Sommerzeit, Urlaubszeit, Einsamkeit

Sommerferien. Sechs Wochen Freiheit, Sonnenschein, Schwimmbad mit Freunden, Aufbleiben bis Mitternacht, Übernachtungspartys und Zelten im Garten, jeden Tag Eis. Und natürlich Sommerurlaub mit der Familie. Meine Kindheitserinnerungen an die großen Ferien sind ein einziger Traum in 25 Grad blauem Himmel, den höchsten ein einziger Regentag trübte, an dem ich ausnahmsweise stundenlang fernsehen konnte. In meiner Erinnerung durften meine Schwester und ich tun und lassen, was wir wollten. Meine Eltern waren nie gestresst, meine Mutter fast immer ebenfalls zuhause, so dass sie uns Berge von Nudel- und Kartoffelsalaten für die Grillabende zubereiten, kiloweise Wassermelone schneiden oder Kirschen entkernen und Eis am Stil oder aber eine Mark für den Eiswagen herausreichen konnte. Getoppt werden meine rosaroten Sommererinnerungen nur von den Erinnerungen an die gemeinsamen Familienurlaube. Meine Eltern fuhren mit uns in Ferienhäuser an die Adria, nach Südfrankreich oder in die Bretagne. Und dort ging das schöne Leben weiter, nur mit Pool in der Anlage, einem Meer, das meist fußläufig erreichbar war, und der Tatsache, dass man ab und zu auch mal etwas anschauen musste, dafür aber noch mehr Eis und auch öfter mal im Restaurant essen durfte. 

Meine Traumvorstellung von Familienurlaub ist genau das. Ich möchte mit meinem Mann und meinen beiden Kindern zwei bis drei Wochen in einem Ferienhaus am Pool sitzen, ab und zu ins Meer springen, vielleicht mal eine Wanderung machen oder das ein oder andere hübsche Städtchen besuchen, um eine Kirche, einen Markt oder einfach die netten Geschäfte und Cafés zu bewundern. Ich sah mich immer mit meinem Mann am Strand sitzen, ein Glas Rosé und etwas Baguette neben uns, die Kinder, die einträchtig Sandburgen bauen im Blick. Abends unterhalten wir uns auf der Terrasse der Ferienwohnung, schauen die Sterne an, die hier so viel heller leuchten als zuhause, und es ist uns egal, dass die Kinder nur vorgeben zu schlafen, heimlich aber noch Hörspiele hören oder aber noch gemeinsam in der oberen Etage des Stockbetts liegen und über irgendetwas kichern, und sei es der hübsche französische Junge vom Surfbrettverleih bzw. das sportliche italienische Mädchen beim Beachvolleyball, beide jeweils viel zu alt und out of their league.

Kompromisse, Herausforderungen und Enttäuschungen 

Die harte Realität als alleinerziehende Mutter: Sommerferienzeit gleich Stresszeit und Einsamkeit. Nichts von meinen Träumen findet sich in meinem aktuellen Leben wieder. Los geht der Stress schon bei der Aufteilung der Sommerferien. Wann muss wer arbeiten, wo ist das Kind und wo wird es am sinnvollsten übergeben. Welche Großeltern beschweren sich wie laut, dass auch sie doch bitte Anspruch auf eine Woche Zeit mit dem Kind hätten. Dann kommen die Formalitäten. Wie die meisten Alleinerziehenden betreue ich meine Tochter zwar zu weiten Teilen allein (ja, mittlerweile haben laut Studien etwa 5 Prozent aller getrennt lebender Familien ein Wechselmodell und weitere 5 Prozent einen erweiterten Umgang vereinbart, aber das ist weiterhin die Minderheit), teile mir aber das Sorgerecht mit ihrem Vater. Möchte ich mit meiner Tochter ins Ausland reisen, brauche ich seine Zustimmung. Ist das geklärt, brauche ich einen Kinderreisepass, den ich nach dem sechsten Geburtstag jährlich verlängern muss. Jedes fucking Jahr!! Wer hat sich so einen Mist ausgedacht? Neben all dem Kram, den ich eh schon auf dem Zettel habe (Arbeit, Haushalt, Kind, Arzttermine, Steuererklärung… ganz normaler Alltagswahnsinn eben) und den ganzen Urlaubsvorbereitungen, muss ich jedes Jahr einen Termin beim Bürgeramt machen, jedes Jahr wieder Passfotos machen lassen (und bezahlen), jedes Jahr wieder zum Amt fahren, warten, Gebühren zahlen (die sich übrigens verdoppeln, wenn ich vergessen habe, das Dokument während seiner Gültigkeitsdauer von einem läppischen Jahr zu verlängern). Jedes Jahr im Vorfeld Formulare ausdrucken, hoffen, dass der Vater sie rechtzeitig schickt und an allen Stellen unterschrieben hat. Mit dem Amt diskutieren, dass eine Vollmacht und Kopie seines Personalausweises ausreichen. Denn zumindest bei uns ist eine Kopie eigentlich nicht ausreichen, es muss der Originalausweis sein – wie stellt sich die Behörde das denn bitte vor bei Menschen, die ja meist aus gutem Grund nicht mehr zusammen sind, vielleicht an unterschiedlichen Stellen wohnen oder sich vielleicht überhaupt nicht mehr verstehen)? (Anmerkung der Redaktion: Eigentlich braucht es dieses Einverständnis nicht. Eine Einordnung der Rechtsanwältin Karola Rosenberg findet ihr am Ende dieses Textes.)

