Interview mit Frauke Angel zum Kinderbuch „Vorsicht, frisch geschieden!“
Im Buch kommen die Kinder aus dem „Club der geschiedenen Leute“ zu Wort. Wobei sich das geschieden nicht nur auf den Bund der Ehe bezieht. „Wir sind geschiedene Leute“ sagt man ja auch, wenn man unter eine Verbindung einen Schlussstrich zieht. In unserem Club sind also alle Kinder willkommen, deren Eltern getrennte Wege gehen, ob die verheiratet waren oder nicht.
In „Vorsicht, frisch geschieden!“ kommen auch richtig viele Kinder zu Wort. Wie hast du die begeistern können mitzumischen?
Als Vorlesekünstlerin bin ich mit meinen Büchern sehr häufig an Schulen unterwegs. Dabei komme ich mit den Kindern ins Gespräch. Teilweise geht es dabei sehr intim zu, ich schreibe ja nun mal keine Fantasy, sondern bin mit all meinen Stoffen ganz nahe am Leben. Dadurch entstehen manchmal enge Verbindungen zu einzelnen Schulen oder Klassen, die ich regelmäßig oder immer wieder besuche. In diesem Fall habe ich ganz bewusst vertraute Klassen aufgesucht und von meinem Vorhaben erzählt. Im zweiten Durchgang habe ich dann einzelne Kinder angesprochen und gefragt, ob sie Lust haben, bei diesem Buch mitzumachen. Das hatten sie. Und zwei weitere Kinder, im Buch nenne ich sie Karl und Ava, sind von sich aus und für mich überraschend dazugekommen. Wobei Ava, der ich das Schlusswort im Buch überlasse, ihren Finger tief in meine ganz persönliche Wunde gelegt hat. Das tat ein bisschen weh, war aber nur konsequent.
Ich wollte ja unbedingt echte Kinder zu Wort kommen lassen, anstatt fiktiven Charakteren Worte in den Mund zu legen, die aus meinem Erwachsenenhirn stammen. Meine Verlegerin fand das gut. Und auch meine Lektorin ist da mitgegangen. Natürlich mussten wir kürzen. Aber eben nichts beschönigen. Fanny beispielsweise hat bestimmt 40 Mal das Wort KACKE zu Protokoll gegeben. 36 Kackhaufen haben wir entsorgt. Trotzdem bleibt das, was sie echt kacke an der Trennung ihrer Eltern fand, kacke und nicht geht so.
Sollen Kinder denn eigentlich über die Trennung ihrer Eltern reden oder ist das nicht eher eine private Familienangelegenheit, die andere Menschen nichts angeht?
Kinder DÜRFEN reden. Und SIE dürfen entscheiden, mit wem sie darüber reden wollen. Erfahrungsgemäß tut es ihnen gut, mit anderen darüber zu reden, nur sehr selten sind das die eigenen Eltern. Sorry Leute, aber isso. Eine der ersten überraschenden Erkenntnisse war: Viele Trennungskinder laufen tatsächlich noch mit der Beklemmung herum, nicht mehr „normal“ zu sein, nicht mehr „dazuzugehören“, wenn ihre Eltern das Vater-Mutter-Kind-Konstrukt verlassen. Dabei sind diese Kinder längst keine Minderheit mehr, wie sie es z.B. in meiner Kindheit noch waren. Im Gegenteil. Im Schnitt sind ein Drittel der Kinder pro Klasse Trennungskinder. Neulich besuchte ich eine Klasse, da waren es fast 100%. Nur wussten die das gar nicht. Denn nur wenige redeten offen darüber. Das Tabu, der Makel hält sich also immer noch hartnäckig. Und es liegt in der Hand der Erwachsenen und der Politik, das zu ändern. Das traditionelle Familienbild endlich aufzubrechen und zu erweitern. Familie ist schützenswert, das suggeriert uns schon die Steuerpolitik. Aber wtf ist denn Familie? Vater, Mutter, Kind? Kann ja wohl nicht (mehr) wahr sein.
Richtig cool fanden wir beim Testlesen, dass du dich an alle Themen rangetraut und sie ziemlich direkt und ehrlich beschrieben hast. So geht es zum Beispiel auch um Gewalt in Partnerschaften oder um Eltern, die ihre Kinder einfach im Stich lassen und sich nie wieder bei ihnen melden. Ein Papa aus deinem Buch hat die Familie verlassen, um mit einem Mann zusammenzuleben. Findest du, dass Kinder ab neun, denn an die richtet sich ja dein Buch, solche Themen schon wissen sollten?
Ja, das finde ich. Ich hab mir diese Themen ja nicht ausgedacht. Sie sind da. Und sie sind statistisch relevant und belegt. Und die Kinder, unsere Kinder, erzählen davon. Oft denken Eltern(teile) wirklich, ihr Kinder würden nicht mitschneiden, was daheim abgeht. Aber auch da: Sorry Leute. Das stimmt nicht! Eure Kinder kriegen so viel mehr mit, als ihr denkt.
Ein paar ganz krasse Schilderungen haben den Weg ins Buch nicht gefunden, da sie selbst mir zu heftig und verstörend für die Altersklasse schienen. ABER auch diese Dinge sind ja trotzdem passiert, auch diese Worte haben die Kinder trotzdem gehört. Und Schönreden kann nicht die Lösung sein. Denn das gibt den Kindern ja noch viel mehr das Gefühl, falsch zu sein, falsch zu fühlen. Natürlich ist es so, dass die Paar-Beziehung nicht mit der Eltern-Kind-Beziehung verwechselt werden darf. Ich schreibe im Buch: Die eine kann enden, die andere nie, denn Eltern bleiben Eltern. Und doch: Es gibt auch sie, die Eltern(teile), die sich nach einer Trennung nie wieder bei ihren Kindern blicken lassen. Aber auch das liegt aber nicht in der Hand der Kinder. Und das sollen die wissen.
