Elterngelddebatte: Die Geister, die wir riefen
Nahezu unbemerkt stellt die FDP-Bundestagsfraktion einen Vorschlag in den Raum, der Millionen von Eltern zukünftig in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte: Statt das Elterngeld für Top-Verdiener*innen mit einem Haushaltsbruttoeinkommen von mehr als 180.000 Euro im Jahr zu streichen, sollen doch einfach alle weniger Elterngeld bekommen. Konkret schlägt die Fraktion vor, die Bezugsdauer für das Elterngeld von 14 auf maximal 12 Monate zu kürzen. Sollten Väter sich dafür entscheiden, in den ersten beiden Monaten nach der Geburt mindestens einen Monat parallel zur Mutter Elternzeit zu nehmen, solle es einen dritten Zusatzmonat und eine Prämie geben. Aber die Quintessenz bleibt: Um dem aktuellen Sparkurs der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2024 gerecht zu werden, solle das Elterngeld für alle gekürzt werden.
Denn genau das ist die Realität dieses Vorschlags: In Summe bekommen dann zukünftig alle Eltern, ungeachtet ihres Haushaltseinkommens, weniger Elterngeld. Nicht nur kürzer, sondern auch faktisch weniger. Denn in bestimmten Konstellationen ist es möglich, über das Elterngeld Plus auf 24 bzw. 28 Monate mehr Geld zu erhalten, als wenn man nur Basiselterngeld beziehen würde. Egal in welchem Modell – weniger Monate Elterngeld bedeuten auch weniger Haushaltsjahreseinkommen.
Es ist Politik von reichen Männern für reiche Männer. Denn wen trifft diese Kürzung am härtesten? Mütter. Alle Mütter, ob alleinerziehend oder in Partnerschaften. Schon jetzt ist es nämlich so, dass Mütter de facto nur 10 Monate Basiselterngeld erhalten – die ersten beiden Monate nach der Geburt fallen nämlich in die Zeit des Mutterschutzes und des Mutterschaftsgeldes. Dieses wird zu 100 Prozent auf das Elterngeld angerechnet. Eine Verkürzung des Gesamtanspruches für Paare bzw. Alleinerziehende auf maximal 12 Monate würde dazu führen, dass Mütter in Summe maximal 11 Monate Basiselterngeld erhalten, von denen aber zwei Monate gegen das Mutterschaftsgeld gerechnet werden.
Lobbyarbeit für Spitzenverdienende = weniger Geld für alle
Die Frage, die sich jetzt stellt: Wem haben wir denn diesen fatalen Vorschlag zu verdanken? Die bittere Realität: Dieser Vorstoß der FDP-Fraktion ist vor allem der Gegenwehr reicher Leute anzulasten. Allen voran Verena Pausder und ihrer Petition “Nein zur Elterngeld-Streichung”, die mehr als 600.000 Unterschriften sammelte. Mit geschickter Rhetorik, die sich die deutsche Abstiegsangst zunutze machte, bemühte Pausder erfolgreich die Solidarität der breiten Masse für nicht einmal fünf Prozent der elterngeldberechtigten Familien mit einem Haushaltsbruttoeinkommen von mehr als 180.000 Euro pro Jahr.
Kritiker*innen der Petition wurde von Beginn an vorgeworfen, eine Neiddebatte zu führen. Es wurde von Spaltung gesprochen und dazu aufgerufen, dass Familien jetzt solidarisch miteinander sein müssten. Doch es ist die bloße realpolitische Realität, die uns jetzt einholt: Wenn die Top-Verdiener*innen in einem Sparhaushalt ihren Teil der Last nicht tragen, leiden alle darunter. Genau das hatten Kritiker*innen der Petition von Pausder schon im Juli vorhergesagt.
Es nützt nämlich nichts, jetzt darüber zu lamentieren, dass bei Familien doch gar nicht gespart werden sollte und dass wir uns als Familien von der FDP jetzt nicht spalten lassen sollten. Denn solange die Bundesregierung an der Schwarzen Null festhält, bedeutet das realpolitisch einfach: Irgendjemand muss bluten. Ja, in einer idealen Welt bliebe der Haushalt des Bundesfamilienministeriums unangetastet. Aber solange die Bundesregierung als Ganzes sich nicht zu einer sozialen Familienpolitik verpflichtet, die oberste Priorität hat, muss auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus sparen.