Ist das geklärt, geht es bei der Auswahl des Reiseziels noch weniger entspannt zu. Denn der Wunsch – zwei bis drei Wochen in einem Ferienhaus irgendwo in Südfrankreich, abseits vom Massentourismus – ist nicht vereinbar mit der Realität. Erstes Problem: Reisezeit: Fahrzeit von 15 Stunden und länger – allein kaum machbar. Zwischenübernachtungen? Schwierig, da die Urlaubszeit begrenzt ist, Ferienwohnungen nur wochenweise vermietet werden und zusätzliche Kosten entstehen. Sich abwechseln und teils auch nachts fahren wie meine Eltern – allein ist es einfach zu gefährlich. Fliegen ist in der Sommerzeit unbezahlbar mit einem Einkommen, von dem aber zwei Flüge bezahlt werden müssen. Zumal dann die Destination eher ein Touri-Ort ist, für meinen Traum in Hinterland bräuchte ich einen Mietwagen – Kosten siehe Flug. Für die Bahnreise gilt übrigens das Gleiche, außer dass sie etwas günstiger ist, aber dafür noch länger dauert. 

Das Geld ist knapp, aber immerhin reicht es überhaupt

Zweites Problem – es ist schon angeklungen: Das liebe Geld. Zunächst einmal möchte ich dazu sagen, dass ich wahnsinnig dankbar dafür bin, dass ich überhaupt in den Urlaub fahren kann. Denn viele andere alleinerziehende Familien können das nicht. Weil sie – wie rund vierzig Prozent von uns – in Armut leben, weil sie über den Sommer arbeiten müssen, weil der Kindsvater eine Reise ins Ausland nicht erlaubt (ja, solche Konfliktfälle gibt es, und klar kann man dann eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen – aber wer hat dafür die Energie, das Geld und die Zeit?), etc. Ich habe ein Auto, ich bekomme Urlaubsgeld – alles schick. Doch für wie viel reicht es? Eine Reise mit meinem Grundschulkind kostet fast genau so viel wie eine Reise als Paar. Zimmer oder Ferienwohnung, Frühstück, Fahrtkosten, Essen – Rabatte für Kinder sucht man, wenn nur ein Erwachsener mitbucht, meist vergebens. Seit Jahren frage ich mich, warum es bei so vielen Aktivitäten (Schwimmbad, Museum, Freizeitpark etc.) im In- wie Ausland Familienkarten gibt, die in der Regel dem Preis von zwei Erwachsenen entsprechen oder diesen nur geringfügig übersteigen – aber selten Familienkarten für einen Erwachsenen und ein Kind. Mein Kind muss zusätzlich zahlen – und die ermäßigten Preise haben es meist ebenfalls in sich. Dann kommt die Ausstattung dazu: Badeanzüge und Sandalen vom letzten Jahr sind zu klein und müssen ersetzt werden. Und mein Traum – das einsame Ferienhäuschen mit Pool, das kleine Hotel mit nettem Frühstücksbuffet oder der abendliche Besuch im Strandrestaurant – ist einfach unerschwinglich. Jedes Jahr aufs Neue muss ich einen Kompromiss finden – den ich ganz allein heraussuchen muss aus den zahlreichen Möglichkeiten. Hinzu kommt – das trifft alle Familien – dass sich die Preise in den Sommerferien gegenüber der Nebensaison fast verdoppeln. Außerhalb der Ferien zu fahren, das kann man sich aber nur ohne (schulpflichtige) Kinder erlauben. In diesem Jahr schlägt die Inflation auch noch besonders hart zu. 

