Sollen Kinder die Wahrheit über den anderen Elternteil erfahren?

Wenn es ums Geld geht, wenn die Kids am Wochenende nicht mehr abgeholt werden oder wenn es einfach nicht so läuft, wie es laufen sollte, dann fragen sie viele Alleinerziehende: Sollen unsere Kinder die Wahrheit über den anderen Elternteil erfahren? 

Mein Name ist Antonia, ich bin 41 Jahre alt und lebe mit meinen beiden Kindern, neun und zwölf Jahre alt, im Norden von München. 

Sieben Jahre ist es her, dass ich mich nach einer fast zehnjährigen Beziehung vom Vater meiner Kinder getrennt habe. Zehn Jahre, die ich zumindest am Ende als hochgradig narzisstisch entlarven konnte und es deshalb geschafft habe, ihn und die Beziehung zu verlassen.

Was dann folgte, war ein Schauspiel, das viele, die hier mitlesen, aus eigener Erfahrung kennen werden. Und die anderen wahrscheinlich zum Kopfschütteln und zum Nachfragen anregen wird. 

Ich hatte auch viele Fragen. Direkt nach der Trennung und in den Jahren danach. 

Ich habe viel gelesen. Bücher und Texte mit Titeln wie „Als Paar getrennt, aber Eltern bleiben“ und so weiter. Wir wollten doch beide das Beste für unsere Kinder. Oder etwa nicht? 

Über dieses „Oder etwa nicht?“ möchte ich heute schreiben. Darüber, was es mit uns Müttern – ja, meistens Müttern – macht. Und darüber, wie wir eines der wohl größten Dilemmas in einer Trennungssituation am besten lösen können.

Was tun, wenn der andere Elternteil das Kind nicht mehr zum Umgang abholt? Wenn der andere Elternteil nicht mehr zahlt oder nie gezahlt hat und es dadurch zu Einschränkungen im Alltag kommt? Sollen die Kinder die Wahrheit erfahren?

Meine Antwort auf diese Frage ist ein klares „Ja!“

Als ich mich getrennt habe, waren meine Kinder sechs und zweieinhalb Jahre alt. Es war relativ schnell klar, dass die Kinder bei mir bleiben würden. Die ersten drei Monate habe ich Unterhalt vom Vater bekommen. Dann nicht mehr. Ohne Vorwarnung. Ohne Begründung. Ohne Entschuldigung. 

Nach sechs Monaten mit viel Umgangswirrwarr und Unzuverlässigkeit, auch den Kindern gegenüber, bin ich vor Gericht gegangen. Ich wollte sowohl den Unterhalt als auch den Umgang regeln lassen – zu unser aller Wohl. Nach hohen Gerichtskosten und viel zu viel verbrauchter Energie meinerseits kann ich das Resümee kurz fassen: Es hat nichts gebracht. 

Ich bekomme bis heute keinen Cent Unterhalt vom Vater und die gerichtlich festgelegten Besuchskontakte wurden kein einziges Mal eingehalten. Seit Herbst 2019 gibt es – auf Entscheidung des Vaters – keinen Kontakt mehr. 

Was ist auf der anderen Seite passiert? Also auf meiner? Gott sei Dank konnte ich meine damalige Stelle sehr schnell auf eine Vollzeitstelle aufstocken. Ich wollte den Kindern weiterhin alles bieten, was möglich war. Dabei bin ich ständig über meine Grenzen gegangen. Hat es jemanden interessiert? Nein. 

Und da kam die Ehrlichkeit ins Spiel. Kindgerecht und wertfrei. 

Am Anfang haben sie immer wieder gefragt, wann Papa wieder kommt. Sie hatten ja auch Gespräche mit der Verfahrensbeiständin geführt und wussten, dass wir versuchten eine Lösung zu finden. Aus dem Umfeld des Vaters wurde mir damals geraten: „Sag ihnen, dass der Papa viel arbeiten muss.“ Das kam für mich aber nie in Frage und ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass es mir leid tut. Dass der Papa möchte, dass die beiden bei ihm oder zumindest im Wechselmodell leben sollten. Dass wir anderen das aber nicht für den besten Weg hielten und dass Papa deshalb ganz auf die Umgänge verzichtet. Ich habe den Kindern jedes Mal gesagt, dass Papas Entscheidung nichts mit ihnen zu tun hat, dass das nicht ihre Schuld ist und dass wir das alle so akzeptieren müssen. 

