Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran: Die Verantwortungsgemeinschaft, eine Idee, die auf der Stelle tritt
Als alleinerziehende Mutter suche ich ständig nach Lösungen, die mein Leben erleichtern. Der Entwurf der Verantwortungsgemeinschaft soll eine solche Lösung sein.
Justizminister Marco Buschmann bezeichnet das neue Rechtsinstitut* im Gespräch mit der Funke Mediengruppe als „echte Innovation“. Mich lässt der aktuelle Entwurf allerdings mit mehr Fragen als Antworten zurück. Und bisschen wütend macht er mich auch. Ich erkenne den Nutzen nicht.
Die Idee einer Wahlfamilie finde ich grundsätzlich super. Familie definiert sich für mich nicht ausschließlich über Verwandtschaft, sondern eben auch über Verantwortung und Fürsorge. Und ja, Menschen sollten auch außerhalb einer Ehe von diesen selbst gewählten Familienkonstellationen profitieren dürfen. Der Ansatz ist gut und richtig.
Doch während die Politik großspurig von einer Unterstützung für Alleinerziehende durch die neue Verantwortungsgemeinschaft spricht und diesen Entwurf als „familienrechtliche Innovation“ verkaufen möchte, scheint die Realität eine andere Geschichte zu erzählen.
Der Entwurf wirkt wie ein Flickenteppich aus Ideen, die es längst gibt und die im Alltag vieler Familien bereits gelebt werden. Die Verantwortungsgemeinschaft hilft wohl hauptsächlich Politiker*innen, die sich für ihre vermeintlich tollen Lösungen selbst auf die Schulter klopfen.
Alles lässt sich jetzt schon regeln – ohne Notarvertrag
Ich persönlich habe längst ein Testament, eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht. Das ist wirklich wichtig für Alleinerziehende. Dort kann zum Beispiel das Sorgerecht für die Kinder nach dem eigenen Tod geregelt werden. Oder auch die Erbfolge. Viele getrennte Eltern möchten wahrscheinlich dem oder der Ex nichts vererben. Das wäre aber über minderjährige Kinder und ohne Testament fast immer der Fall. Also, ist bei diesen Themen Wachsamkeit angesagt.
In meinem Testament wird beispielsweise geregelt, wer die Sammeltassen erbt, wer die Finanzen meiner Tochter verwaltet bis sie 18 ist und auch, wer meinem Vierbeiner ein schönes Zuhause geben soll.
All diese Regelungen, Vorschläge und Wünsche habe ich eigenständig getroffen, handschriftlich oder mit vorgefertigten Formularen niedergeschrieben und zum Abschluss mit ein paar persönlichen Grußworten an meine Liebsten versehen. Der Staat oder Minister Buschmann hatten damit rein gar nichts zu tun. Auch Kosten für einen Notar oder eine Notarin sind nicht angefallen. Das wäre bei Buschmanns Verantwortungsgemeinschaft anders. Sein Entwurf eines notariell geschlossenen Vertrags kostet Geld. Eine erste große Hürde für Alleinerziehende, die mit 43 Prozent akut von Einkommensarmut betroffen sind.
Wozu also eine vom Staat reglementierte und noch dazu teure Verantwortungsgemeinschaft, wenn diese gar nicht benötigt wird?
Wer von diesem Konzept profitieren soll, ist aus meiner Sicht unklar. Zuerst war von Verantwortungsgemeinschaften unter anderem auch im Stil von Wohngemeinschaften die Rede. In diesem Fall könnten jedoch Steuererleichterungen und staatliche Hilfen wie Unterhaltsvorschuss oder Wohngeld wegfallen. Das würde einige Alleinerziehende hart treffen und ihnen mehr schaden als nutzen. Mittlerweile hat das wohl auch die Politik bemerkt und in neueren Äußerungen zum Thema das WG-Beispiel ausgeklammert. Es scheint nun auch im Justizministerium angekommen zu sein, dass eine zweite erwachsene Person im Haushalt zur Streichung des offiziellen Alleinerziehenden-Status führt. Ups, Denkfehler, Herr Buschmann. Oder hat das Ministerium diese Idee ausgearbeitet ohne vorher mit Alleinerziehenden und entsprechenden Interessenvertretungen gesprochen zu haben?
