Die letzten Männer des Westens
“Der westliche Mann wird unterdrückt und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.” So oder so ähnlich klingt das immer lauter werdende Kriegsgeheul der Antifeministen. Man hört es von aggressiven Maskulisten und Internet-Hetzern, von testosterongesteuerten Sexisten und von neurechten Frauenhassern.
Autor und Regisseur Tobias Ginsburg hat sich diesen Männern angeschlossen, um undercover herauszufinden, woher diese Ängste und der Hass kommen — und um ein Buch zu schreiben.
Wir haben mit Tobias über die Arbeit zu seinem Besteseller “Die letzten Männer des Westens” gesprochen.
Tobias, wie bist Du auf diese Szene aufmerksam geworden und weshalb hast Du Deine Recherchen in den Maskulisten-Kreisen begonnen?
Für mein neues Buch habe ich weit über ein Jahr undercover in rechtsextremen Netzwerken recherchiert. Dabei ging es mir in erster Linie darum, diese Verbindung von Rechtsextremismus, Männlichkeitswahn und Frauenhass zu begreifen. Antifeminismus ist so eine Art Klebstoff, der die rechte Szene und seine verschiedenen Milieus zusammenhält – aber er macht sie auch anschlussfähig an die bürgerliche Mitte. So bin ich auf diese maskulistische Szene aufmerksam geworden. Das sind in erster Linie Männer, die glauben in einem „Matriarchat“ zu leben, von Frauen unterdrückt zu werden und sich gegen eine feminisierte Gesellschaft — auf welche Art auch immer — zur Wehr setzen zu müssen.
Magst Du ein bisschen von Deinen “Undercover-Ausflügen” erzählen? Wo warst Du überall und wie hast Du Zugang gefunden?
Seit über zehn Jahren schleuse ich mich immer wieder in Szenen und Welten ein, in die man wirklich keinen Fuß setzen sollte. Ich will das, was mir Angst macht, begreifen, will die Menschen dahinter und das, was sie in den Extremismus hineinreißt, verstehen lernen. Also spreche, arbeite und lebe ich mit ihnen – teils wochen- oder monatelang. Ich versuche ihren Hass irgendwie nachzuvollziehen. Das ist dann zwar immer noch bedrückend und macht diese Menschen nicht weniger gefährlich, aber das Verstehen, der Blick hinter die Kulissen, nimmt ihnen ihre Bedrohlichkeit.
Es sind oft traurige, aber auch bizarre und komische Geschichten, die man dort erlebt und über die ich dann meine Bücher und Texte schreibe: Ich lebte unter Reichsbürgern, trank mit Islamisten Tee und wurde Teil einer Sekte. Für mein Buch „Die letzten Männer des Westens“ hatte ich eine weite Reise hinter mich zu bringen. Ich besuchte ja nicht nur maskulistische Gruppen und Veranstaltungen, sondern schloss mich faschistischen Rappern an, schlich mich bei Identitären und neonazistischen Burschenschaftlern ein sowie bei der amerikanischen Alt-Right und in ein international aktives Netzwerk saugefährlicher Fundamentalisten. Das sind antidemokratische Netzwerke, die hinter dem Abtreibungsverbot in Polen stehen und in ganz Europa gegen die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten vorgehen.
Uns interessiert in diesem Zusammenhang insbesondere der Blick auf Mütter und Familienstrukturen. Wir engagieren uns ja für alleinerziehende Frauen. Gemeinsam mit anderen Organisationen werden wir deshalb immer wieder von Maskulisten und radikalen Väterrechtlern angefeindet. Welche Erfahrungen hast Du in diesem Bereich sammeln können?
Ich wollte ja wirklich verstehen, also ging ich zunächst zu einer harmlos wirkenden Veranstaltung der „Liberalen Männer“. Das klang ja irgendwie vertretbar: eine FDP-nahe Männerrechtsorganisation. Und dann trafen sie sich auch noch zur Klausur auf dem Herrenberg – für mich als Literat also perfekt.
Dort hatte ich Männer erwartet, die sich übergangen oder diskriminiert fühlen – und ich habe gehofft. Denn es gibt ja tatsächlich Themen, über die man reden kann und sollte: Obdachlosigkeit, Drogensucht oder Suizid sind etwa alles Dinge, von denen Männer* statistisch sehr viel stärker betroffen sind als Frauen*. Diese echten Probleme anzugehen, schreiben sich die Maskulinisten auch immer auf die Fahne. Aber davon war dort dann kaum was zu hören. Die Männer steigerten sich stattdessen in das Feindbild Feminismus hinein, in dem Glauben, gegen eine Übermacht kämpfen zu müssen. Und sie trugen dabei eine schwer verdauliche Aggression in sich, die teilweise in bizarren Gewaltfantasien mündete! Und sie kamen nicht von irgendwelchen Rechtsradikalen, das waren Gutverdiener aus der wohlig warmen Mitte der Gesellschaft.