Drittes Problem: einsames Ferienhaus, einsame Ferien. Es gibt viele Familien, die ihre Ferien gerne in Hotels verbringen, auf Campingplätzen oder in Ferienanlagen mit vielen anderen Familien, vielleicht sogar mit Kinderbetreuung. In meiner idealisierten Vorstellung von Familienurlaub ging es aber darum Zeit als Familie miteinander zu verbringen. Zu viert bzw. auch die Eltern für sich und wir Schwestern zusammen. Ich erinnere mich daran mit meiner Schwester stundenlang Sandburgen zu bauen, kleine Bäche zu stauen oder mit meinen Eltern bis Mitternacht UNO zu spielen. Es war nicht aufregend, aber es war schön. Ich will das auch. Ich möchte kein stressiges Animationsprogramm und überfüllte Frühstücksräume, sondern gemeinsame Zeit. Anders als in meiner Kindheit gibt es aber keine zweite erwachsene Person, die mal einkauft, kocht, die Ferienwohnung durchfegt oder die Kinder am Strand bespaßt, während ich ein Buch lese. Und meine Tochter hat keine Schwester, mit der sie spielen kann. Also muss es doch etwas sein, wo wir potenziell andere Kinder treffen. Es gibt Reiseanbieter, die individuelle Reisen anbieten an ausgewählten Orten mit nur wenigen Familien – leider liegen deren Preise, siehe oben, außerhalb meines Budgets. Einen Kompromiss zu finden, das ist nicht leicht. Und auch wenn meine Tochter den Urlaub jedes Jahr toll findet, bleibt bei mir doch immer eine Enttäuschung darüber, wie viel Geld ich für wie wenig ausgeben musste und wie weit das doch davon abweicht, wie ich mir mal Familienurlaub erträumt habe.

Das Bild vom idealisierten Sommer gegen Einsamkeit tauschen

Diese Auseinandersetzung mit dem, was man eigentlich im Leben wollte, ist in der Sommerzeit noch schlimmer als sonst. Denn der Sommer ist mir so idealisiert in Erinnerung, und auch wenn es wahrscheinlich gar nicht so toll war, haben diese verklärten Erinnerungen doch meine Ziele im Leben geprägt. Das, was meine Tochter mit mir erlebt, und das, was meine Eltern mir und meiner Schwester in unserer Kindheit bieten konnten, liegt leider meilenweit voneinander entfernt. Damit meine ich nicht, dass wir luxuriösere Urlaube gemacht haben, im Gegenteil. Aber es waren Urlaube mit ganz viel Zusammensein, Spaß, sicher auch mal Streit, aber eben einfach Liebe. Im Sommer ist der Schmerz, dass mein Leben so anders läuft als ich es gerne wollte, ganz besonders groß. Sommerzeit ist für mich Einsamkeit. Keine Abende mit einem Partner und besten Freund. Die Freundinnen, die man als alleinerziehende Mutter noch halten konnte (anderes Thema, aber es ist wirklich schwer), sind mit ihrer Familie unterwegs. Im Urlaub sieht man fast nur Paare mit mehr als einem Kind. Noch schlimmer ist es dann aber zurück zuhause, wenn das Kind mit dem Vater unterwegs ist. Ich bin allein in einer Zeit, in der scheinbar alle anderen glücklich sind, raus gehen, mit der oder dem Liebsten zusammen sind, im Urlaub, im Biergarten oder beim Pärchen-Grillabend, zu dem ich nicht eingeladen bin. Es ist Sommer, aber anstelle der unendlichen Freiheit, die ich als Kind spürte, fühle ich nun eine unendliche Einsamkeit.

Neid und schlechtes Gewissen im Gepäck

Und dann steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich Bilder geschickt bekomme von den Urlauben, die meine Tochter mit ihrem Vater und dessen Partnerin verbringt. Wenn ich die Urlaubsorte und die Hotels sehe, in die meine Tochter dann in ihrem zweiten Urlaub fahren darf. Für sie ist es schön, das weiß ich, aber ich trotzdem bin jedes Mal wieder am Boden zerstört. Denn wenn die drei machen den Familienurlaub, den ich hätte haben wollen. Mit zwei Vollzeiteinkommen (ich arbeite wegen meiner Tochter „nur“ 30 Stunden) können es sich die beiden auch in den Sommerferien gut gehen lassen. Eine kleine Finca oder ein schickes Hotel mit Frühstück, Eis und Abendessen im Restaurant direkt am Meer, Eintritt in den Wasserpark oder Klettergarten – kein Problem. Aber es ist nicht nur das finanzielle, vor allem beneide ich meinen Ex-Mann und seine Partnerin darum, in den Ferien so viel Energie zu haben und der Tochter alle Wünsche erfüllen zu können, mit ihr tausend Dinge zu unternehmen, abends bis in die Puppen zusammen zu spielen, Sternbilder zu analysieren und ihr so vieles zu zeigen, das ich ihr gerne gezeigt hätte, wäre ich nicht so wahnsinnig müde und kaputt und urlaubsreif. Ich bin jedes Jahr ganz fertig über die Tatsache, dass das meine ideale Vorstellung von Familienurlaub ist, ich sie aber nicht leben kann und dass meine Tochter sie mit der anderen Familienseite erlebt. Und dann plagt mich gleich das schlechte Gewissen, weil ich es ihr von Herzen gönnen möchte, aber nicht kann.