Lisa Paus hatte sich im Sommer also um die Sozialverträglichkeit einer solchen Kürzung bemüht, als sie vorschlug, das Elterngeld für Top-Verdiener*innen zu streichen, damit die Altenpflegerin oder der Maurer weiterhin volles Elterngeld bekommen können. Noch in der Sitzung des Petitionsausschusses am 9. Oktober, in der die Petition von Pausder verhandelt wurde, sagte Staatssekretär Sven Lehmann: „Die von uns vorgeschlagene Variante lässt das Elterngeld für rund 96 Prozent aller Elterngeldbeziehenden komplett unangetastet“.
Vor dem Hintergrund, dass 90 Prozent des Etats des Bundesfamilienministeriums gesetzlich gebunden ist, wird also deutlich: Unter den realpolitischen Zwängen, die ein FDP-geführtes Bundesfinanzministerium erzeugt, bräuchte es einen solidarischen Verzicht von gerade einmal 4 Prozent der Elterngeld beziehenden Familien, damit nicht vor allem die Familien leiden müssen, denen es sowieso schon an Geld fehlt. Doch der Ruf nach Solidarität, der ist aktuell eine Einbahnstraße – Top-Verdiener*innen verlangen Solidarität von allen anderen. Aber dass sie vor realpolitischen Fakten jetzt Solidarität nach unten zeigen sollten, damit am Ende nicht alle verlieren, das verstehen gerade nicht einmal Menschen, die von der Absenkung der Einkommensgrenze nicht einmal betroffen wären.
Ohne Klassenfrage keine gerechte Familienpolitik
Dabei wäre es an der Zeit, dass wir verstehen, dass gutverdienende Menschen viel mehr Klassensolidarität haben als der Mittelstand und darunter. Top-Verdiener*innen denken vor allem erst einmal an sich selbst, um ihren eigenen Wohlstand zu erhalten. Es gibt keine universelle Frauen- oder Familiensolidarität, weil die eigene Einkommensklasse immer mehr Bedeutung hat als andere Kategorien. Wir müssen dringend einsehen, dass wir aufhören müssen, uns immer nach oben hin zu solidarisieren, sondern als untere Einkommensklassen gemeinsam für uns selbst einzustehen. Aber die Klassenfrage meiden wir gerade in familienpolitischen Diskussionen immer wieder.
Dabei gibt es keine gerechte Familienpolitik, die ohne Klassenfrage auskäme. Denn am Ende geht es immer auch um die Verteilung von Lasten. Es geht immer auch darum, dass starke Schultern – a.k.a. Top-Verdiener*innen – mehr tragen können. Es geht immer auch darum, dass wir uns fragen müssen, wer eigentlich den Preis dafür bezahlt, wenn wir es vor allem auch sehr, sehr gut verdienenden Menschen recht machen wollen. Denn Demokratie bedeutet Interessenausgleich. Interessenausgleich heißt manchmal eben auch, dass diejenigen, die viel haben, verzichten müssen für die, die wenig oder gar nichts haben.
Es ist also weder Neiddebatte noch Spaltung, wenn wir festhalten: Bekommen am Ende ALLE weniger Elterngeld, ist das vor allem den Top-Verdiener*innen vorzuwerfen, die sich weigern, in einer wirtschaftlich angespannten Zeit ihren Teil der Last zu tragen.
Politik von reichen Männern für reiche Männer
Kommen wir zurück zur Feststellung, dass mit dem FDP-Vorschlag gerade reiche Männer Politik für reiche Männer machen. Denn das Perfide daran ist ja: Laut Bundesfamilienministerium verdienen gerade einmal 10 Prozent der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren mehr als 2.000 Euro netto im Monat. Das bedeutet: Diese Spitzeneinkommen, die von der Herabsenkung der Elterngeldgrenze betroffen wären, werden vor allem von Männern erwirtschaftet.
In all der Argumentation gegen die Herabsenkung ist immer von Gleichstellungseffekten die Rede und davon, dass Frauen dann erst recht ja nicht mehr arbeiten gehen und finanziell abhängig werden würden. Aber die Realität ist ja: Sie sind jetzt schon abhängig. Die Spitzenverdienerin, die die gläserne Decke durchbrochen und es zu einem wahnsinnig guten Einkommen gebracht hat, ist die absolute Ausnahme. Sie ist eine Strohfrau, mit der Top-Verdiener gerade versuchen, sich ihren weit überdurchschnittlichen Lebensstil vom Staat erhalten zu lassen.