Ob das die pädagogisch richtige Methode war oder ist? Ich weiß es nicht. 

Aber für mich war es in dem Moment die richtige Entscheidung. Oder umgekehrt: Fadenscheinige Ausreden zu finden, das fühlte sich von der ersten Sekunde an falsch an. Und würde im Zweifelsfall nur dazu führen, dass die Kinder weiter warten, hoffen – und wieder enttäuscht würden.

Beim Unterhalt ist es genauso. Meine Kinder wissen, dass Papa uns nichts zahlt. Auch damit war und bin ich ehrlich. 

Durch das Homeoffice – und das schon vor Corona – haben meine Kinder mitbekommen, dass Mama viel arbeitet. Auch da war ich immer offen. Mama arbeitet, weil das zum Leben dazugehört. Mama arbeitet, damit wir die Miete bezahlen können, Essen auf dem Tisch haben und in der Freizeit schöne Dinge erleben können. Mama arbeitet viel und oft lange, weil ich eben alleine das verdienen muss, was sich sonst zwei Erwachsene teilen. 

Im ersten Jahr nach der Trennung kam mein Sohn einmal von einem Besuchswochenende zurück und sagte: „Papa hat gesagt, er kann dir nicht mehr Geld geben, weil du dir eine Handtasche kaufst. Mama, das verstehe ich nicht, du hast noch nie eine Handtasche gekauft.“ 

Meine Kinder wissen, was es heißt, eine Familie zu ernähren, und sie wissen, was ich als Mama leiste. Sie sehen es! Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Sie wissen, dass es manchmal ganz schön viel ist und dass sie sich trotzdem immer darauf verlassen können, dass ich alles für sie tue und möglich mache.

Wenn es mal um teurere Wünsche oder Extras geht, überlegen wir gemeinsam, ob das jetzt wirklich nötig ist. Wir überlegen, was wir eventuell verkaufen können, um dann das Neue anzuschaffen, oder ob die Anschaffung auch bis Ostern, zum Geburtstag oder bis Weihnachten warten kann. Und das alles nicht nur „weil Mama es sich nicht leisten kann“, sondern weil sie ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, was man wirklich im Leben braucht. Und was eben nötig ist, um sich Dinge leisten zu können. 

Und wenn dann doch mal Trauer, Sorge oder Wut um die Ecke kommt, weil sie merken, dass ihnen etwas fehlt oder sie Fragen quälen, dann reden wir. Nicht beschönigend. Sondern: ehrlich und authentisch. 

War und ist es immer einfach? Nein. 

Ob das alles richtig und der beste Weg ist? Ja. Zumindest für uns! 

Und außerdem: Wenn ich ehrlich zu den Kindern bin, bin ich auch ehrlich zu mir. Es fühlt sich richtig an. 

Meine Kinder wissen und sehen, wie viele Familienmodelle es heute gibt. Sie kennen auch andere Familien und haben Freunde, bei denen die Eltern getrennt leben. Manchmal gibt es Kontakt zum Vater. Manchmal nicht. Sie sehen an meiner neuen Beziehung und an unseren Patchwork-Wochenenden, dass auch das Familie sein kann. Sie haben viele Bezugspersonen, auch männliche, auf die sie sich immer verlassen können. Und: Nach Papa wird schon lange nicht mehr gefragt.

Die Autorin

Antonia ist alleinerziehende Mama von zwei Kids. Durch ihre neue Partnerschaft ist sie außerdem Bonusmama und lebt jedes zweite Wochenende in einer Pachtwork-Konstellation.

Vom Alltag mit ihren Kindern und den Bonuskindern, wie es ist in Vollzeit zu arbeiten, von einer großen Portion Alltagsminimalismus und natürlich von ihren Erfahrungen in eine neue Beziehung zu starten, erzählt Antonia täglich auch auf Instagram auf dem Account mamaalltaginstark

Von Antonia Jage