Die Verantwortungsgemeinschaft könnte außerdem zu einem Hindernis für diejenigen werden, die zeitweise für ihre Kinder beruflich zurückstecken — meistens sind das Frauen. Denn: Sollte die Verantwortungsgemeinschaft zu einer „Ehe light“ avancieren, hätten care-arbeitende Mütter das Nachsehen. Eine gegenseitige Absicherung auch nach einer Trennung oder Scheidung, wie es aktuell etwa die Ehe vorsieht, bietet die Verantwortungsgemeinschaft nämlich nicht. Buschmann erklärt dazu: „Sie [die Verantwortungsgemeinschaft] wird keine Auswirkungen auf das Eltern-Kind-Verhältnis haben. Es wird keine Steuererleichterungen geben, auch keine erbrechtlichen Folgen oder Unterhaltspflichten.“
Eine Nebelkerze ohne echte Wirkung
Ich verstehe das so: Die Verantwortungsgemeinschaft bedeutet einen Schritt nach vorne zu gehen, dann jedoch wieder zurück und dabei laut auf sich aufmerksam zu machen. In etwa wie in diesem Kinderreim mit Hut, Stock und Damenunterrock: „Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran“. Es scheint, als versuche der Staat sich unter dem Deckmantel von Innovation und Toleranz mit einem fröhlich dargebotenen Ideechen aus seiner sozialen Verantwortung zu stehlen. Strukturelles wird ins Private geschoben und als „maximale Selbstbestimmung“ angepriesen. Wer alleinerziehend ist, kennt diese Praktiken schon.
Statt qualmender Nebelkerzen, ist es an der Zeit, dass unsere Regierung endlich echte Maßnahmen mit Wirkung und Konsequenzen ergreift. Ein erstes Ziel könnte sein, Ein-Eltern-Familien — und mit ihnen viele Kinder — aus der Armutsbedrohung zu holen.
Wie das geht?
Schafft die steuerliche Schlechterstellung von Alleinerziehenden ab, sorgt für Betreuungsplätze und hört auf stigmatisierende Geschichten über Arbeitsanreize zu erzählen, die alleinerziehende Mütter von staatlicher Seite benötigen würden. Statt Barunterhaltspflichtige zu entlasten, wie Buschmann es aktuell plant, sollten Unterhaltspreller deutlich rigoroser zur Kasse gebeten werden. Alleinerziehende und ihre Kinder sind keine Familien, auf deren Kosten über weitere Sparmaßnahmen nachgedacht werden darf. Im Gegenteil. Aktuell bekommen nur 25 Prozent aller Kinder Mindestunterhalt vom nichtbetreuenden Elternteil. Alle anderen weniger oder nichts. Das ist ein Skandal und Betrug am eigenen Nachwuchs. Und apropos Betrug: Verrechnet staatliche Leistungen wie Kindergeld zukünftig nicht mehr mit anderen Zuwendungen. Ein Kind im Unterhaltsvorschussbezug hat aktuell monatlich 250 Euro weniger zur Verfügung als andere Kinder. Ist das fair?
Ein Angebot ohne Nachfrage
Also, bleiben wir bei Hacke, Spitze, hoch das Bein. Lasst uns den Schwung nutzen und die Verantwortungsgemeinschaft mit einem kräftigen Tritt in die Tonne kicken. Lasst uns keine Zeit mit undurchdachten „Angeboten ohne Nachfrage“ verschwenden.
Mich persönlich ärgert dieser Vorschlag der Politik. Ich finde ihn übergriffig. Ich brauche keine vorgefertigten staatlichen Baukästen, um meine privaten Themen zu regeln. Und so geht es sicher dem meisten anderen Alleinerziehenden auch. Wir sind gute Netzwerker und Netzwerkerinnen. Mehr als die Hälfte von uns sehen bei gegenseitigen Besuchen mindestens wöchentlich Nachbar*innen, Freund*innen oder Bekannte und 69 Prozent der alleinerziehenden Mütter greifen bei der Organisation des Alltags auf ihr familiäres Netzwerk zurück. Wir sind mündig, stehen mitten im Leben und möchten selbstbestimmt bleiben – zumindest, was private Entscheidungen angeht.
Liebe Politiker und Politikerinnen, erarbeitet endlich echte Lösungen und bezieht die Betroffenen unbedingt in diese Lösungsfindung ein. Hört endlich auf, Alleinerziehende wie Familien zweiter Klasse zu behandeln und uns mit überflüssigen Ideen den Raum zu nehmen, den es braucht, um echte Verbesserungen herbeizuführen. Ringelpiez mit Anfassen spielen wir nämlich nur mit unseren Kindern. In der Politik verzichten wir darauf sehr gerne.
*Rechtsinstitut (auch Rechtseinrichtung und Rechtsfigur) bezeichnet die Summe der Rechtsgrundsätze, die durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zur rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Lebenssachverhalts entwickelt worden sind. Quelle Wikipedia
Sara Buschmann