Das heißt, wer verliert denn tatsächlich bei der Herabsenkung der Einkommensgrenze für den Elterngeldanspruch? Sehr, sehr gut verdienende Männer. Weil sie sich dann nämlich tatsächlich mit ihren Frauen darüber auseinandersetzen müssten, was Care-Arbeit wirklich wert ist, wenn selbst das Taschengeld, das solch ein Elterngeld dann ist, wegfällt. Weil sie sich unter Umständen gefallen lassen müssten, dass ihre Frauen dann auf einen Versorgungsausgleich bestehen würden. In dem Moment, in dem diese Frauen, die wirtschaftlich in der Beziehung sowieso schon so ungleich gestellt sind, plötzlich gar kein eigenes Geld mehr hätten, gerät das Beziehungsgefüge ins Wanken. Weil diese Männer plötzlich darum fürchten müssen, dass ihre Frauen nun nicht mehr theoretisch über Vereinbarkeit klagen, sondern tatsächlich zu Hause harte Verhandlungsgespräche über die Verteilung praktischer und finanzieller Verantwortung führen würden.
Die Erfahrung zeigt: Solange diese Frauen zumindest die Illusion finanzieller Sicherheit haben, werden diese gleichstellungspolitischen Kämpfe am eigenen Küchentisch nicht so konsequent gerungen, wie es nötig wäre. Fällt durch die Herabsenkung der Einkommensgrenze das eigene Einkommen weg, werden diese Frauen unangenehm wachgerüttelt. Für sehr, sehr gut verdienende Männer in einer patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft bedeutet das de facto das Risiko, an Macht über ihre Lebensgestaltung einzubüßen.
Die Sache mit dem Dienstwagenprivileg
Zugleich argumentieren viele, man solle doch lieber bspw. an dem Dienstwagenprivileg sparen. Dem muss man den realpolitischen Fakt entgegenhalten: Anderes Ministerium, anderes Ressort, also anderer Topf. Für die Elterngelddebatte also erst einmal unerheblich, weil die Sparvorgaben fürs Bundesfamilienministerium ja trotzdem stehen. Aber: Man KÖNNTE hier durchaus eine solidarische Lösung erarbeiten. Wenn Spitzenverdiener*innen sich jetzt wirklich solidarisch zeigen wollen würden, könnten sie z.B. in einer gemeinsamen Anstrengung so viel Lobbyarbeit machen, dass das Bundesfinanzministerium einen Teil der Sparvorgaben für das Bundesfamilienministeriums mit übernehmen würde. Mit ausreichender Lobby könnte man das Bundesfinanzministerium sicher dazu bewegen, die Sparvorgaben nochmal neu zu verteilen und dann die Sparvorgabe für das Bundesfamilienministerium herunterzurechnen, weil man mit der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs mehr einsparen könnte als bisher geplant.
Aber das passiert nicht. Denn wer profitiert denn vom Dienstwagenprivileg? Vor allem sehr gut verdienende Männer. Denn laut Germanwatch fahren viermal so viele Männer einen Dienstwagen wie Frauen. Gleichzeitig gehören 38% der Dienstwagen den oberen 3% der bestverdienendsten Erwerbstätigen.
Das Dienstwagenprivileg nicht anzutasten und gleichzeitig lieber allen Familien Elterngeld wegnehmen zu wollen statt nur den oberen 4 Prozent, ist also Politik von reichen Männern für vor allem reiche Männer. Das ist der eigentliche Verteilungskampf, den die FDP mit ihrem Vorstoß zur Kürzung bei den Elterngeldmonaten führt. Ein Verteilungskampf, den wir nur für all die prekär lebenden und hart arbeitenden Menschen gewinnen können, wenn wir aufhören, Politik für reiche Leute mit fehlgeleiteter Solidarität zu unterstützen.
Am Ende sollten gerade Mütter nicht vergessen: In einer patriarchalen, kapitalistischen Welt, die Politik vor allem für sehr gut verdienende Männer macht, lauert die eigene Armut immer nur hinter der nächsten Ecke. Jetzt mit geringer verdienenden Müttern solidarisch zu sein, bedeutet für die eigene, mögliche Zukunft vorsorgen.
Wer schreibt?
Celsy Dehnert ist Journalistin und Autorin. Sie arbeitet als freie Texterin und betreibt als literarische Aktivistin »Eine fixe Idee«.
Die glücklich verheiratete Mutter zweier Kinder ist außerdem Kaffee-Junkie, Teilzeit-Zynikerin, kommunalpolitisch engagiert.
Copyright Foto: Karola Machalett
Von Celsy Dehnert