Wenn Papa Mama wird

In seinem neuen Roman erzählt Tankred Lerch die berührend komische Geschichte eines alleinerziehenden Vaters, dem es schwer fällt zu erkennen, dass er, obwohl männlich, die klassische Mutterrolle einnimmt. Er bedient sich in seiner Geschichte aus seinem eigenen Erfahrungsschatz, ohne autobiografisch zu sein. In der folgenden Kolumne hat Tankred uns in seine Recherchewelt mitgenommen und gibt einen ersten Einblick in seine Erfahrung als „Mama“.

Zeit meines Arbeitslebens (hauptsächlich in den Medien) habe ich immer lieber mit Frauen zusammengearbeitet, als mit Männern. Weniger Testosteron. Dissense werden sachlicher geklärt, helfende Hände schneller gereicht, es geht um die Arbeit und weniger um das Ego. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber es sind dann eben auch Ausnahmen und nicht die Regel. 

Wenn ich nicht irgendwas schreibe, arbeite ich gerne im Laden einer Freundin und verkaufe „ethical fashion for women & men“. Letzte Woche kam vormittags ein junges Paar mit einem nicht ganz einjährigen Kind (Tony). Während die Mutter Tony davon abgehalten hat, den gesamten WINTERSALE vom Tisch abzuräumen, ihn bespielt und gefüttert hat, hat der junge Vater sich neu eingekleidet. „Er macht jetzt Elternzeit. Jetzt kann er endlich mal in Ruhe shoppen gehen“, hat sie mit einem die Überforderung überspielendem Lächeln gesagt. Ich habe dann doch fragen müssen, ob das denn der Sinn seiner Elternzeit wäre? Sich neu einzukleiden? „Ach, er arbeitet doch sonst so viel und es ist ja auch nur ein Monat.“

In Ermangelung an babygerechten Spielsachen, haben wir dann gemeinsam mit Tony die neu eingetroffenen T-Shirts sortiert, während der Herr des Hauses neben der Anprobe per Handy seine Kollegen fernmündlich an seiner Elternzeit teilhaben liess. „Nee, gar nicht. Man entwickelt eine ganz enge Bindung zum Kind, aber nächste Woche komme ich ja schon mal wieder für zwei Tage rein.“ Der Mutter war ganz deutlich anzusehen, dass diese Information auch für sie neu war.

Für die Recherche zu „Hope – oder wenn Papa Mama wird“ habe ich viel Zeit auf Spielplätzen verbracht und Gespräche geführt und belauscht. Hauptsächlich – und wir bewegen uns da in einem Rahmen von ca. 90 % – mit und von Müttern. Die Väter sind manchmal zum Abholen gekommen. Hauptsächlich – und hier bewegen wir uns in einem Rahmen von ca. 70 % – weil sie mehr verdienen als ihre Frauen oder Lebenspartner:innen. Mehr als die Hälfte der Frauen, die ich auf den Spielplätzen kennengelernt habe, lebt in Scheidung oder trennt sich gerade vom Erzeuger des Kindes. Aus unterschiedlichen Gründen, oft geht es um Gewalt. Nur in einem Fall (von mindestens einem Dutzend) funktionierte das bis dato ohne finanzielle Repressalien, die oft von nach Streitwert honorierten Rechtsanwält:innen befeuert wurden. Interessanterweise bestand bei der juristenden Spezies (zumindest bei meinen Recherchen) eine Parität der Geschlechter. Was aber letztendlich nichts daran ändert, dass die hauptsächliche Verantwortung für die Tagesabläufe der Kinder größtenteils in Frauenhänden liegt. 

Sind Frauen erkältet, erledigen sie was zu erledigen ist und setzen sich dann danach mit einer Wärmflasche aufs Sofa. Bei meinem Geschlecht artet es im gleichen Fall schnell zur gefährlichen Männergrippe aus, einhergehend mit absoluter Handlungsunfähigkeit. 

„Hope – oder wenn Papa Mama wird“ ist eine Komödie. Das Hauptziel ist es, Leser:innen zu unterhalten. Und ich hoffe, dass es gerade den Leserinnen (absichtlich nicht gegendert) Freude macht, dem Struggle eines alleinerziehenden Vaters zu folgen. Ein Struggle, der de facto genau dem der alleinerziehenden Mutter entspricht, aber eben auf „Männerebene“ gelöst wird. 

