Wie viel? Interview mit Mareice Kaiser

Liebe Mareice, du sagst in deinem Buch, dass dir „Geld irgendwie unangenehm“ sei und du am liebsten „so wenig wie möglich damit zu tun“ hättest. Spannend, dass du trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – ein Buch über Geld geschrieben hast. Wir freuen uns, mit dir ein bisschen über dieses wichtige Thema sprechen zu können und mehr darüber zu erfahren, was Geld für eine Gesellschaft und für einzelne Menschen bedeuten kann. Aber eines vorweg: Dein Buch konnte nur geschrieben werden, weil du dir mit deinem Ex-Partner die Care-Arbeit teilst. Warum erwähnst du das so explizit im ersten Teil von WIE VIEL? Und was bedeutet es genau, auch in Bezug auf deine finanziellen Möglichkeiten?
 
Ich erwähne es, weil Care-Arbeit noch viel zu häufig etwas ist, das im Stillen verrichtet wird. Viele Menschen, die Care-Arbeit leisten, verschwinden. Von ihrem Arbeitsplatz, aus dem öffentlichen Diskurs. Würde ich mir die Care-Arbeit mit meinem Ex-Partner nicht teilen, ich hätte sicher viel weniger Bücher und Artikel geschrieben. Ich finde es wichtig, das öffentlich zu machen. Wünsche mir aber gleichzeitig, dass es alle tun würden. Ich würde gern mal ein Buch von einem Mann lesen, der schreibt: „Ich konnte meine fünf Bestseller schreiben, weil ich keine Kinder habe und auch sonst niemanden, um den ich mich kümmere und weil ich genug Geld für eine Putzhilfe habe und mir Essen liefern lasse. Ich muss nichts mehr tun in diesem Leben, als schreiben.“
 
Du setzt Geld und Status damit in Verbindung in dieser Gesellschaft eine Stimme zu haben. Wie kommt es zu dieser Verknüpfung?
 
Kein Geld zu haben, das bedeutet Stress. Du bist jeden Tag mit existenziellen Fragen beschäftigt: Kann ich meiner Familie noch Lebensmittel kaufen nächste Woche? Wie soll ich die neuen Frühlingsschuhe für mein Kind finanzieren? Wie soll ich die Mieterhöhung stemmen? Was passiert, wenn ich die Mahnung schon wieder nicht zahlen kann? Wie soll ich das Geld für die Klassenfahrt des Kindes aufbringen? Wer sich im Alltag mit diesen Fragen herumschlägt, hat keine Zeit und keine Energie, auch noch öffentlich die Stimme zu erheben. Und, kein Geld zu haben, überall Bittsteller*in zu sein, das macht auch klein. Menschen, die von Armut betroffen sind, haben nicht das Gefühl, dass alle Menschen darauf gewartete haben, dass Sie nun endlich die Stimme erheben. Im Gegensatz dazu erfahren Menschen, die mit viel Geld aufwachsen, von klein auf, dass ihre Stimme etwas zählt. Ihnen wird zugehört und sie bekommen durch das Geld auch Codes mitgeliefert, wie sie sich in verschiedenen Räumen zu verhalten haben. Sie bewegen sich sicherer durchs Leben.
 
In deinem Buch erfahren wir auch einiges über deine finanzielle Situation. Wo genau stehst du zwischen Armut und Reichtum? Und wie hat sich dieses Verhältnis in den letzten Jahren verändert.
 
Es verändert sich immer wieder. Aktuell lebe ich – wie zur Zeit, als ich das Buch geschrieben habe – von Arbeitslosengeld und freien Aufträgen als Journalistin. Wie es weitergeht, weiß ich gerade noch nicht, finanziell ist es gerade mal wieder ziemlich wacklig bei mir. Im Buch beschreibe ich meine finanzielle Situation und auch meine Klassenposition als „dazwischen“. Das passt ziemlich gut. Es ist ein Auf und Ab.
 
Spielt da auch deine Mutterschaft mit rein? Und falls ja, wie?
 
Definitiv. Ein gutes Leben mit Kindern, das kostet. In meinem Buch erzähle ich von einem Online-Rechner, der ausrechnet, wo man finanziell steht, Mittelschicht, Unterschicht, Oberschicht. Durch Zufall habe ich mit diesem Rechner herausgefunden, dass ein Kind zu haben in meinem Fall dafür sorgt, dass ich nicht zur sicheren Mittelschicht gehöre. Und ich bin da kein Einzelfall. Die Personengruppe, die am meisten von Armut bedroht und betroffen ist, sind Alleinerziehende. Und das ist doppelt krass, weil Ein-Eltern-Familien gleichzeitig die am stärksten wachsende Familienform sind. 
 
Du verzichtest ja darauf zu sagen, dass Menschen „arm seien“ oder „sozial schwach“. Warum?
 
