Interview mit Anna Manon Schimmel
Anna Manon Schimmel ist Anfang 40, evangelische Pfarrerin — und Mutter einer Zehnjährigen. Ihre Tochter sieht sie meist an den Wochenenden und in den Ferien. Wir haben Anna schon vor einiger Zeit im Fernsehen gesehen und versuchen seitdem mit ihr über ihr Familienmodell zu sprechen. Nun hat es endlich geklappt. Wie schön.
Anna, wenn man tatsächlich eine solche Kategorisierung vornehmen wollen würde, könnte man sagen, du seist eine „Teilzeitmutter“. Fühlst oder bezeichnest du dich selbst so?
Mittlerweile nenne ich mich selbst in der Öffentlichkeit: „Wochenendmutter“. Aber das eigentlich nur, um dem Ganzen einen Namen zu geben. Bei diesem Begriff horchen gleich alle auf. Das führt natürlich auch zu Missverständnissen bzw. zu einem Urteil, dem ich durch mein Aufklären in der Öffentlichkeit entgegenwirken will.
Ich selbst sehe mich einfach als: Mutter. Muttersein hört nicht auf, nur weil das Kind nicht jeden Tag da ist. Ich mache mir dieselben Gedanken und Sorgen um mein Kind, wie andere Mütter auch. Ich bin an allen Entscheidungen mitbeteiligt, ich bin involviert in alle Schulangelegenheiten und habe selbstverständlich auch unter der Woche Kontakt mit meiner Tochter.
Erzähle doch mal, wie ihr als Familie lebt und wie es zu dieser Lebenssituation kam.
Ich bin geschieden und habe eine 10-jährige Tochter. Diese lebt im Alltag nicht bei mir, sondern bei meinem Ex-Mann – 135 km entfernt. Sie kommt mindestens jedes zweite Wochenende (oft auch häufiger) und in den Ferien zu mir. Das ist jetzt seit ca. 5 Jahren so.
Wir leben quasi genau das umgekehrte Modell, dass 90 Prozent der Getrennten leben. „Normalerweise“ wohnen die Kinder bei der Mutter. So kennt man das. So soll das auch sein. „Ein Kind gehört zur Mutter“ – das Totschlagargument, das ich nicht mehr hören kann.
Ich würde gerne auch ein paar Fragen stellen, die evtl. etwas tiefer gehen. Alles was du aber nicht beantworten oder erzählen möchtest, kannst du selbstverständlich für dich behalten. Wie hast du deinen Mann kennengelernt, wann wurdest du schwanger und wie lief die Familienplanung ab?
Meinen Ex-Mann habe ich am Ende meines Studiums in meiner Stammkneipe kennengelernt. Wir waren ganz frisch zusammen als ich schwanger wurde. Ich war schon 30 und dachte: Okay, dann machen wir das jetzt. Ich wollte sowieso Familie. Ich war bereit dafür. Und da ich partout kein uneheliches Kind wollte, drängte ich meinen Ex zu einer Heirat. Erstes, weil alles seine Ordnung haben musste, und zweitens, weil ich auf dem Weg ins Pfarramt war und später einmal Vorbild in meinem Leben sein wollte. Ich bin eben auch geprägt von einem konservativen Elternhaus und einer Gesellschaft, die uns sagt: „Familie geht so und so und nicht anders!“.
Warum kam es zur Trennung?
Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört, wäre es nie zu dieser Ehe gekommen. Sie war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das merkte ich schon in der Schwangerschaft. Doch die Sehnsucht nach Familie und der gesellschaftliche Druck ließen mich alles überhören.
Wir trennten uns erst als meine Tochter zwei Jahre alt war. Viel zu spät. Doch die oben genannten Dinge, hielten mich davon ab, schon vorher endgültig zu gehen.
Ich bereue übrigens diese Ehe und auch diese Zeit nicht. Ich dachte, es sei richtig. Ich habe alles versucht. Und habe daraus gelernt, dass Manches auch mit gutem Willen nicht zu retten ist.
