RESET? Eine Reise in die Vergangenheit
Wieder ein Tag als alleinerziehende berufstätige Mutter geschafft, wieder im Job alles gegeben, das Kind pünktlich abgeholt und zum Training gefahren, während des Trainings joggen gegangen, danach schnell noch eine Kollegin zurückgerufen und beraten, in der Umkleidekabine ein paar Zahlen recherchiert und Mails raus geschickt. Wieder vergessene Flaschen eingesammelt, Freunde des Kindes nach Hause gefahren, Wunden versorgt, Abendessen gekocht, Vokabeln gelernt und Sorgen besprochen. Wieder neben dem Kind im Bett gelegen und den Tag Revue passieren lassen, dann noch Wäsche aufgehängt, eine Präsentation fertig gestellt, Rechnungen bezahlt, ein Geschenk für die Ex-Schwiegermutter bestellt. Ein Blick auf die Uhr – es ist kaum zu fassen, ich habe noch etwa eine Stunde Zeit für mich! Ich lege mich aufs Sofa und zappe durch die ZDF-Mediathek (Netflix und Prime habe ich gekündigt, um Kosten zu sparen). Eine neue Serie wird beworben – RESET.
Ich schalte rein und habe mir mit dieser Entscheidung den Abend, die Nacht und die nächsten Nächte verdorben.
Wie hat eine Fernseh-Miniserie das geschafft? Ich gebe zu, ich bin keine Fachfrau, was gute Unterhaltung oder gar gute Schauspiel- und Filmkunst angeht. Ich schaue selten fern, weil mir die Zeit fehlt, und wenn, dann seltener als ich es eigentlich möchte um mich zu informieren und häufiger als ich es zugeben würde um mich einfach berieseln zu lassen. Manchmal aber sehne ich mich doch nach guter, packender Unterhaltung, einem innovativen Konzept, nicht immer „Boy meets Girl“ und die üblichen Lovestorys inklusive Krise und Versöhnung. RESET liefert auf den ersten Blick genau das. Die grobe Story: Eine Frau erhält nach einem traumatischen Erlebnis die Möglichkeit in die Vergangenheit zu reisen und dort Dinge anders zu machen. „Wie weit wirst du gehen?“ ist die Frage, die die Serie – und man selbst sich auch – dabei stellt? Ab wann hat man einen Einfluss auf das Geschehene, was ist unvermeidbar, was sind Konsequenzen davon, anders zu handeln?
Wer, wenn nicht alleinerziehende Mütter kennen diese Fragen gut. Oder zumindest ich kenne sie gut. Was wäre gewesen, wenn…? Wenn ich mich nicht getrennt hätte? Wenn ich früher an meiner Beziehung gearbeitet hätte? Wenn ich einen anderen Mann geheiratet hätte? Wenn ich einen anderen Job gewählt oder mein Geld anders angelegt hätte, in eine andere Stadt gezogen, nicht auf den egozentrischen Typen reingefallen, hier weniger egoistisch, da mehr auf mich bezogen oder generell ganz anders gewesen wäre? Diese Fragen, so hinfällig sie sind, kreisen doch ab und an in meinem Kopf – umso spannender sich anzuschauen, wie dies filmisch umgesetzt wird.
Dass das tragische Ereignis der Selbstmord der Tochter ist, hat mich emotional total angefasst.
Natürlich denke ich auch an mein eigenes Kind und konnte wenig schlafen in der kommenden Nacht. Was, wenn auch ich irgendwann nicht mehr zu meiner Tochter durchdringe? Wenn ich keine gute Mutter bin, wenn ich es nicht schaffe ihr ein gutes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu vermitteln? Wenn sie an die falschen Freunde gerät, wenn sie depressiv wird, wenn… die Gedankenspirale dreht sich. Die Nacht ist für mich gelaufen.
Am nächsten Abend lasse ich den Haushalt schleifen, weil ich unbedingt wissen will, wie es weiter geht. Und am übernächsten auch. Zu meinen ersten Emotionen – Angst, Sorge, Selbstzweifel – gesellen sich Ärger und Wut. Wie kann ein öffentlich-rechtlicher Sender eine solche Serie einfach so in den Raum stellen? Die Story geht nämlich so weiter: Flo, beruflich erfolgreiche Fernsehmoderatorin, fängt nach dem Selbstmord ihrer Tochter an zu grübeln, was sie als Mutter falsch gemacht hat und wie sie den Tod der eigenen Tochter verhindern kann. Durch die Agentur „Plan B“ erhält sie die Gelegenheit in die Vergangenheit zu reisen – erst wenige Tage, dann viele Jahre. Sie reist zurück in die Zeit, als ihre Tochter mit der Schule beginnt, beschließt, den Job als Moderatorin ihrer eigenen Sendung nicht anzunehmen und sich stattdessen um die Kinder zu kümmern. Sie begleitet die Kinder in den Schlaf und ins Klassenzimmer. Sie fleht ihren Mann an sie nicht zu verlassen und rettet so ihre Ehe. Und siehe da – den Kindern geht es später natürlich super! Die Familie steht zusammen und die Kids sind zu selbstbewussten Teenagern herangewachsen. Am Ende aber bekommt Flo Krebs – das Schicksal hat also sie getroffen und nicht ihre Tochter – und in der letzten Szene hält sie ihr Gesicht dennoch lächelnd in die Sonne.
