„Non, je ne regrette rien!“ Warum Stolz und Scham als Alleinerziehende oft nah beeinanderliegen

Es war sicher nicht der Griesbrei, den ich an diesem Abend kochte. Eher schon die Tatsache, dass sein Papa den Brei so oft zubereitet hatte. Sein Papa, der seit einem halben Jahr nicht mehr bei uns wohnte. Monatelang war mein Sohn klaglos von einer Wohnung in die andere, von einer Welt zur anderen gewechselt – aber jetzt liefen ihm die Tränen über die Wangen, in meine Arme vergraben schüttelte es ihn: Er vermisste seinen Papa, den Griesbrei, die Welt, die für ihn, wenn nicht heil, so doch vertraut gewesen war. Das fühlte sich – auch für mich – verdammt traurig an.

Minutenlang strich ich meinem Sohn über den Rücken und versuchte dabei, nicht selbst in Tränen auszubrechen. In mein Mitgefühl mischte sich eine gehässige Stimme: „Du bist schuld! Schau, was du deinem Kind antust. Das hast du gründlich falsch gemacht!“

Als Mütter – und erst recht als Alleinerziehende – kennen wir diese, manchmal allzu laut gedachten, Gedanken ganz selbstverständlich: Auch, wenn wir unser Kind morgens um sieben noch müde und weinend in der Kita abgeben, um unserer Erwerbsarbeit nachzugehen. Wenn wir den Kindergeburtstag im Spieleland mit gekauftem Kuchen veranstalten und nicht zuhause mit Mottoparty und selbstgestalteter Piratentorte – einfach, weil uns Zeit und Nerven dafür fehlen. Wenn sich unsere Kinder streiten und wir denken: diesen aggressiven Ton kennen wir von uns selbst, wenn wir abends irgendwann nur noch wollen, dass der Tag zu Ende geht. Wenn wir als allein verantwortliche, alleinerziehende Mutter zwischen all den To-Dos jonglieren, die unseren Alltag täglich bestimmen. „Du hast versagt! Das kannst du besser! Du wirst deiner Verantwortung nicht gerecht!“ All die hässlichen kleinen Sätze. Aber warum fühlen wir uns schuldig? Was können wir dagegen tun? Und was ist Schuld überhaupt?

Ich fragte Psychologin Lea Beck-Hiestermann, wie ich als Mutter mit der Wahrnehmung, mich schuldig zu machen, umgehen kann. Ihre Antwort ist erst einmal verblüffend: „Schuld ist psychologisch ein sinnvolles Gefühl“, erklärt sie mir: „Es bedeutet, ich erlebe eine Situation als kontrollierbar. Wenn ich schuld bin, hätte ich auch anders handeln können. Für Menschen ist es oft noch schwerer, sich einzugestehen, dass sie gar keinen Einfluss auf eine Situation haben.“

Wie kann ich dann aber mit dem nagenden Gefühl der Schuld umgehen? „Wichtig ist, das Gefühl erst einmal anzunehmen“, so die Psychologin. „Es ist okay, dass ich mich schuldig fühle. Ich darf mir auf jeden Fall auch Unterstützung suchen, sei es durch gute Freunde oder eine professionelle Begleitung wie eine Familienberatung. Ich darf meine Gefühle von Schuld und Trauer auch meinem Kind gegenüber – natürlich in kindgerechter Weise – kommunizieren. Und es ist sicher hilfreich, zu hinterfragen, warum empfinde ich mich als schuldig oder gescheitert? Sind es meine eigenen Wünsche, die sich nicht erfüllt haben, oder sind es gesellschaftliche Erwartungen, zum Beispiel die meiner Eltern oder meines Freundeskreises, wie eine „richtige“ Familie auszusehen habe? Oft ist es einfacher, sich von äußeren Erwartungen frei zu machen als von eigenen Glaubenssätzen. Das überhaupt zu unterscheiden, kann schon helfen.“

Was kann ich also tun, um mein Selbstwertgefühl als Alleinerziehende wieder aufzubauen? „Ist mein Selbstwertgefühl grundsätzlich stabil, werde ich mich nach einer Trennung ziemlich sicher auch verunsichert fühlen, aber letztlich werde ich mich relativ rasch wieder erholen“, so Psychologine Beck-Hiestermann. Anders sieht es aus, wenn ich meinen Wert stark davon abhängig mache, eine Partnerschaft zu führen oder nur Vater, Mutter und Kind als vollständige Familie sehe. „In jedem Fall kann es hilfreich sein, wenn ich all die anderen Anteile, die neben meiner Rolle als Partnerin auch noch da sind, wie zum Beispiel die der kompetenten Mutter, der guten Freundin oder der verlässlichen Arbeitnehmerin, stärke, also die Bereiche, in denen ich mich nicht als defizitär erlebe“, so die Psychologin: „Ich darf nicht vergessen: Partnerin zu sein ist nur ein Mosaikstein meiner Persönlichkeit. Lebe ich all die anderen Anteile, verliert auch die Verletzung in diesem Bereich allmählich an Bedeutung.“

