Ein Hammerbuch – lesenswert!
Die Autorin und Journalistin Sarah Zöllner war so begeistert vom neuen Buch unserer Kolumnistin Anne Dittmann, dass sie angeboten hat, für uns eine Rezension zu „solo, selbst & ständig – Was Alleinerziehende wirklich brauchen“ zu verfassen. Wir finden: Ihre Buchkritik ist super geworden und das Buch von Anne sowieso „der Hammer“ – da hat Sarah wirklich Recht. Los geht’s:
„Reizdarmfleißig“. Das ist so ein Wort, das mich anspringt in diesem Buch. Nach rund hundert Seiten steht es da und bringt viel auf den Punkt von dem, was Anne Dittmanns Leben als Alleinerziehende, wie sie schreibt, lange ausmachte – ebenso wie das Leben vieler Alleinerziehender: „Also, ich war immer fleißig. Nicht auf die gute Art, sondern so, wie ich es von meiner Mutter gelernt hatte: angstfleißig. Aufsteiger*innenfleißig. Reizdarmfleißig.“ Annes Mutter war auch schon alleinerziehend. Und Anne schreibt sinngemäß: ich war ihr dankbar. Und wollte zugleich alles anders machen.
Lektüre nachts um zwei
Dieses Buch ist tatsächlich eines, für das ich nachts aufstehe, um es zu lesen. Und das nicht nur, weil ich, selbst alleinerziehend mit zwei Kindern, meine Arbeitszeit nicht selten auf die – endlich ruhigen – Nächte verteile. Auch, weil mich echt packt, was ich da lese. Denn es zeigt mir, was ich aus eigener Erfahrung kenne: kein Alleinerziehendsein ist wie das andere – ebenso wie kein Muttersein wie das andere ist. Es macht so viel aus, woher ich komme, wie ich gelernt habe, mit meinen Gefühlen und den Situationen, dir mir begegnen, umzugehen, wie das Verhältnis zu meinem/r Expartner:in ist und welche Ressourcen ich habe – einfach qua Geburt und Elternhaus. Und zugleich gibt es vieles, was vermutlich viele Alleinerziehende kennen. Ich will niemanden über einen Kamm scheren, aber aus einer Menge persönlicher Begegnungen – und zum Teil auch eigener Erfahrung – weiß ich: da ist fast immer die Sorge um das eigene Kind, zumindest in der ersten Zeit nach der Trennung. Die Mischung aus Erleichterung und Trauer, wenn es nicht bei dir ist, denn dann kannst du als Alleinerziehende mal durchatmen – und zugleich schmerzt dich, dass du dafür deine Kinder wegorganisieren musst.
Auch die Frage: Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht alleinerziehend, bienenfleißig und am Organisieren bin? Wo bleibe ich in diesem ganzen Konstrukt aus Kind, Beruf und Alltagspflichten, das ich tagtäglich bewältige? Und nicht zuletzt die Mischung aus Resignation und Empörung, wenn du merkst: strukturell, in der Rechtsprechung, im Arbeitsrecht, bei der Vergabe von Sozialleistungen, werden Alleinerziehende oft einfach nicht – oder nicht ausreichend – mitgedacht. Einerseits in der Vielfalt der Lebensweisen und der persönlichen Voraussetzungen, die hinter dem Begriff „alleinerziehend“ stehen (bin ich beruflich gut abgesichert, weiß, aus wohlhabendem und bildungsnahem Elternhaus und engagiert sich mein/e Expartner:in für die gemeinsamen Kinder – oder nichts von alledem?) und zugleich in der ganz eigenen Stärke und zugleich Verletzlichkeit Alleinerziehender, die eben auch kulturell und strukturell bedingt ist.