Was ist die Aussage hinter dieser Serie? Eine Mutter hat sich selbst aufzugeben, eine Mutter hat sich nicht zu trennen.
Trotz eigener Krankheit und in Angesicht des möglichen Todes lächelt sie, denn sie weiß: Sie hat ihr Kind durch ihre Aufopferung und ihren Verzicht gerettet. Das Bild einer Mutter aus den 50ern – Handelt RESET also auch in diesem Sinne von einer Reise in die Vergangenheit?
Weit gefehlt. Das Bild – berufstätige alleinerziehende Mutter gleich schlecht für das Kind – ist in unserer Gesellschaft immer noch tief verankert. Eine Mutter, die eigene Ziele verfolgt, Karriere macht, sich vielleicht sogar noch in einen jüngeren Mann verliebt? Rabenmutter! Kein Wunder, wenn es den Kindern schlecht geht! Die liebevolle Ehefrau, die die eigenen Ziele aufgibt, ist der Garant für die gute Entwicklung der Kinder. Ist klar. Von einem Vater, der Karriere macht, sich trennt oder nach der Trennung eine jüngere Partnerin hat, würde im Übrigen niemand schlecht denken. Ganz klar, dass auch in der Serie RESET der Vater keine tragende Rolle in der Entwicklung der Kinder hat. Wenn überhaupt, ist die Mutter auch noch dafür verantwortlich, die Beziehung des Vaters zur Tochter zu gestalten und diese im „Plan B“ zu verbessern.
Ich kann diese Vorurteile nicht mehr hören.
Rede ich mit Bekannten und Kolleg:innen, die diese Serie auch gesehen haben, treffe ich auf Unverständnis über meine krasse Verärgerung. Denn die meisten leben weiterhin eine Variante des klassischen Familienmodells. Daher sind sie auch nicht mit diesen Vorurteilen konfrontiert, wie ich es bin.
Aus Wut schreibe ich sogar dem ZDF eine Nachricht, erst per Mail – und dann mangels Reaktion auch per Instagram. Die Reaktion „Wir möchten betonen, dass es sich hier um einen rein fiktionalen Inhalt handelt“. Wollt ihr mich veräppeln? Die allermeisten Serien haben einen rein fiktionalen Inhalt, selbst solche, die auf wahren Begebenheiten beruhen – eine Serie, in der Zeitreisen möglich sind, macht da auch keine Ausnahme. Das ist mir klar. Aber auch Fiction hat Botschaften. Und die Botschaft dieser Serie hätte auch eine andere sein können, wenn man das gewollt hätte – ganz ohne die Idee hinter der Serie zu verwässern. Aber man wollte eben diese Botschaft senden. Oder war so ignorant, diese mögliche Interpretation gar nicht so zu sehen, weil es alles als so normal gilt in unserer Gesellschaft. Beides finde ich wirklich höchst kritisch.
Mir begegnen diese Vorurteile über berufstätige Mütter und alleinerziehende Mütter und über die Kombination aus beiden im Alltag ständig. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hätte ich gerne mal etwas gesehen, dass diese Vorurteile hinterfragt statt sie zu reproduzieren und sogar zu verstärken. Stattdessen werden die Menschen, die mir immer wieder vorwerfen, mich zu viel um meinen Job zu kümmern, mich getrennt zu haben, zu sehr auf mich selbst zu blicken oder von meinem Kind auch mal Selbständigkeit einzufordern, in ihrer Meinung bestärkt, dass das mit uns nur den Bach herunter gehen könnte. Dass mein Kind automatisch durch die Trennung und durch meine Berufstätigkeit später psychisch labiler sein wird als andere. Dass all das automatisch schlecht sei für das Kind. Stattdessen wird auch anderen alleinerziehenden, berufstätigen Mütter ein schlechtes Gewissen und schlaflose Nächte bereitet. Meine einzige Hoffnung: die meisten von uns sind abends ohnehin so kaputt, dass sie keine Zeit finden werden, sich diese Serie anzuschauen.
Über die Autorin
Laura heißt eigentlich anders, will aber anonym bleiben. Sie ist Anfang 40, arbeitet in einem internationalen Unternehmen, hat eine Tochter im Grundschulalter und ist seit 6 Jahren alleinerziehend.
© Headerbild: ZDF und Tina Krohn
Von Laura Schwan