Meistens anders aber dann doch noch gut

Ein paar Wochen später sitze ich am Pool der kleinen Ferienanlage an der Adria. Für Südfrankreich hat es nicht gereicht, aber immerhin ist es eine Auslandsreise geworden – den Kinderreisepass habe ich einen Tag vor Abfahrt doch noch beantragen dürfen, auch ohne Original-Personalausweis des Vaters. Zum Strand sind es 30 Minuten mit dem Rad, das Mobile Home ist super eng, hat zwei unbequeme 80-cm-Einzelbetten und in der Dusche ist Schimmel. Aber ich lese seit zwei Stunden ein Buch auf einem Liegestuhl im Schatten, neben mir meine Tochter, ebenfalls lesend, nachdem sie sich über eine Stunde im Pool vergnügt hat, teils allein, teils mit ein paar italienischen Kindern. Die Anlage ist einfach, aber wunderschön gelegen inmitten von Orleanderhecken und Kiefern. Das kleine Städtchen in der Nähe hat alte Gassen, nette Läden und Cafés sowie schön angelegte Parks zu bieten. Wir haben seit Tagen nichts getan außer Radfahren, lesen, essen und uns im Pool oder Meer abzukühlen, wir haben keinen Zeitdruck, wir haben keinen Streit, wir kommen zur Ruhe. Meine Tochter fragt nicht nach Sehenswürdigkeiten, Erlebnisparks oder teurem Essen, nicht mal nach eine:r deutschsprachigen Spielkamerad:in. Sie wirkt ausgeglichen und mit sich und der Welt zufrieden. „Essen wir heute wieder Abend Pizza zum Mitnehmen am Strand? Das war sooo schön!“ fragt sie. Und so bin ich doch noch versöhnt mit der Sommerzeit. Es ist alles ganz anders, aber es ist auch gut.

Rechtsanwältin Karola Rosenberg zum Thema „Kinderpass beantragen“:

👉 „Tatsächlich braucht man für die bloße Beantragung eines Ausweisdokuments, also auch des Reisepasses für das Kind, die Zustimmung des anderen Elternteils nicht, wenn das Kind bei einem lebt und gemeldet ist. Die Beantragung des Reisepasses ist Teil der Alltagssorge, die der betreuende Elternteil ausübt.“

👉 „Auch ein Blick in die Verwaltungsvorschriften klärt darüber auf, dass das Einverständnis des anderen Elternteils nicht nachgewiesen werden muss, wenn der betreuende Elternteil den Antrag stellt und keine Anzeichen dafür vorliegen, dass es Streit um den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes beim betreuenden Elternteil gibt (Ziff 6.1.3.4 PassVwV)“

Rosenbergs Rechtstipp: „Wenn die Zustimmung trotzdem gefordert wird, sollte man sich das schriftlich bestätigen lassen, damit man möglichst nicht auf den ganzen Kosten des Verfahrens sitzen bleibt.“

Karola Rosenberg zum Thema „Zustimmung für eine Urlaubsreise ins Ausland“:

👉 „Grundsätzlich ist der Urlaub in Holland, Österreich und Malle unproblematisch. Es gibt zwar eine Informationspflicht, wo die Reise hingeht, aber kein Zustimmungserfordernis oder Vetorecht des anderen Elternteils.“

👉 „Etwas anderes gilt bei Reisen in Krisen- und Risikogebiete oder auch Reisen, die mit besonderen Belastungen einher gehen. Da muss der andere Elternteil ausdrücklich zustimmen.“

Rosenbergs Rechtstipp: „Funktioniert die Einigung nicht, kann man einen Antrag nach §1628 BGB stellen und die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Reise beantragen.“

🚩#redflag für das Gericht: Wenn die Urlaubsreise zu einer Vereitelung des gerichtlich geregelten Umgangsrechts führt, ist die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Reisenden grundsätzlich ausgeschlossen, da sonst die Sorgerechtsregelung zu einem Rechtsbruch der Umgangsregelung führen würde.

Über die Autorin

Laura heißt eigentlich anders, will aber anonym bleiben. Sie ist Anfang 40, arbeitet in einem internationalen Unternehmen, hat eine Tochter im Grundschulalter und ist seit 6 Jahren alleinerziehend.

Von Laura Schwan