Wie lief die Trennung ab? Und wann kamen die Anwälte ins Spiel?
Sehr unschön. Wir haben es leider nicht geschafft, respektvoll miteinander umzugehen.
Meine Tochter ist erst bei mir gewesen, so wie das ja in den meisten Fällen gemacht wird. Als ich meine Stelle wechseln wollte, weil ich dort, wo ich war, beruflich unglücklich war, kamen das erste Mal Anwälte ins Spiel. Es gab für mich die Möglichkeit in einer Kirchengemeinde 135 km entfernt zu arbeiten und ich wollte da hin. Es gab im näheren Umkreis nämlich nichts, was meine berufliche Situation verbessert hätte, und ich wusste, wenn ich bleibe wo ich bin, gehe ich kaputt.
Mein Ex-Mann wollte mich nicht mit Kind gehen lassen und zog vor Gericht.
Wie kam es dann zur Entscheidung für euer Lebensmodell? Gab es eine Einigung oder eine gerichtliche Entscheidung?
Es gab mehrere Gerichtsverfahren. Der erste Richter hat mich auf die fieseste Art und Weise gedemütigt und bloßgestellt. Als Frau meinem Beruf eine solche Wichtigkeit beizumessen, fand er unangebracht, und dass ich auch noch für die Kirche arbeite, hat dann den Rest gegeben. Er hat mir zwar nichts „weggenommen“ weder das Aufenthaltsbestimmungsrecht noch das Sorgerecht – aber er hat nicht erlaubt, dass ich mit Kind umziehe. (Wäre das heute passiert, hätte ich den Gerichtssaal verlassen und Beschwerde über den Umgang des Richters mit mir eingelegt. Damals war ich viel zu ängstlich.)
Nach vielen Wochen des Nachdenkens bin ich dann ohne Kind umgezogen, habe den Anwalt gewechselt und ein neues Verfahren in die Wege geleitet. Nach circa einem Jahr ging es also erneut vor Gericht.
Der zweite Richter war so, wie ein Richter sein muss. Es war eine komplett andere Erfahrung als beim ersten Mal. Er hat sich in Ruhe alle Seiten angehört und war auch sehr gut vorinformiert.
Für ihn stand es quasi 50/50. Am Schluß allerdings machte er es sich einfach und ließ die Entscheidung des letzten Richters so stehen. Es änderte sich also nichts.
Wie bist du mit der juristischen Auseinandersetzung zurechtgekommen und was hat diese mit dir gemacht? Häufig hören wir, dass familiengerichtliche Verfahren traumatisch sein können. Bist du immer noch angefasst von diesem Erlebnis?
Es ging mir sehr schlecht. Ich habe Wochen und Monate geheult. Besonders nach dem ersten Gerichtsverfahren fühlte ich mich so sehr gedemütigt und ungerecht behandelt. Ich hab sehr lange immer wieder fantasiert, wie ich mich hätte anders verhalten und was ich hätte sagen müssen.
Außerdem wusste ich nicht wie ich weiter handeln sollte. Ich wollte nicht ohne meine Tochter umziehen, doch ich wusste auch: Ich kann nicht da bleiben, wo ich bin.
Wie bist du letztlich für dich zu einer Entscheidung gekommen?
Nach dem zweiten Gerichtsverfahren war meine Kraft am Ende. Ein Teil meiner Familie und Freunde sagten: Du musst weiterkämpfen. Doch innerlich wusste ich, dass es Zeit war loszulassen. Ich wollte nicht weiter an meiner Tochter zerren und reißen. Ich wusste mein Ex-Mann würde niemals aufgeben. Einer musste es tun. Und das war in diesem Fall eben ich.
Wie bist du persönlich mit dieser Situation umgegangen, als sie noch „frisch“ war? Hattest du Schuld- oder Schamgefühle?
