Interview mit Verena Frensch von Fair für Kinder
In jeder Hinsicht benachteiligt
Der Verein “Fair für Kinder” engagiert sich für die Abschaffung des Ehegattensplittings und eine gerechte Besteuerung für Alleinerziehende.
Wir haben, passend zum Jahresstart 2022, mit Gründungsmitglied Verena Frensch gesprochen und sie zu den aktuellen Entwicklungen befragt.
Verena, Ihr kämpft seit Jahren für die Abschaffung des Ehegattensplittings. Warum und wie? Erzähle doch bitte mal von Eurer Arbeit.
Wir sind alle von einem ungerechten Steuersystem betroffene aktuell oder ehemals alleinerziehende Elternteile, die die Härte des Systems zu spüren bekommen haben:
Wir erhalten keine Unterstützung bei der Betreuung unserer Kinder, müssen diese zusätzlich zur alleinigen Versorgung selbst finanzieren oder erbringen und werden aber nahezu wie Singles besteuert. Im Vergleich zu verheirateten Paaren sind wir in jeder Hinsicht benachteiligt.
Wir klären mit Kampagnen und Aktionen über diesen Missstand auf. Unsere Mitstreiterin Reina Becker ist aufgrund ihrer Aktivitäten und ihrer Expertise häufig in der Presse. Bei unserer letzten Kampagne kamen viele prominente Menschen zu Wort. Über diese Solidarität haben wir uns sehr gefreut!
Unsere aktuelle Kampagne sieht so aus, dass Alleinerziehende eine Postkarte bei uns beziehen können mit einem vorgedruckten Einspruchstext zu ihrem Steuerbescheid. Die Postkarte hat einerseits symbolischen Wert und wir wünschen uns, dass so viele wie möglich davon in deutschen Finanzämtern landen. Und sie hat andererseits auch einen faktischen Wert: Alleinerziehende könnten rückwirkend finanziell profitieren, sofern die anhängigen Verfahren beim Bundesfinanzhof verhandelt werden und zugunsten der Alleinerziehenden entschieden werden sollten. Mehr Informationen dazu findet ihr auf unserer Website www.fairfuerkinder.de.
Was bedeutet das Ehegattensplitting eigentlich insbesondere für Alleinerziehende?
Das Ehegattensplitting begünstigt die Ehe, nicht aber die Pflege und Erziehung von Kindern. D.h., das Ehegattensplitting ist eine steuerliche Begünstigung für Trauscheine, nicht für Familien. Diese Vergünstigung fällt – abhängig von der Einkommensverteilung und -höhe – sehr großzügig aus. In 2021 waren es etwa bis zu 18.321 Euro.
Das wirkt nicht nur diskriminierend für Familien ohne Trauschein, sondern insbesondere für Alleinerziehende, denn uns fehlt nicht nur die steuerliche Begünstigung, sondern zusätzlich erfüllen wir mehrere Rollen gleichzeitig, die in Partnerschaften auf zwei Schultern lasten:
Kinderbetreuung und Hausarbeit müssen zusätzlich zum Lohnerwerb allein erbracht werden. Ein Teilzeitjob reicht meist nicht für den Lebensunterhalt einer Familie. Fremdbetreuung will organisiert und finanziert werden. Für Ein-Eltern-Familien bedeutet all dies eine kräftezehrende Zerreißprobe und eine enorme finanzielle Belastung sowie eine große Ungerechtigkeit hinsichtlich ihrer Wahrnehmung und Unterstützung in Gesellschaft und Politik.
Wir finden: Familie ist dort, wo Kinder sind und nicht ein Trauschein! Deshalb sollten Familien – und zwar alle Familien und dazu zählen auch Ein-Eltern-Familien – finanziell stärker entlastet werden.
Würdet Ihr mal erzählen, wie Ihr gestartet seid und was die persönliche Geschichte von Reina Becker mit dieser Gründung zu tun hatte?
Ich öffnete 2017 im Februar meinen Steuerbescheid und fiel fast um: Das war das erste Mal, dass mir die Ungerechtigkeit meiner Besteuerung als Alleinerziehende klar wurde. Kurz zuvor hatte ich in der Kita in München zu hören bekommen, ich hätte bei der (kostenpflichtigen) Hortplatz-Vergabe keinen bevorzugten Anspruch gegenüber doppelverdienenden Ehepaaren.
Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Ich kontaktierte noch am selben Tag Reina Becker, die ich zum Thema Besteuerung Alleinerziehender im Internet recherchiert hatte. Reina klagt seit über 10 Jahren quer durch die juristischen Instanzen gegen die ungerechte Besteuerung von Alleinerziehenden. Derzeit sind mehrere Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und verschiedenen Finanzgerichten anhängig. Reina ist selbst Steuerberaterin, also Expertin und gleichzeitig Betroffene:
Als ihre beiden Kinder noch klein waren, verstarb plötzlich ihr Mann. Von einem auf den anderen Tag war sie alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern, Unternehmerin mit einer Steuerkanzlei und Ernährerin der Familie – und sie musste erheblich mehr Steuern zahlen als sie hätte zahlen müssen, wenn statt ihres Mannes eines ihrer Kinder gestorben wäre.
