich hin, ließ mich leise selbst in die Wohnung und weckte Rotz und Wasser heulend meinen Ex auf – und seine Freundin, die mich in den Arm nahm.
Im Krisenmodus macht sich der Mensch bereit zu kämpfen oder zu fliehen, aber wir tranken einen Kamillentee und gingen anschließend schlafen. Dieses Aushalten von Ängsten kennen wir schon aus der Pandemie – mit dem Unterschied, dass die meisten von uns sich zuhause sicher fühlen konnten. Wie können wir also mit der neuen Angst umgehen – gerade wenn wir alleine sind, die Kinder abends im Bett liegen und die düsteren Gedanken sich breit machen? Vier erprobte Tipps.
Über Ängste reden
In der ersten Woche bin ich meiner Angst verfallen: Ich hatte das Essen eingestellt und keine Nacht länger als zwei oder drei Stunden geschlafen. Ich befand mich im emotionalen Ausnahmezustand und hatte das Gefühl, den Boden unter meinen Füßen längst verloren zu haben. In meinem Umfeld reagierten die meisten Menschen nicht so hochemotional auf die aktuelle Lage wie ich. Sie können ihre Angst aushalten oder beiseite schieben und immer noch am normalen Leben teilnehmen. Es schien mir unpassend, mich vor gefassten Menschen in meiner Panik aufzulösen. Aus Scham zeigte ich nach außen wenig von dem, was sich innen abspielte. Darüber hinaus dämmerte mir durch die relative Ruhe der anderen, dass mein Zustand ein Stückweit mit mir selbst zu tun haben musste.
Ich redete täglich mit mehreren Freund*innen oder meiner Familie und nährte mich so gut es geht von ihrer Ruhe. Wenn es mir schlecht ging, konnte ich jemanden anrufen. Das Problem dabei ist, dass man sich auch hierbei in eine Spirale begeben kann: Schlechte Gefühle – Gespräch – schlechte Gefühle – Gespräch … und das in immer kürzeren Abständen. Der Trost von außen konnte mich akut zwar beruhigen, aber er verpuffte kurze Zeit später wieder. Nachhaltig stabilisierend ist diese Strategie also nicht. Was machen die ruhigeren Menschen anders?
Hopescrolling statt Doomscrolling
Einige Menschen in meinem sozialen Umfeld lasen weniger Nachrichten als ich – abends die Tagesschau oder morgens die Zeitung, das war‘s. Ich hingegen hatte die Eilmeldungen der Zeit auf meinem Handy aktiviert, verfolgte den Live-Ticker und las mich in verschiedene Themen rund um den Krieg ein. In sozialen Medien las ich immer wieder, dass ich für meine mentale Gesundheit den Nachrichtenkonsum einschränken sollte. Gewarnt wurde vor sogenanntem „Doomscrolling“, also das exzessive Lesen von negativen Nachrichten. Das befördere nur die Untergangsstimmung und belaste somit die Psyche.
Aber ich suchte ja gar nicht nach schlechten Nachrichten, sondern nach Hoffnung – was ich machte, war Hopescrolling. Mit einer Freundin vereinbarte ich, dass wir uns gegenseitig alle Fundstücke aus dem Netz schicken würden, die Hoffnung machen. Wir schickten uns Schlagzeilen über Friedensverhandlungen, Expert*Innen-Interviews, jede Meldung, in der sich eine Seite zum Einlenken bereit erklärte und so weiter. Jeder Text brachte etwas Hoffnung. Und generell gilt: Nicht wild Nachrichten googeln! Ich halte mich an ein, zwei seriöse Nachrichtenwebsites und finde auch die Einordnungen auf Twitter vom Journalisten Lars Winkelsdorf beruhigend. Außerdem sind die Kindernachrichten bei Logo so konzipiert, dass sie nicht unnötig Angst schüren – also für ängstliche Menschen zu empfehlen, wenn Nachrichten schon sein müssen.
Auf die eigenen Gedanken achten
Trotz allem rutschte ich immer wieder in die Angst hinein. An manchen Tagen zeigte mein Körper starke Reaktionen, wenn ich nur die Nachrichten öffnete: Mein Körper begann zu zittern, mein Kiefer spannte sich an, mein Herz klopfte schnell, in meinem Bauch wirbelte ein Sturm umher, meine Brust zog sich zusammen, mir wurde übel. Ich scrollte sehr vorsichtig durch die Nachrichten als könnte sich mit jedem weiteren Text die Hölle vor mir auftun.