Ich hatte entsetzliche Schuld- und Schamgefühle! Ich hatte das Gefühl, ich musste mich ständig vor anderen rechtfertigen und dachte immer, ich muss alles genauestens erzählen, damit bloß niemand denkt, ich sei eine Rabenmutter.
Mittlerweile sind diese Schuld- und Schamgefühle verschwunden. Ich rechtfertige mich nicht mehr. Ich sage: So ist es und nicht anders.
Als die Entscheidung, dass deine Tochter bei ihrem Vater leben würde, final stand, warst du sehr traurig. Wie bist du mit der Trauer umgegangen und was hat dir geholfen?
Ich habe viel mit mir nahen Menschen darüber gesprochen. Besonders meine große Schwester war eine stabile Stütze und die beste Ratgeberin, die man sich wünschen kann. Außerdem gab es viel laute Klage Richtung Himmel. Ich hab Gott beim Hundespaziergang täglich angeschrien! Das tat unglaublich gut. Ich wusste, Gott hört zu und kann meine Wut aushalten und verurteilt mich nicht. Und ich habe ununterbrochen geheult. Habe das nie runtergeschluckt, sondern jede Träne, die kam, fließen lassen.
Ich habe viel Energie in meine Arbeit gesteckt und darin Erfüllung und auch Ablenkung gefunden. Das war etwas, das ich kontrollieren konnte. In meinem Job bin ich größtenteils nicht fremdbestimmt und kann ihn so ausfüllen, wie es mir Freude bereitet.
Außerdem habe ich auf Autofahrten zurück, in denen ich meine Tochter bei ihrem Vater abgegeben habe, 10 mal hintereinander: „Let it go“ von Anna und Elsa (Disney) gehört und mitgegrölt. Hört sich albern an, hat aber alles geholfen.
Und dann ist es auch einfach die Zeit, die hilft.
Wie ging es in den nächsten Jahren weiter? Wie ist das Verhältnis zum Vater deiner Tochter?
Mittlerweile hat sich das alles gut eingespielt. Meine Tochter kommt gerne her und sagt: das ist mein Zuhause. Sie hat hier zwei richtig gute Freundinnen, die oft bei uns schlafen. Sie kennt alle Nachbarn sehr gut und begleitet mich oft, wenn ich beruflich bei Gottesdiensten oder auf Konfifreizeiten unterwegs bin. Natürlich ist es anders, als bei Menschen, die am Wochenende frei haben – ich arbeite schließlich am Wochenende und somit ist auch hier meine Zeit begrenzt.
Mit dem Vater kommuniziere ich möglichst nur per WA. Wir hatten jahrelang einen Betreuer, der mit uns das Jahr geplant hat. Ohne wäre es nicht gegangen und ich bin sehr froh und dankbar, das es solche Hilfen gibt. Mittlerweile brauchen wir den Betreuer nicht mehr und meistens klappt es einfach, indem wir uns gegenseitig Nachrichten schreiben. Telefonieren geht nicht.
Hilft dein Beruf beim Verzeihen oder Versöhnen?
Ich denke schon, dass mein christlicher Glaube und meine Einstellung zur Versöhnung mir selbst geholfen haben, loszulassen und keinen Groll zu hegen. Allerdings bin ich auch nur ein Mensch und ich habe Zeit gebraucht, um innerlich da zu sein, wo ich jetzt bin. Und es gibt manche Verletzungen, die brechen immer wieder auf und mit ihnen kommt dann schon auch mal wieder die Wut. Ich denke, Verzeihen und Versöhnen ist ein lebenslanger Prozess.
Bist du heute zufrieden mit diesem Lebensmodell? Oder gibt es etwas, was du ändern würdest, wenn du könntest?
Ich bin zufrieden mit meinem Leben, ja. Auch, wenn ich es mir immer ganz anders ausgemalt habe. Ich hätte von Herzen gern meine Tochter bei mir und auch sehr gerne mehr Kinder gehabt und einen Partner, der mit mir lebt.