Auch super, du erklärst im „Vorsicht, frisch geschieden!“ ganz viele Begriffe und Abläufe, die während einer Scheidung auf die Kinder zukommen. Warum so im Detail und wozu ist das wichtig?
Weil Kinder ein Recht auf Information haben. Weil sie wissen sollten, was genau ihre Rechte und was genau die Pflichten ihrer Eltern sind. Und weil sie wissen sollten, dass und wo sie sich Hilfe holen können.
Und erzähle doch bitte mal von der Top-10-Liste der Trennungsgründe.
Das reicht von Auseinanderleben über Fremdgehen, häusliche Gewalt über (psychische) Krankheiten bis hin zu Herkunft und Religion. Meistens kommen sogar mehrere Gründe zusammen. Nur: Kinder kommen als Grund nicht vor. Und das muss ihnen klar werden. Sie sind nicht Schuld an der Trennung ihrer Eltern. Dazu kommt, dass die Trennungszeit für die Kinder zwar oft hart ist. Aber danach geht es in den allermeisten Fällen bergauf. Keines der Kinder aus dem Club der geschiedenen Leute war später der Meinung, dass es für sie besser gelaufen wäre, wenn die Eltern zusammengeblieben wären. Für das Buch habe ich ja auch mit zig Therapeut*innen und Anwält*innen gesprochen. Mir ist nur ein einziger Fall zu Ohren gekommen, wo die Eltern nach der Scheidung wieder zusammengekommen sind. Das Bemerkenswerte daran ist: Auch hier waren mitnichten die Kinder der Grund.
Du bist ja selbst auch im Club der geschiedenen Leute — sogar mit zwei Eintrittskarten. Warum und wie ging bzw. geht es dir ganz persönlich damit?
Ich bin sowohl Scheidungskind als inzwischen auch selbst Solomutter. Die Scheidungen meiner Mutter waren beide Male emotionale wie finanzielle Katastrophen, auch für uns Kinder. Und davor wollte ich meine eigenen Kinder unbedingt bewahren. Tatsächlich funktioniert das in einer Gesellschaft, in der Mann und Frau immer noch nicht gleichgestellt sind, nur bedingt. Aber was wir im Privaten schon jetzt tun können: Gemeinsam Verantwortung für unsere Kinder übernehmen. Denn wie heißt es: Liebe ist das einzige, das sich vermehrt, wenn man es teilt. Und unsere Kinder brauchen Liebe. Das meine ich allerdings nicht romantisierend. Das ist eine Aufforderung.
Wobei kann dein Buch helfen?
Beim Verarbeiten, beim Trösten, beim Neuanfang.
Gibt es eine wichtige Kernbotschaft, die du auf diesem Wege schon einmal vorab allen Kindern mitgeben möchtest?
Mehrere: Du bist nicht allein. Du bist nicht Schuld. Du kannst die Trennung deiner Eltern nicht verhindern oder rückgängig machen. Und was danach kommt, ist in der Regel besser als das davor.
Und was sollten die Eltern beachten?
Lügt eure Kinder nicht an. Erzählt ihnen, warum es zur Trennung kam, damit sie eure Entscheidung nachvollziehen können. Denn die habt ihr häufig überlegter getroffen, als den Entschluss zur Heirat. Nehmt ihnen also die „Hoffnung“, dass es ein Zurück gibt. Nur so können eure Kinder einen echten Neuanfang starten. Und bei dem bleibt an ihrer Seite. Die Trennung entbindet euch nicht von eurer Verantwortung.
Und welchen Hinweis hast du an Haustiere?
Probiert das Wechselmodell!
Kann man das Buch auch verschenken? An Scheidungskinder zum Beispiel? Oder ist das pietätlos?
Unbedingt kann man das Buch verschenken! An Trennungskinder und an Trennungseltern. Dafür haben wir es geschrieben.
Frauke, ganz lieben Dank für das großartige Buch. Wir finden es super und empfehlen allen Menschen, die Trennungskinder kennen, ihnen „Vorsicht, frisch geschieden!“ zu kaufen. Denn genauso wie bei uns Großen, ist es auch für Kinder total hilfreich zu wissen, dass sie nicht alleine sind.
Der Club der geschiedenen Leute wuchs 2021 zum Beispiel um rund 280.000 Erwachsene und mindestens 120.000 minderjährige Kinder – und das sind nur die Trennungen der Paare, die vorher verheiratet waren. Viele, viele unverheiratete Eltern trennen sich ja auch noch zusätzlich. Dafür muss sich niemand schämen.
Vorsicht, frisch geschieden!
Ein Survival-Buch für Trennungskinder
von Frauke Angel (Autorin) und Meike Töpperwien (Illustration)
144 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-95470-278-7
EUR 20,00 [D] · EUR 20,60 [A]
Die schlechte Nachricht ist: Deine Eltern trennen sich. Die gute Nachricht: Du bist nicht allein!
Die Mädchen und Jungen vom Club der geschiedenen Leute in diesem Buch haben die gleichen Ängste und Sorgen. Ehrenmitglied Frauke Angel begleitet euch – von der Hochzeit eurer Eltern über die mögliche Scheidung bis zur Zeit danach. Dabei beantwortet sie alle Fragen, die euch unter den Nägeln brennen, erklärt euch eure Rechte, zeigt, wo ihr Hilfe bekommt, und macht Mut für euren Start in den neuen Lebensabschnitt.
Von Sara Buschmann