Antifeminismus hat erstmal keine politische Heimat. Gekränkte Männer aller Art können da ansetzen. Über meine neuen Kontakt traf ich mich über Monate mit verschiedenen Menschen aus dieser Sphäre, besuchte auch den „Gender-Kongress“, die größten maskulinistischen Veranstaltung in Deutschland, deren Organisator ich kennenlernte. Dort konnte ich dann regelrecht sehen, wie gekränkte Männlichkeit und skurrile Bedrohungsszenarien von rechten Akteuren, die dort auftraten, genutzt werden.
Kannst Du uns ein wenig über die Netzwerke und Hintergründe dieser Männer erzählen?
Ich warne immer davor zu pauschalisieren. Wir haben es hier mit einem sehr weitläufigen und diffusen Netz zu tun und mit sehr unterschiedlichen Typen. In der sogenannten Manosphere, dem digitalen Raum der Maskulisten, trifft man auf tatsächlich verzweifelte Väter, genauso wie auf pathologische Frauenhasser. Es gibt eiskalte Profiteure und schwerst labile Jungs, schmierige Verführungscoaches und ultratoxische Incels. So schwierig es also sein mag, von außen zu unterscheiden, darf man nicht glauben, wir hätten es mit einer einheitlichen Gruppierung zu tun. Manche davon sind wirklich super vernetzt und politisch aktiv, andere sind einfach nur widerliche Kerle, die ihre Nächte am Computermonitor verbringen. Aber das macht es nicht weniger gefährlich.
Das Problem ist nicht zuletzt das unvorstellbare Aggressionspotienzal, von dem vermutlich die meisten deiner Leserinnen viel besser berichten könnten, als ich: Wie viel Zeit viele dieser Maskus investieren, um im Netz ihren Hass zu verbreiten, wie viel Energie in die Belästigung und Bedrohung von Frauen und imaginären Feinden investiert wird, das ist erschreckend.
Was hat Dich in diesem Rahmen besonders überrascht?
Ach, Antifeminismus ist ja nichts neues — den gibt es so lange, wie den Feminismus selbst. Aber wie brutal einfach es ist, aus gekränkten Männern Krieger zu machen, das hat mich erstaunt! Frauenhass, Männlichkeitsversprechen und Masku-Gelaber wurde in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Rekrutierungsinstrumente der Antidemokraten.
Woher glaubst Du, kommt das Feindbild “Frau”?
Weil es dieses patriarchale Versprechen gibt: Jetzt gerade kriegst du zwar richtig hart aufs Maul, aber irgendwann kannst du es auch nach oben schaffen – und dann kannst du nach unten treten. Und wenn du ein richtiger Mann bist, schaffst du es auch nach oben. Kämpfe für deine Identität, für deine Existenz, für deinen Penis!
Das absurde ist ja, dass gerade diese Menschen, die unten liegen und behaupten, es gäbe kein Patriarchat, Opfer des Patriarchats sind. Denn das bedeutet ja nicht, dass „die Männer“ „die Frauen“ beherrschen. Sondern, dass ganz wenige Männer und noch viel weniger Frauen die Macht haben und der Rest verliert.
Aber an dem Aufstiegsversprechen halten viele Männer fest, egal ob unter Maskus, in Burschenschaften, auf Kollegah-Konzerten oder in Neonazi-Kreisen. Frauenhasser will ja eigentlich keiner sein. Und auch nur die wenigsten geben das zu. Im Zweifelsfall heißt es “Ich kann ja gar kein Frauenhasser sein, ich habe nämlich eine Mutter und hatte schon mal Sex” oder so. Aber auch die, die sagen, sie wollten nur „wahre“ oder „natürliche Geschlechtergerechtigkeit“ sind letztlich bloß auf ihre eigene Identität bedacht, das Männlichkeitsbild, dass sie nicht erreichen können, weil die vom „Feminismus verseuchten“ Frauen sich schlecht benehmen.
Müssen Frauen ernsthaft Angst vor diesen Gruppierungen haben?
Angst bringt nichts. Und Angst ist auch nicht angemessen: Wenn Frauen, nein, wenn irgendwer anfängt sich vor solchen Menschen zu fürchten, dann haben sie gewonnen.
Es geht darum, die Gefahr ernst zunehmen und zu verstehen, mit was für Ideologien und mit welchen Menschen wir es zu tun haben. Zu verstehen, wie man aufklären und wie man ihnen entgegentreten kann. Denn so nehmen wir ihnen ihre Kraft.
Und ich kann nur hoffen, mit meiner Arbeit einen auch nur irgendwie gearteten Beitrag leisten zu können.
Über den Autor
Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung.
- Rowohlt Polaris
- 336 Seiten
- ISBN: 978-3-499-00353-0
Von Sara Buschmann