Es kam alles anders – doch auch anders kann es schön sein. In dem Moment, wo ich angefangen hatte, die Situation zu akzeptieren, wurde es immer besser. Wenn du anfängst den IST-Zustand anzunehmen, dann kannst du auch wieder auf das, was du lebst, Einfluss haben. Als ich entschied, nicht weiter zu kämpfen, entschied ich mich auch für mich selbst: Endlich nicht mehr fremdbestimmt zu sein und die Situation so wie sie ist, selbst in die Hand zu nehmen und das gestalten, was sich gestalten lässt.
Im Moment möchte ich nichts ändern, denn sonst würde ich dies mit aller Macht versuchen.
Wie geht es eurem Kind mit eurem Familienmodell?
Ich denke, es war in den ersten Jahren als meine Tochter zwischen 5 und 7 war sehr schwer. Jede Trennung ist für Kinder furchtbar und meine Tochter hat sich lange Zeit Normalität gewünscht. Das hat sie auch so geäußert. Doch ich denke, dass wir alle das Beste aus der Situation gemacht haben und meine Tochter heute zufrieden ist, mit dem wie es ist. Vieles hat sich wirklich gut eingespielt. Meine Tochter macht einen glücklichen Eindruck. Ich sage absichtlich nicht „meine Tochter ist glücklich“, denn ich bin nicht meine Tochter. Das wird sie uns später selbst sagen können, ob sie eine glückliche Kindheit hatte. Jedenfalls geben sowohl mein Ex-Mann als auch ich, alles was wir können, damit sie glücklich ist. Wie das Eltern eben so machen…
Wie lebt deine Tochter? Hat sie Geschwister?
Meine Tochter lebt mit meinem Ex-Mann und seiner Freundin in einer Kleinstadt. Sie hat bisher keine Geschwister.
Im Rahmen unserer Arbeit für SOLOMÜTTER stoßen wir regelmäßig an gesellschaftliche Grenzen und Stigmata. Wir erleben Vorurteile und sogar Anfeindungen. Dabei sind Alleinerziehende ja mittlerweile keine Randerscheinung mehr, sondern mit 20% ein valider Anteil der Familien in unserem Land. Die meisten Ein-Eltern-Familien sehen aber eben anders aus und bestehen zu 90% aus Mutter und Kind oder Kindern. Welche Reaktionen erhältst du von der Öffentlichkeit?
Ich stehe berufsbedingt in der Öffentlichkeit und bin Pfarrerin von drei Dörfern. Meine Lebenssituation kann und wollte ich nie verheimlichen. Ich habe immer sehr offen darüber gesprochen, dass ich alleine ins Pfarrhaus ziehe und meine Tochter nicht immer da sein wird. Erstaunlicherweise haben 99 Prozent der Menschen absolut verständnisvoll reagiert und abgesehen von ein paar Dorfgerüchten, die ich sofort im Keim erstickt habe, gab es (soweit ich weiß) keine Verurteilungen und Anfeindungen.
Das sieht im weltweiten Netz allerdings anders aus: Ich erlebe auf Social Media (Instagram und Facebook) sehr viele Anfeindungen und Verurteilungen zu meinem bzw. unserem Lebensmodell. Dass eine Mutter es wagt, zu gehen und nicht bis zum bitteren Ende für ihr Kind zu kämpfen, widerspricht für die meisten Menschen der Mutterschaft. Eine Mutter hat sich gefälligst komplett aufzugeben. Beruf und alles andere hinter die Priorität „Kind“ zu stellen. Sonst ist sie eben keine gute Mutter.
Mir war, als ich anfing über mein Muttersein zu schreiben und zu erzählen, erstmal gar nicht bewusst, was für ein Fass ich damit aufgemacht hatte. Doch schnell stellte ich fest, für viele Frauen in meiner Situation ist das ein absolutes Tabuthema und die Scham extrem groß. Hunderte Frauen haben mir geschrieben und sich bedankt, dass ich darüber spreche. Und gleichzeitig gab es z.B. unter einem Facebook-Post des Nachtcafés, hunderte Nachrichten, in denen mir mein Muttersein abgesprochen und ich beleidigt wurde.