Sorge für dich selbst. Du kannst es! – Und musst es auch können
Unsere Gesellschaft traut Alleinerziehenden inzwischen zu, mit ihren Kindern eigenverantwortlich ein gutes Leben zu führen. Alleinerziehend zu sein ist – zumindest vielerorts – kein Stigma mehr. Die Mutter kein „gefallenes Mädchen“, das Kind kein „Bangert“, wie noch vor rund 60 Jahren. Die Unterhaltsrechtsreform von 2008 geht davon aus, dass Müttern nach einer Trennung die eigenständige Existenzsicherung möglich ist – und fordert das durch Wegfall des Unterhalts für den betreuenden Elternteil, sobald das Kind drei Jahre alt ist, auch rigoros ein. „Sorge für dich selbst. Du kannst es!“ So der Appell, der dahinter steht. „Du musst es können!“, so der unausgesprochene Anspruch dahinter.
Dass genau das aber keineswegs selbstverständlich ist in einer Gesellschaft, in der Frauen auch während Ehe und Partnerschaft noch signifikant weniger verdienen, mehr familiäre Fürsorgearbeit übernehmen und dadurch gravierend schlechtere berufliche Chancen und insgesamt eine geringere soziale Absicherung haben, wird ignoriert. Mitten unter uns werden Ein-Eltern-Familien ganz offen benachteiligt. Ausgegrenzt und durchaus auch stigmatisiert. Und das gerade, wenn sie zu denen gehören, die tatsächlich Hilfe benötigen. Weil sie mit schlechter Ausbildung oder zu wenig Zeit (Stichwort unzuverlässiger Umgang, Stichwort fehlende Kinderbetreuung) einfach nicht so arbeiten können, dass es ihnen und ihren Kindern ein „gutes Leben“ ermöglichen würde. Weil sie konfrontiert sind mit gewalttätigen oder auch nur zahlungsunwilligen Expartner:innen. Oder einfach nur, weil sie von vorneherein nicht das dickste Stück des Kuchens abbekommen haben: als Migrant:innen, Arbeiterkinder oder einfach, weil sie Frauen sind.
Ein Buch, das unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält
93 Prozent aller Alleinerziehender sind Frauen und Frauen verdienen auch heute in Deutschland durchschnittlich fast ein Fünftel weniger als Männer, erhalten im Alter nur halb so viel Rente und reiben sich auf im ewigen Spagat zwischen Familie und Beruf. Alleinerziehende Mütter betrifft das alles doppelt – gerade auch, wenn tatsächlich kein (Ex-)Partner da ist, der finanziell, organisatorisch und emotional mit anpacken kann.
Anne Dittmann schreibt über das alles. Sehr persönlich. Sehr klug. Auch sprachlich wirklich beeindruckend auf den Punkt. Und vor allem gelingt es ihr, dass aus all dem kein Lamento wird. Weil sie selbstbewusst, reflektiert und kenntnisreich den Blick dafür schärft, dass ihr Bericht eben nicht die Schwierigkeiten und Erfolge einer einzelnen alleinerziehenden Mutter nachzeichnet – sondern dass wir uns als Gesellschaft darin wiedererkennen können. Wie wir mit denen umgehen, die (phasenweise) unsere Hilfe benötigen oder auch nur „reizdarmfleißig“ dafür rödeln, dass dem nicht so ist, sagt viel über uns als Gesellschaft aus. „Solo, selbst & ständig“ ist damit viel mehr als ein Erfahrungsbericht oder Ratgeber für Alleinerziehende. Es ist ein wirklich packendes Plädoyer dafür, dass wir alle endlich dort hinsehen, wo andere für uns – oder an unserer statt – sorgen. Und dass wir den Menschen, die dies tun, darunter auch Alleinerziehenden, strukturell, über Rechtsprechung und politische Entscheidungen – endlich ein gutes Leben ermöglichen. Es ist Zeit!
Wer schreibt?
Sarah Zöllner ist Journalistin, Bloggerin und Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen. Sie hat zwei Söhne im Kindergarten- und Grundschulalter. 2020 erschien ihr Buch „Alleinerziehend – und nun?“ Ihr zweites Buch „Mütter. Macht. Politik: Ein Aufruf!“ erscheint im Herbst 2023. www.sarahzoellner.com
Diese Rezension ist ebenfalls auf dem Blog unserer Autorin erschienen.
Das Headerbild ist von Magdalena Fournillier. Ihre Zeichnungen illustrieren auch solo, selbst & ständig.
Von Sarah Zöllner