Als Autor hat man die Aufgabe, seine Figuren möglichst in die Hölle zu schicken und sie dann wieder rauszuholen. Bei diesem Roman ist mir das deutlich schwerer gefallen als bei anderen Büchern oder Drehbüchern, weil viele der geschilderten Erfahrungen autobiografisch sind. Streng genommen war ich kein richtig alleinerziehender Vater. Die Mutter meiner Tochter und ich waren aber schon kein Liebespaar mehr, als ihr klar wurde, dass sie schwanger war. Auch wenn wir beide recht jung waren (oder vielleicht gerade deswegen), hatten wir – im Gegensatz zu unseren Eltern – kaum Bedenken, den Versuch zu wagen, ein Kind in einer unkonventionellen Familiensituation, in zwei Wohnungen, in zwei Leben, großzuziehen. Die Mutter musste ausbildungsbedingt viel unterwegs sein und sich kinderunfreundlichen Arbeitszeiten beugen. Weil ich beruflich schon etwas solider war und einen ziemlich freundlichen Arbeitgeber hatte, der nichts dagegen hatte, wenn ich vormittags ein Kleinkind mit ins Büro brachte, fiel mir in den ersten zwei Jahren die Hauptbetreuung zu. Wenn ich mir Bilder aus der Säuglings- und Kleinkindzeit meiner Tochter anschaue, neige ich dazu zu glorifizieren und merke, wie ich die Momente der Überforderung verdrängt habe. Die Viertelstunden, die ich mich einfach mal kurz im Bad eingeschlossen habe, um alleine zu sein. Einfach mal in ein Handtuch zu schreien oder leise zu weinen. Um danach wieder rauszugehen und das Kind liebzuhaben wie sonst nichts auf der Welt. In den ersten zwei Jahren ihres Lebens hat sich für mich viel geändert. Eigentlich alles. Keine Partys, keine Clubs, keine Kneipen, kein Kino, keine Dates. Tinder gab es noch nicht. Wenn doch mal was ging, dann nur mit Babysitter. Die Großeltern konnte man nicht mal schnell einspannen, weil sie 500 km entfernt lebten. Dort, wo eigentlich auch mein Zuhause war. Ich habe meine Tochter überallhin mitgenommen, wo es ging. Und fast immer habe ich das sehr gerne getan und die Zeit genossen. Klar gab es Babysitter. Aber die kosten erstens Geld und: Will man sein kleines Kind jemandem anvertrauen, den man nicht wirklich gut kennt? Wenn ich nicht nette Kolleg:innen und Nachbar:innen gehabt hätte, von denen sich immer wieder mal jemand angeboten hat, auf das Kind aufzupassen, wäre ich nach Büroschluss schon ziemlich sozial verarmt. Und Netflix gab es auch noch nicht. Ich bin in dieser Zeit immer wieder darauf gestoßen, wie ungewöhnlich es für meine Mitmenschen gewesen ist, mich in einer Mutterrolle agieren zu sehen. Als ich begonnen habe, dieses Buch zu schreiben, habe ich gedacht, dass sich das längst geändert hätte. Doch egal, wo ich mich zu Recherchezwecken herumgetrieben habe, ob auf Spielplätzen, in Kitas oder Warteräumen von Arztpraxen – ich war fast überall von Müttern umgeben. Und wenn ich mich mit ihnen unterhalten habe, hatten alle vor der Geburt ihrer Kinder den Plan, dass beide Elternteile danach zu gleichen Teilen arbeiten gehen. Weil sich die Gesellschaft aber gedanklich schneller entwickelt hat, als Legislative und Verwaltungen mitgekommen sind, leben wir noch immer in einer Welt, in der ein Kitaplatz so schwer zu bekommen ist wie einst Bananen in der DDR. Eine Welt, in der Frauen viel öfter die Erziehungsaufgabe übernehmen, einfach weil die Männer mehr verdienen. Die Geschichte mit der Geburt können wir ihnen nicht abnehmen. Alles andere aber schon. Wir müssen nur dafür einstehen, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. Wir müssen dafür einstehen, dass Frauen für gleichwertige Arbeit nicht schlechter bezahlt werden als Männer, dass die Gemeinschaft dafür sorgt, dass Arbeitgebern keine Nachteile daraus entstehen, wenn sie Frauen in gebärfähigem Alter einstellen, und wir müssen den Männern immer wieder erklären, dass Kindererziehung ihrer Männlichkeit keinen Abbruch tut. Denn das tut es nicht. Gar nicht. 

Ich schwöre!

Wer schreibt?

Tankred Lerch wurde 1970 in Lübeck geboren, ist in Hamburg zur Schule gegangen, hat in Kiel Jura studiert und bei Radio Schleswig-Holstein volontiert. Seit 1997 lebt er in Köln, arbeitet als Autor, Headautor und Executive Producer oder als CEO und Head of Development für Film & Fernsehen (u.a. „extra 3“, „Stromberg“, „tv total“, „Krömer Late Night Show“, „andere Eltern“ und „LOL“,  lehrt seit 2013 als freier Dozent, hauptsächlich im Fach Medientechnik, Formatentwicklung, creative writing und audiovisuelle Dramaturgie an der FH St.Pölten. Mit Kurt Krömer bereiste er zweimal Aghanistan und schrieb mit ihm das Buch „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will“, das 2013 zum Bestseller wurde. Seitdem schreibt er Lehrbücher, Sachbücher u.a. „Erstma´ machen“ die Ralf Moeller Biografie, Romane „Die Hochzeit meines besten Freundes (mit mir)“, „Hope, oder wenn Papa Mama wird“, Short Stories („Warum, Silke, warum“) und weiterhin jede Menge Drehbücher.

www.tanked.com

Hope oder wenn Papa Mama wird
Roman

Ausgabe: Taschenbuch
Broschur, 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 12.03.2025
ISBN: 978-3-453-44284-9

Eine kurze Affäre mit der Unternehmerin Leonie hat für Nick ungeahnte Folgen: Er wird Vater – oder eher Mutter, denn Leonie will auf gar keinen Fall in diese Rolle schlüpfen. Sie überlässt die kleine Hope seiner Obhut. Nick stürzt sich mit nie gekannter Leidenschaft und großer Liebe in seine neue Aufgabe. Doch er hat weder mit den Widerständen gerechnet, die einem Mann in der klassischen Mutterrolle begegnen, noch mit den anderen Eltern, die ihn trotz aller lautstarken Gleichberechtigungsbekenntnisse auf dem Spielplatz misstrauisch beäugen und derer geheimnisvollen Spielplatzhierarchie und hitzigen Diskussionen um Gemüsekisten er nur schwer folgen kann. Und schon gar nicht hat er mit den Schwierigkeiten gerechnet, einen Kitaplatz zu finden und nebenbei erwerbstätig sein zu müssen. Um seine Finanzen auszugleichen, legt Nick sich zwei Untermieter zu. Die schließen zwar sofort Hope ins Herz, haben ansonsten aber einen eher zweifelhaften Leumund. Was dazu führt, dass Nick eine panische Angst vor einer Kontrolle des Jugendamts entwickelt ...

Von Tankred Lerch