„Sie spielen ständig einen Horrorfilm vor ihrem geistigen Auge ab“, sagte meine Therapeutin zuletzt. „Schalten Sie ihn aus!“ Leichter gesagt als getan. Mein Gehirn hört nicht auf, sich das Schlimmste auszumalen, weil ich für das Schlimmste keine akzeptable Lösung kenne. Dadurch legt es diesen Fall nicht ad acta und rollt ihn immer wieder neu auf. Der ewige Doom-Gedankenkreisel ist auch nicht besser als Doomscrolling. Nützt alles nichts. Wie kommt man da raus?
Meine Therapeutin sagt: „Achten Sie auf Ihre Gedanken. Wenn Sie wieder den Horrorfilm abspielen, legen Sie sich die Hand auf die Brust und trösten sich. Und dann denken Sie aktiv an etwas anderes.“ Und genau das mache ich seit ein paar Tagen – es hilft. Ich sage mir selbst, dass diese Gedanken nicht hilfreich sind, dass es mir jetzt gut geht und denke an den kommenden Sommer, an Picknick und mein Kind. Dadurch löst sich die Angst wieder auf.
Gefühle fühlen
Auf unsere Gedanken zu achten bedeutet aber nicht, dass wir uns nur noch gut fühlen können. Ich spüre immer noch häufig körperliche Symptome meiner Angst: besonders zittern, starkes Herzklopfen und den Tornado im Bauch. Aber anstatt mich weiterhin anzuspannen und die unangenehmen Gefühle in die hinterste Ecke zu drücken, atme ich jetzt tief ein und aus, spüre die Symptome und gebe Ihnen meine Aufmerksamkeit. Schon klar: Wenn man Angst hat, erscheinen Achtsamkeitsübungen völlig abwegig, schließlich will man sich verdammt noch mal in Sicherheit bringen und nicht ruhig atmen! Daher ist der schwierigste Schritt bei akuter Angst, sich eben doch auf das Atmen und Fühlen einzulassen. Aber hat man das geschafft, löst sich der Nebel im Gehirn und der Tunnelblick weitet sich wieder. Dadurch können wir die Situation anders bewerten.
Warum das dem Körper und der Psyche gut tut, hat die Hirnforscherin Bill Jolte Taylor herausgefunden: Normalerweise sollen Emotionen nur 90 Sekunden andauern, wenn wir sie aktiv und achtsam spüren, sagt Taylor. Und tatsächlich habe ich das Gefühl, dass sich der Tornado in meinem Bauch ausbreitet wie die Wellen in einem See, nachdem man einen Stein mitten ins Wasser geworfen hat. Sie können abklingen, indem sie sich ausbreiten. Ich spüre mehrmals täglich in mich hinein und manchmal auch nachts, wenn es notwendig ist.
Was noch hilft
Weinen, spazieren gehen, Sport machen – alles, was Stress abbaut, ist gut. Normalerweise gehe ich genau aus diesem Grund zwei bis drei Mal pro Woche für eine Stunde zum Sport. Im Moment schaffe ich das noch nicht. Allein die Vorstellung, ins Fitnessstudio zu gehen, ist für mich gerade noch absurd. Stattdessen versuche ich meinen Alltag zu bewältigen und nicht all zu viel liegen zu lassen. Ich treffe Freund*innen so oft es geht und ich weine in mein Kopfkissen. Wären meine Angstzustände noch schlimmer geworden, hätte ich die Notfallseelsorge angerufen oder hätte mir Medikamente verschreiben lassen. Manchen Menschen hilft es, sich einen Plan B zurechtzulegen.
Anderen helfen
Ich habe immer noch Angst, aber sie lähmt mich nicht mehr. Ich kann mein Kind gut versorgen und Menschen unterstützen, die es dringend brauchen. Im Moment kommen viele Mütter mit Kindern in Deutschland an, die hier zunächst alleinerziehend sein werden. Darum wird gerade vieles gebraucht: Zum Beispiel kann man fliehenden Menschen auf www.unterkunft-unkraine.de ein Bett anbieten – dort habe ich mich vor etwa einer Woche registriert, aber gerade außerhalb Berlins werden wohl noch Unterkünfte benötigt. Außerdem gehe ich auf Demonstrationen und habe für eine geflüchtete Familie den ersten Einkauf übernommen. Aber auch Geld und andere Sachspenden werden benötigt, etwa an das Deutsche Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen oder die AWO. Hier gibt die Tagesschau Tipps, wie man effektiv helfen kann.
Von Anne Dittmann