Vor vier Jahren haben wir den Verein “Fair für Kinder” gegründet, weil wir Reinas Kampf für mehr Gerechtigkeit unterstützen wollen. Das Steuergesetz ist nicht nur verstaubt und hält an alten Rollenbildern fest, es ist auch zutiefst diskriminierend.
Als nächstes mobilisierten wir politisch aktive Freunde in Berlin. So gründete sich in den kommenden Wochen unsere über Deutschland verteilte Initiative mit dem Ziel, zur Bundestagswahl 2017 auf die Missstände unseres Familienbesteuerungssystems aufmerksam zu machen.
Nun ist eine neue Regierung im Amt und es wird sich bezüglich Eures Anliegens wieder wohl wieder nichts ändern. Überrascht Euch das und wie erklärt Ihr Euch diesen Umstand?
Helmut Kohl hatte schon 1982 bei seiner Antrittsrede versprochen, das Ehegattensplitting zugunsten eines Familiensplittings abzuschaffen. Seither hat sich nichts getan. Ein Schelm, wer hier Böses denkt: dennoch profitieren natürlich gerade die Entscheider von dem existenten System. Vielleicht ein Grund dafür, warum seit Jahrzehnten an einem Relikt aus einem längst überholten Gesellschaftssystem festgehalten wird, obwohl es Teile der Gesellschaft strukturell benachteiligt und nachweislich Kinderarmut und Altersarmut der Frauen und Mütter begünstigt.
Wir präferieren gegenüber dem immer wieder angeführten Familiensplitting eher eine Individualbesteuerung mit deutlich erhöhtem Kindergeld und Kinderfreibeträgen, weil diese Änderung nicht nur den Besserverdienenden, sondern allen Betroffenen zugunsten käme.
Was bedeutet das Festhalten am Ehegattensplitting für Eure Arbeit?
Wir sind hier ehrlich: Das Wahlergebnis ist entmutigend. Mit einer Regierung aus SPD und Grüne in der Mehrheit hätten wir uns im Koalitionsvertrag eine deutliche Aussage gewünscht. Beide Parteien hatten sich im Wahlkampf für eine Reform des Ehegattensplittings ausgesprochen.
Wir hatten während des Wahlkampfes eine Testimonial-Kampagne gestartet. Es war toll zu sehen, wie viele und zum Teil prominente Menschen – Schauspieler*innen, Künstler*innen, Autor*innen, Journalist*innen – sich daran beteiligt und sich eindeutig für eine Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer gerechten Entlastung für Familien und Alleinerziehende ausgesprochen haben. Uns hat sogar ein Familienvater angeschrieben, der selbst vom Splitting profitiert und gesagt: “Ich unterstütze den Kampf von Reina Becker und Eure Arbeit, denn es ist Zeit, dass wir dieses Relikt endlich loswerden.” Man hat den Eindruck: Die Gesellschaft ist weiter als die Politik.
Was das Festhalten am Ehegattensplitting für unsere Arbeit bedeutet? Na, wir machen weiter!
Zwei unsere Mitglieder haben dieses Jahr einen Kraftakt geleistet, um diese Testimonial-Kampagne auf die Beine zu stellen und es bedarf wieder großer Kraftanstrengung, um sich zu motivieren, weiterzumachen. Dennoch ist die Weiterverfolgung unserer Anliegen alternativlos. Auch, wenn wir alle auch bei einem Erfolg nicht mehr davon profitieren würden.
Wer gehört bislang zu Eurem Team bzw. wer engagiert sich bei “Fair für Kinder” und wie kann man Eure Arbeit unterstützen?
Unser Vorstand und harte Kern besteht aus den drei Gründungsmitgliedern Reina Becker, Dr. Esther Konieczny und Verena Frensch; hinzu kam Delia Keller, die mit Esther auch die jährlich in Berlin stattfindende Demo „Es reicht für uns Alle“ gegen Kinderarmut mit ins Leben gerufen hat.
Wir engagieren uns alle ehrenamtlich, sind aber oft ganz schön überbelastet. Deshalb benötigen wir dringend weitere Mitstreiterinnen für die Sache: Wir würden uns v.a. über Unterstützung im Bereich Social Media/Community Management, Campaigning, Fundraising und Pressearbeit freuen.
Wir freuen uns auch immer über Spenden, die uns helfen, Druckkosten zu finanzieren oder Reichweitenverstärker in den sozialen Medien zu buchen.
Natürlich hilft uns auch das Verbreiten der Kampagnen im Netz und auch jede Form von Sichtbarkeit.
Danke, Verena, für das informative Gespräch und die Argumente, die ihr uns damit an die Hand gegeben habt.
Von Sara Buschmann