Offener Brief zur Kindergrundsicherung: Frauenfeindliches Narrativ über Alleinerziehende – Jetzt reicht’s!

Sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Paus,
sehr geehrte Bundesregierung,

gestern wurde das Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung bekanntgegeben. Inhaltlich gibt es viel anzumerken und wir hoffen sehr, dass wir als Interessenvertretungen von alleinerziehenden Eltern die Möglichkeit haben werden, dazu Stellung zu beziehen und mit Ihnen weiter im Austausch zu bleiben.

Grund unseres heutigen Schreibens an Sie im Namen der Alleinerziehenden-Organisationen Fair für Kinder, MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende, der Stiftung Alltagsheld:innen und Solomütter ist allerdings ein anderer: Wir dulden nicht länger das toxische Narrativ, das von der FDP über alleinerziehende Eltern, insbesondere Mütter, öffentlich verbreitet wird – und vom Bundesfamilienministerium bisher unkommentiert blieb. Die FDP hat sich offensichtlich das Ziel gesetzt, ein mütterfeindliches Bild zu bedienen und dieses in der Gesellschaft sowie in Gesetzen unseres Landes zu verankern. Damit schadet die Politik, allen voran die FDP, vor allem alleinerziehenden Müttern und ihren rund 2,2 Millionen Kindern. Sie stellt deren bemerkenswerte Leistung damit in den Schatten und tritt die zahlreichen unbezahlten Stunden Care-Arbeit, die diese Mütter täglich leisten, mit (partei-)politischen Füßen.

Wir beobachten diese Tendenz bereits seit einiger Zeit.

In der gestrigen Pressekonferenz zum Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung wurde dieses Narrativ schließlich mit Falschaussagen des Bundesfinanzministers Lindner gestützt – und seine Aussage blieb von Ihnen, der Bundesfamilienministerin und Fürsprecherin für alleinerziehende Eltern, unkommentiert.

Christian Lindner sagte wörtlich: „Wir wollen einerseits die materielle Situation Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen. Es ist ja eine beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Also weniger Erwerbsbeteiligung bei Alleinerziehenden während des vergangenen Jahrzehnts. Da dürfen wir kein Signal setzen, dass das verfestigt.“

Die zitierte Aussage ist inhaltlich falsch. Ihr wurde weder in der Pressekonferenz noch im Nachgang widersprochen. Die verfügbaren Daten u.a. des Statistischen Bundesamtes belegen, dass insbesondere alleinerziehende Mütter nicht nur bedeutend mehr erwerbsarbeiten als Mütter in Paarbeziehungen; die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden ist in den vergangenen Jahren auch deutlich gestiegen – mit einem pandemiebedingten Einbruch 2022, der nicht zuletzt durch geschlossene Betreuungseinrichtungen und Homeschooling verursacht war.

Wir finden deshalb: Beklagenswert ist vor allem, dass Herr Lindner als Bundesfinanzminister faktisch falsche Aussagen über eine gesellschaftliche Gruppe macht, diese gesamtgesellschaftlich sowie öffentlich diskreditiert und damit die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Die Argumentation von Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigt einmal mehr: Alleinerziehende Mütter werden in der Care- und Betreuungsfrage allein gelassen und im Zweifel sogar von Politik und Wirtschaft für ihre Familiensituation abgestraft.

Wir, die genannten Interessenvertretungen für alleinerziehende Eltern, fordern Sie, die Bundesfamilienministerin und die Bundesregierung, auf, diese Verleumdung von Alleinerziehenden und die Missachtung der Leistung dieser Familien öffentlich zu korrigieren und über die Realitäten von alleinerziehenden Eltern, insbesondere Müttern, sachlich korrekt sowie auf Augenhöhe aufzuklären.

Wir haben es satt, dass Familienmodelle politisch und gesellschaftlich gegeneinander ausgespielt werden und Alleinerziehende einmal mehr als Prellbock der Gesellschaft herhalten müssen!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Esther Konieczny, Fair für Kinder
Stefanie Ponikau, Die Mias
Heidi Thiemann, Stiftung Alltagsheld:innen
Sara Buschmann, SOLOMÜTTER

Unterstützer*innen

Es haben sich in den letzten Tagen diverse Unterstützer*innen zu unserem Offen Brief gemeldet. Allen voran auch der VAMV Berlin e.V.:

„Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter Berlin e.V. unterstützt und bekräftigt den Inhalt des Offenen Briefes zur Kindergrundsicherung mit folgender Stellungnahme:

„Wir wollen einerseits die materielle Situation Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen.“ Mit solchen Aussagen befeuert Herr Lindner ein stigmatisierendes Vorurteil, sie sind ein Schlag ins Gesicht all der Alleinerziehenden, die Tag für Tag im Spagat zwischen Beruf und (gesellschaftsrelevanter!) Sorgearbeit für ihre Familien an ihre Grenzen gehen. Es mangelt Alleinerziehenden nicht an Motivation, sondern an den Voraussetzungen dafür, dass sie einer existenzsichernden Arbeit nachgehen können: ausreichende und verlässliche Kinderbetreuung (auch zu Randzeiten), familienfreundliche Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung. Und wie sich zeigt, fehlt es insbesondere an einer Politik, deren Ausgangspunkt die Anerkennung der Leistungen und besonderen Belastungen von Alleinerziehenden ist, anstelle diffamierender Zuschreibungen!

Auch wir fordern eine öffentliche Richtigstellung der faktisch falschen Aussagen von Herrn Lindner zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden in Deutschland durch die Bundesfamilienministerin! Gleichzeitig fordern wir die Anerkennung der unbezahlten, absolut systemrelevanten Sorgearbeit von Alleinerziehenden – auch die Kinder von nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden verdienen es, nicht in Armut zu verbleiben!“

Ebenfalls mit einem Statement an uns gewandt haben sich die Frauen in ver.di:

Wir Frauen in ver.di schließen uns an und dulden nicht länger das toxische Narrativ, das von der FDP über alleinerziehende Eltern, insbesondere Mütter, verbreitet wird.“

Weitere Unterstützer*innen sind:

  • Dr. Beate von Miquel, Deutscher Frauenrat
  • Lisa Ortgies, Journalistin
  • Nina Moghaddam, TV-Moderatorin und Coach
  • Delal Atmaca, DaMigra e. V.
  • Mirjam Golm, Frauen- und Gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, MdA Berlin
  • Christian Baron, Autor
  • Gökay Akbulut, MdB, Die Linke
  • Carola Großmann, Gründerinnen und Unternehmerinnen GUT+, Berlin
  • Mechthild Rawert, MdB a.D., Frauenbund 1945 e. V.
  • Heidi Reichinnek, MdB, Die Linke
  • Romy Stangl, One Billion Rising München e. V.
  • Christine Faltynek und Ulrike Hansen, AsF Hamburg
  • Jana Bertels und Susanne Fischer, AsF Berlin
  • Landesfrauenrat Hamburg
  • Birgit Uhlworm, Bundesverband SHIA e. V.
  • Wiebke Wiedeck, Initiative Zukunft Ohne Gewalt (IZOG)
  • VAMV OV München e. V. 
  • Kira Wüsten, siaf e. V. 
  • Almuth Schnerring und Sascha Verlan, Initiative Equal Care Day 
  • Annett-Katrin Wohlgemuth und Sigrid Egner, amuvee gGmbh

Die entsprechenden Zahlen der Agentur für Arbeit:

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