Ich spreche davon, dass Menschen von Armut betroffen sind, also von Armutsbetroffenen. Das zeigt besser, dass es ein Zustand ist – der auch wieder vorbeigehen kann. Oder auch noch kommen kann. Und gleichzeitig hat „arm sein“ in unserer Umgangssprache ja auch viel mit Mitleid zu tun. Ich finde es wichtig, so genau wie möglich mit Sprache umzugehen. Und so verständlich wie möglich. Menschen, die von Armut betroffen sind, sind meistens nicht sozial schwach. Im Gegenteil, sie sind meist sozial sehr stark, weil sie es sein müssen.
 
Welche Auswirkungen hat Armut auf die betroffenen Menschen eigentlich? Konntest du das herausfinden? Du hast ja auch mit vielen Menschen gesprochen.
 
Armut macht klein. Wenn du wenig oder kein Geld hast, macht dich das klein. Du hast nicht das Gefühl, dass deine Stimme etwas wert ist. Viele Räume bleiben dir verschlossen. Armut macht einsam. Armut macht unsicher.
 
Ist Geld politisch? 
 
An Geld sehen wir Politik. Wer hat Geld und wer nicht? Das entscheidet maßgeblich Politik. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir über beides sprechen, über Politik und über Geld. Es hängt nicht davon ab, wie viel wir leisten, ob wir viel Geld haben oder wenig. Es hängt von der Herkunft ab, vom Geschlecht, ob wir mit einer Behinderung leben oder nicht, ob wir alleinerziehend sind. 
 
Bei meinen Lesungen kommt es immer häufiger vor, dass die Moderator*innen und auch das Publikum im Gespräch sagt, wie viel Geld sie aktuell verdienen. Dadurch entsteht eine offene und intime Gesprächsatmosphäre, die total angenehm ist. Es ist entlastend, offen über Geld zu sprechen. Ich kann das wirklich nur empfehlen. Wenn wir nicht über Geld sprechen hilft das nur den Menschen, die viel Geld haben.
 
Haben die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Geld und das Verfassen deines Buches Spuren hinterlassen? 
 
Nachdem ich mich jetzt so lange so intensiv mit dem Thema Geld auseinandergesetzt habe, sind einige Zitate aus der Politik für mich wirklich unfassbar. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen oder bedroht und der Bundesfinanzminister sagt, es sei genug für Kinder getan worden und er sehe keinen Spielraum für die Kindergrundsicherung!? Das macht mich wirklich fassungslos. Ich erwarte eine große gesellschaftliche Empörung – und zwar nicht nur von Menschen mit Kindern, sondern von allen. Es ist ein Skandal, dass es in einem reichen Land wie Deutschland Kinderarmut überhaupt gibt – und noch skandalöser, dass der Finanzminister nicht die dringende Notwendigkeit sieht, das zu ändern.
 
Danke, Mareice, wir hoffen, mit diesem Gespräch unserer Community Lust auf WIE VIEL gemacht zu haben. Der Blick in die Portemonnaies oder auf die Kontostände verschiedener Menschen hilft vielleicht, empathischer mit anderen und sich selbst umzugehen – egal, wie man selbst finanziell aufgestellt ist. „Genug Geld und ein gutes Leben für alle“, sollten Ziele sein, denen sich zukünftig hoffentlich mehr Menschen verschreiben.

Mareice Kaiser | WIE VIEL

Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht

Paperback, 208 Seiten
ISBN: 978-3-499-01027-9
EUR 17,00 (D)

Geld ist nicht alles? Aber Geld ist ziemlich viel: Macht, Status, Lebensgrundlage. Und Grund für ziemlich viele Gefühle: Scham, Neid, Eifersucht. Aber auch Sicherheit, Glück, Freiheit. Was macht Geld mit uns, und was machen wir mit Geld? Mareice Kaiser erzählt ihre eigene Geldgeschichte und trifft Menschen, mit denen sie über Geld spricht. Vom Pfandflaschensammler bis zum Multi-Millionär stellt sie ihnen Fragen: Wie viel Geld ist genug? Wie viel Geld macht glücklich? Wer sollte mehr Geld haben? Wer weniger? Und wie könnte Geld gerechter verteilt sein? Es geht um Armut und Reichtum, um Kälte und Wärme, um Kreditkarten und Mahnungen, um Erfolg und Not, um Chancen und Schicksal, um Macht und Machtlosigkeit – und um das Dazwischen. Außerdem um einen Blick auf ein Land, in dem die einen frieren müssen, während die anderen von Fußbodenheizungen gewärmt werden.

So entsteht eine Analyse, die entlang persönlicher Geschichten eine Struktur zeigt, die zutiefst ungerecht ist und unser aller Zusammenleben bestimmt.

Von Sara Buschmann