Interview mit Delia Keller
Der Unterhaltsvorschuss fällt geringer aus als der Mindestunterhalt nach Düsseldorfer Tabelle. Ich wollte verstehen, warum das so ist, und habe angefangen mich mit dem Unterhaltsvorschuss zu beschäftigen. Dabei bin ich auf eine riesige Ungerechtigkeit gestoßen, die alle Kinder Alleinerziehender betrifft, deren anderer Elternteil keinen Unterhalt zahlt – sie bekommen kein Kindergeld.
Das bedeutet im Detail: Wenn Alleinerziehende keinen Unterhalt vom unterhaltspflichtigen Elternteil bekommen, können sie Unterhaltsvorschuss beantragen. Auf diesen wird allerdings das komplette Kindergeld angerechnet – und nicht nur das hälftige, wie es im zivilen Unterhaltsrecht der Fall ist. Der Staat straft also alleinerziehende Familien dafür ab, dass der unterhaltspflichtige Elternteil keinen Unterhalt zahlt oder zahlen kann. Konkret heißt das, dass Alleinerziehende mit Unterhaltsvorschuss 125 Euro (also das halbe Kindergeld) pro Kind und Monat weniger zur Verfügung haben, als wenn sie Mindestunterhalt vom anderen Elternteil bekämen. Wo wenig ist, kommt so noch weniger an, das kann ich nicht akzeptieren!
Was ärgert dich besonders an dieser Situation?
Da gibt es einiges, was mich ärgert. Angefangen damit, dass ich den Unterhaltsvorschuss für meine Kinder beantragen muss – obgleich doch der Vater derjenige ist, der keinen Unterhalt zahlt! Warum muss nicht derjenige Elternteil den Vorschuss beantragen, der ihn trotz Unterhaltspflicht nicht aufbringen kann?
Natürlich ist es richtig und wichtig, dass Alleinerziehende die Möglichkeit haben sollten, Unterhaltsvorschuss zu beantragen, falls etwa der unterhaltspflichtige Elternteil nicht erreichbar ist, aber die Regel sollte doch sein, dass derjenige Elternteil den Vorschuss beantragt, der ihn nicht leisten kann. Dies ist aber leider auch nur ein Detail des Ganzen. Das Hauptproblem beim Unterhaltsvorschuss ist die zu geringe Höhe.
Das Problem betrifft übrigens keine Minderheit: Rund 50% der alleinerziehenden Familien bekommen keinen Unterhalt vom unterhaltspflichtigen Elternteil. 830.000 Kinder in Ein-Eltern-Familien sind von dieser Regelung – eine Sparmaßnahme aus dem Jahr 2008 – betroffen. Das ist ein struktureller Missstand. Darunter dürfen nicht die Kinder leiden.
Bist du diesen Schritt alleine gegangen oder hast du Support bekommen?
Die Petition habe ich alleine als Privatperson gestartet, allerdings habe ich den großartigen Verein Fair für Kinder hinter mir, mit dessen Mitgliederinnen ich den Petitionstext diskutiert habe und mit denen ich mich jederzeit beraten kann. Auch die Plattform innn.it hilft natürlich mit, die Petition zu unterstützen: Gerade haben wir Aufkleber und Poster drucken lassen, um die Petition auch in den realen Raum zu holen. Das finde ich wichtig, denn nicht jede*r ist auf Instagram oder in anderen sozialen Netzwerken.
Besonders über Instagram habe ich aber eine ganze Reihe positiver Nachrichten von Frauen bekommen, die davon betroffen sind und sehr aktiv die Petition und die Videos dazu teilen. Das ist wertvoll!
Seit wann engagierst du dich?
Ich engagiere mich schon länger politisch, 2018 war ich bei der Gründung von es reicht für uns alle – Demo gegen Kinderarmut dabei. Darüber bin ich dann zum Verein Fair für Kinder gekommen, der sich für eine Verbesserung der steuerlichen und finanziellen Situation für alleinerziehende Familien einsetzt. Vor der letzten Bundestagswahl haben wir eine Kampagne zur Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Familienförderung initiiert, zusammen mit der Stiftung Alltagsheldinnen den Energie-Soli – der Soli für Solo-Eltern ins Leben gerufen und mit euch vor kurzem den April-Scherz zum Eheportal Ein-Eltern-Ehe.de erdacht, mit dem wir mit einem Augenzwinkern noch einmal auf die Ungerechtigkeiten des Ehegattensplittings hinweisen wollten.
Daneben bin ich weiteren Initiativen wie Kunst+Kind Berlin aktiv, die sich für bessere Bedingungen für Künstler*innen mit Kindern einsetzen. Auch von dieser Initiative wird die Petition unterstützt.
Was erhoffst du dir von dieser Aktion?
Ich erhoffe mir, dass wir sehr viele Stimmen bekommen und dass der Inhalt der Petition breiter diskutiert wird. Ich habe tatsächlich noch niemanden getroffen, der über den Unterhaltsvorschuss und die damit zusammenhängenden Ungerechtigkeiten Bescheid weiß, wenn er oder sie nicht direkt oder indirekt betroffen ist. Das heißt im ersten Schritt geht es vor allem um Aufklärung, damit diese Ungerechtigkeiten erstmal bekannt werden. Gleichzeitig habe ich noch niemanden außerhalb der Politik getroffen, der diese Sparmaßnahme verteidigen würde. Daher ist der zweite Schritt eine große Öffentlichkeit zu gewinnen und so den Druck auf die Politik zu erhöhen, das Unterhaltsvorschussgesetz endlich zu überarbeiten.
Wichtig ist auch zu wissen: Unterhaltsvorschuss ist deshalb ein Vorschuss, weil das Jugendamt sich das Geld vom anderen Elternteil zurückholen kann und auch sollte. Die Realität sieht jedoch anders aus: Nur 17 Prozent der Unterhaltspflichtigen zahlen, laut Rückholquote 2019, den Vorschuss an den Staat zurück. Auf rund 2,45 Milliarden Euro Unterhaltsschulden blieb der Staat 2021 hängen – gezahlt von der Allgemeinheit.
Und wie viele Stimmen werden benötigt?
Beim Petitionsausschuss des deutschen Bundestags werden 50.000 Stimmen benötigt, damit eine Petition angehört werden muss. Man kann eine Petition auch mit weniger Stimmen einreichen, aber dann ist es eben nicht sicher, ob es zu einer Anhörung kommt. Natürlich würde ich mir letzteres wünschen, aber so weit sind wir noch nicht. Klar ist: umso mehr Menschen die Petition unterstützen, umso besser können wir Druck auf die Politik ausüben. Zurzeit suche ich vor allem aber noch weitere Verbündete, die das Petitionsvorhaben unterstützen, indem sie darüber berichten und es weiterverbreiten – denn wir schaffen es nur gemeinsam!
Von Sara Buschmann