Diese heftigen Reaktionen bestärken mich nur darin, weiterhin offen über mein „Wochenend-Muttersein“ zu sprechen. Egal wieso ich oder wir in diese Situation gekommen sind, niemand hat das Recht, mich zu verurteilen und mir irgendetwas abzusprechen – weder meine Mutterliebe, noch die Bindung zu meinem Kind, noch sonst etwas.
Und andere Mütter, die sich vielleicht sogar von vornherein freiwillig für dieses Modell entschieden haben, dürfen auch nicht verurteilt werden.
Wochenendväter werden so gut wie nie in die Schublade „Rabenvater“ gesteckt. Ihnen wird nicht gesagt: „Ich könnte das nicht!“ Und sie werden auch nicht gefragt: „Vermisst du denn unter der Woche die Kinder nicht?“ oder „Du hast sicher eine gestörte Bindung zu deinem Kind“.
Da hast du sehr Recht. Danke für diese Offenheit und das Sprechen. Wie erlebst du dein Leben heute? Gibt es Unterschiede in der Bindung zu deinem Kind im Vergleich zum Vater? Oder hast Du manchmal Sorge, dass deine Tochter dich weniger doll lieb hat als den Papa?
Ich lebe ein völlig anderes Leben als mein Ex und bin auch ein ganz anderer Mensch. Meine Tochter weiß das und stellt sich darauf ein, sowie das alle Kinder bei ihren Eltern oder anderen Menschen machen.
Bei mir sind andere Dinge möglich als bei ihrem Vater, in manchen Dingen bin ich strenger und in manchen Sachen lockerer.
Unsere Bindung hat unter der Vergangenheit und der Situation in der Gegenwart bis jetzt nicht gelitten. Wir streiten uns und wir haben uns lieb. Ich habe keine Sorge, dass sie mich weniger liebt als ihren Vater.
In den Zeiten rund um das Gerichtsverfahren war das allerdings anders. Da gab es eine riesige Konkurrenz zwischen uns. Es war wie ein Wettkampf, den niemand gewinnen kann und dem man sich gar nicht aussetzen sollte, denn Kinder lieben ihre Eltern. Meine Tochter hat nie einen von uns mehr als den anderen geliebt, davon bin ich überzeugt.
Hast du dich jemals selbst als „Rabenmutter“ gefühlt, weil du nicht jeden Tag ein Butterbrot schmierst?
Ich kenne keine Mutter, die nicht mal das Gefühl hatte, eine Rabenmutter zu sein. Wir versuchen doch immer alles richtig zu machen und egal wieviel Zeit wir mit unseren Kindern verbringen, es läuft doch nicht immer alles so wie gewünscht. Und dann machen wir uns Vorwürfe und denken, wir sind Rabenmütter. Das kann aus X- Gründen passieren: Weil man zu streng war. Weil man in einem Moment falsch reagiert hat. Weil man nicht geduldig war… oder oder oder…
Ich hatte dieses Gefühl sehr oft als meine Tochter sehr klein war. Auch weil der Druck von außen auf uns Mütter so enorm ist. Es redet einem doch jeder rein und meint, man müsste es anders machen.
Heute habe ich dieses Gefühl nur noch ab und an. Aber nicht wegen unseres Modells, sondern wenn ich im Nachhinein das Gefühl habe, ich habe z.B. in einem Konflikt nicht angemessen reagiert.
Dass ich keine Pausenbrote schmiere, stört mich eigentlich um der Sache willen nicht – es macht mir nur bewusst, dass ich niemals einen normalen Alltag mit meinem Kind haben werde – und das schmerzt ab und an eben doch.
Was bist du denn für eine Mutter? Was möchtest du deinem Kind vermitteln?