Ich möchte wissen: Was sind konstruktive Rituale, um mit Altem abzuschließen und Neuem in meinem Leben Raum zu schaffen? Hier gibt Lea Beck-Hiestermann keine pauschale Antwort. Letztlich gebe es schlicht kein Ritual, das Trennungsschmerz wegzaubere und jedem und jeder helfe. Wie sie betont, sind Trennungen, aber zum Beispiel auch eine Geburt, sogenannte Life- Events oder auch Schwellensituationen, in denen etwas Altes nicht mehr trägt, wir aber auch noch nicht im Neuen angekommen sind. Verständlich, dass das Angst und Stress erzeugen und auch psychische Erkrankungen begünstigen kann. Wichtig sei, sich einzugestehen, dass die Umstellung vom Alten zum Neuen einfach Zeit brauche, so die Psychologin. Oft entstehe ja erst einmal – ganz praktisch – eine Leere, zum Beispiel eine Lücke in der Kinderbetreuung oder fehlender Austausch auf der partnerschaftlichen Ebene. Genau diese Leere könne aber auch die Chance sein, Neues für sich zu entdecken, sich Unterstützung zu suchen und an Dinge anzuknüpfen, die man aus der Zeit vor der Partnerschaft als wohltuend in Erinnerung habe.

Aber was tun, wenn die Kinder sichtlich unter der Trennung leiden? Wie gehe ich damit um, dass meine Entscheidungen anderen, und insbesondere meinen Kindern, Schmerz zufügt? Psychologin Beck-Hiestermann betont, dass an dieser Stelle das Wohl der Kinder eng mit meinem verknüpft ist. Als Elternteil habe ich also das Recht, auch meine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Wenn die Beziehung wirklich nicht mehr funktioniere, sei der Schmerz der Trennung für Kinder oft leichter zu ertragen als dauerhaft streitende oder einander feindselig anschweigende Elternteile, so die Psychologin. Dass wir uns als Paar trennen, bedeutet mit Kindern ohnehin, dass wir als Eltern verbunden bleiben werden.

Genau das, eine funktionierende oder zumindest sich nicht behindernde, Elternebene zu finden, ist nach einer Trennung oft schwer. Es gehe darum, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, so Lea Beck-Hiestermann, auch für das eigene Verhalten. Ich kann meinen Ex-Partner oder meine Ex- Partnerin nicht ändern, habe aber die Wahl, wie ich auf sein oder ihr Verhalten reagiere. Erlaube ich ihm oder ihr, mein ganzes weiteres Leben – und das meiner Kinder – zu bestimmen? Oder arbeite ich daran, eigene Anteile an bestehenden Konflikten zu erkennen, gut für mich zu sorgen und mir gemeinsam mit meinen Kindern ein möglichst eigenständiges Leben aufzubauen?

Was, wenn ich dazu aus meinem Umfeld zusätzlich Kritik erhalte? Im Grund könne mich diese nur treffen, solange ich im Innersten nicht von der Richtigkeit meiner Entscheidungen überzeugt sei, so Frau Beck-Hiestermann. Andernfalls kann ich zum Beispiel klar sagen, dass mir für die gemeinsamen Kinder eine neutrale Beziehung wichtig ist – auf der Eltern- oder Großelternebene – und zugleich den persönlichen Kontakt auf ein Minimum reduzieren. Schuldgefühle und Selbstvorwürfe geben mir auf verdrehte Weise das Gefühl, die Kontrolle über mein Verhalten zu haben. Wirklich zurück ins Leben komme ich aber, indem ich zwar meinen Anteil am Scheitern einer Beziehung oder einer aktuell schwierigen Situation erkenne, mir aber auch erlaube, weiterzugehen. Hin zu einem Leben ohne Schuldgefühle, dafür mit der Verantwortung für mich selbst.

Mein Sohn hat sich damals schließlich wieder beruhigt. Es war gut, dass ich in diesem Moment bei ihm war. Und ich habe mir Unterstützung geholt. Weil ich es mir wert war. Für mich und für unser gemeinsames Leben. Ich habe Verantwortung übernommen, bin aktiv geworden, statt mich weiter schuldig zu fühlen. Es hat gewirkt. Und bis heute bin ich darauf ziemlich stolz.

Wer schreibt?

Sarah Zöllner ist Journalistin, Bloggerin und Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen. Sie hat zwei Söhne im Kindergarten- und Grundschulalter. 2020 erschien ihr Buch „Alleinerziehend – und nun?“ Ihr zweites Buch „Mütter. Macht. Politik: Ein Aufruf!“ ist am 1.9.2023 im Magas-Verlag erschienen. www.sarahzoellner.com.

Lea Beck-Hiestermann berät als Psychotherapeutin gemeinsam mit ihrem Mann Menschen in Krisen- und Umbruchsituationen, insbesondere auch Mütter rund um die Geburt. Als Dozentin an der Psychologischen Hochschule Berlin ist sie auch wissenschaftlich tätig. Sie lebt und arbeitet mit ihrer Familie in der Nähe von Berlin. www.praxis-hiestermann.de, Instagram @psyche.und.geburt

Von Sarah Zöllner