Ich bin so Mutter, wie ich auch Mensch bin: Ehrlich, chaotisch, mit viel Liebe und Leidenschaft. Ich lebe meinem Kind vor, dass Freiheit etwas sehr Wichtiges ist und dass ihr niemals jemand reinreden darf, was gut für sie ist.
Mit den Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe, möchte ich Vorbild für sie sein und zeigen, dass auch sie irgendwann mutig Entscheidungen treffen kann, die für sie selbst richtig sind.
Mir ist es nicht so wichtig, dass meine Tochter ein ordentliches Zimmer hat, aber dass sie lernt respektvoll mit anderen umzugehen und auf ihre Mitmenschen zu schauen. Da bin ich vielleicht auch berufsbedingt etwas nervig.
Was außer deiner Familiensituation zeichnet dich als Mensch aus? Wer bist du, wenn du nicht Mutter bist?
Ich bin Anna Manon. Ich bin in erster Linie Mensch und Frau und dabei Mutter und Pfarrerin. Ich ziehe das Muttersein nicht aus, wenn ich Pfarrerin bin. Genauso wenig wie ich das Pfarrerinnensein ausziehe, wenn ich meine Tochter bei mir habe.
Meine Berufung ist mir zwar sehr wichtig: Ich liebe es sehr Pfarrerin zu sein. Den Menschen Gott und Jesus Christus nahezubringen, Kirche und Gemeinden zu gestalten und für Menschen da zu sein in all ihren Lebensphasen – aber ebenso liebe ich es Mutter zu sein. Meinem Kind die Welt zu zeigen. Sie zu lieben, mit ihr 3 Fragezeichen zu hören, Harry Potter zu lesen und für sie da zu sein.
Ich bin sehr tierlieb und fülle die leeren Räume des großen Pfarrhauses und den Garten mit allerhand Getier. Zwei Hunde, vier Katzen und sechs Landschildkröten leben bei uns.
Ich bin Beziehungsmensch. Ich bin gerne unter Menschen, Freund*innen und Nachbar*innen. Meine Tochter liebt dies ebenso. Eine Leidenschaft, die uns verbindet.
Magst du noch etwas zum aktuellen Mutterbild, zur Mutterrolle sagen? Warum wird in Deutschland die Mutterschaft so hoch aufgehängt? Glaubst du, die Identität von Frauen geht manchmal verloren, wenn sie Mutter werden?
Es ist 2023 und trotzdem ist das Mutterbild ein uraltes: Die ideale Mutter, die alles opfert für Kind und Mann. Sie ist nicht aus den Köpfen zu kriegen. Ich schaue um mich herum und selbst emanzipierte Freundinnen haben meist die volle Verantwortung für die Care-Arbeit rund ums Kind. Ich erzähle da nichts Neues. Was ich sehe, ist, dass wir Frauen in dieses Bild so reinmanövriert wurden, dass wir selbst denken: „Ohne uns geht’s nicht!“. Das sitzt so tief und wird noch viele Jahre dauern, bis wir da raus sind.
Ich glaube nicht wirklich, dass die Identität verloren geht. Das geht nämlich gar nicht. Und es ist auch völlig normal, dass es eine Weile „nur“ ums Kind oder die Kinder geht. Das ist ja auch eine schöne Priorität, die man setzen kann, im Leben. Aber doch bitte mit dem Partner gemeinsam.
Wieso können sich nicht alle Männer vom ersten Tag an voll mitverantwortlich fühlen und bei allem mitdenken? Dann würde diese Frage nach verlorener Identität gar nicht gestellt werden, weil es für beide Seiten normal wäre, dass das eigene Leben und die eigenen Bedürfnisse zeitweise in den Hintergrund geraten.
Und wie steht das im Zusammenhang mit dem kirchlichen Glauben?
Die Kirche hat entschieden zu unserem Mutterbild beigetragen. Ganz besonders natürlich das idealisierte Bild unserer Maria. Eine reine, gute, perfekte Jungfrau, die Gottes Sohn zur Welt gebracht hat. Mütter haben sich so heilig zu verhalten wie Maria, die sagte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn! Mir geschehe nach deinem Wort!“ (Lk 1,38) – sich zu opfern, alles anzunehmen und hinzunehmen, das wird von einer guten Mutter erwartet.
Schön, dass Geschichten wie eure diesem veralteten Bild etwas entgegensetzen. Nur erzählte Geschichten und Familienmodelle können Teil der gelebten Alltagsrealität werden.
Am Anfang habe ich meine Geschichte nur erzählt, weil ich auf Gerüchte reagieren wollte. Nach und nach habe ich aber festgestellt wie unsichtbar Frauen sind, die wie ich ihr Muttersein in diesem Modell leben und wie schambehaftet unser Thema. Nach meinem ersten Mini-Auftritt im SWR-Fernsehen, bei der Landesschau Baden-Württemberg haben sich so viele Frauen gemeldet und mir für meinen Mut gedankt. Ich wurde um Rat gefragt und viele haben mir einfach ihre Geschichte erzählt. Mit der Zeit wurden es dann auch viele Männer, die mir schrieben und mich um Feedback baten oder ähnliches.
Nachdem ich dann auch einiges an Shitstorm über mich ergehen lassen musste, wurde mir einfach immer deutlicher: Das Thema Wochenend-Mutterschaft muss in die Öffentlichkeit. Es muss als normales Familienmodell neben anderen gleichwertig stehen dürfen, ohne das Müttern ihr Muttersein abgesprochen wird. Dafür kämpfe ich mit meiner Geschichte!
Kannst du Müttern in deiner Situation einen oder gerne auch mehrere Ratschläge geben?
Jede Familientrennungssituation ist eine andere, deswegen bin ich da recht vorsichtig mit allgemeinen Ratschlägen.
Wenn es Mütter sind, die im Gerichtsverfahren sind, oder darüber nachdenken nicht mehr zu kämpfen, oder die von vornherein mit ihrem Partner einig sind, dass sie das Wochenendmodell leben wollen, rate ich: Sprecht mit anderen darüber. Mit Menschen, denen Ihr vertrauen könnt und die Euch gut tun. Oft ist es auch sinnvoll Profis ranzuziehen: Psychotherapeuten oder Coaches, die euch nicht nach dem Mund reden, sondern Euch mit echten Tipps stärken, bzw. euch die Dinge aus anderen Perspektiven aufzeigen.
Und ich möchte diesen Müttern sagen: Egal wie es dazu kam, egal was ihr entscheidet, egal was andere sagen, ihr seid keine Rabenmütter, nur weil ihr freiwillig oder unfreiwillig von euren Kindern getrennt lebt. Eine gute Beziehung zum eigenen Kind zu haben, geht auch ohne den Alltag miteinander! Das wissen wir aus Großeltern- , Tanten- und Onkel-Beziehungen. Die können genauso innig und wertvoll sein, wie die Beziehung, die ein Kind zu seinen Eltern hat.
Dein Kind ist immer noch dein Kind, auch wenn es woanders wohnt. Dein Kind wird es mit der Zeit verstehen und es wird nicht einfach aufhören dich zu lieben, denn du bist seine Mutter!
Was hat Dir rückblickend geholfen, deinen individuellen Weg zu gehen und bei Dir zu bleiben?
Ganz sicher: mein Glaube an Gott. Das Vertrauen, dass da jemand ist, der mich bei alldem begleitet und mich darin bestärkt, dass es richtig ist, was ich entscheide.
Danke, Anna, das war ehrlich, aufrichtig und spannend. Es gab so viele Denkanstöße. Wir finden deinen Weg gut und richtig. Danke, dass du auch uns noch einmal deine Geschichte erzählt hast. Es gibt eben nicht nur den einen Weg Familie zu leben, sondern ganz viele! Alles Gute für dich und deine Tochter.
Von Sara Buschmann