Warum ich kein zweites Kind will – und warum es trotzdem manchmal weh tut, diesen Gedanken loszulassen

Als alleinerziehende Pflegende Mutter eines schwerstbehinderten Kindes mit Pflegegrad 5 habe ich schon oft darüber nachgedacht, wie es wäre, noch ein Kind zu haben. Eine Zeit lang habe ich mir das sehr gewünscht. Besonders in der Elternzeit und der Zeit, in der ich noch geringfügig beschäftigt war. Als ich also vor  über zwei Jahren mit meinem heutigen Freund zusammen kam, war dieser Gedanke noch allgegenwärtig. Eine schöne Vorstellung: ein Kind mit einem Partner bekommen, der fürsorglich ist, der sich Gedanken um die Zukunft macht und ähnliche Vorstellungen vom Kinder groß ziehen hat, wie ich, anders finanziell aufgestellt sein, weniger Ungewissheit und mehr Entspannung. Eine feste Arbeitsstelle haben, zu der ich nach der Elternzeit zurückkehren könnte. Kein alleiniges Mental Load mehr.

Vor etwa einem Jahr glaubte ich, womöglich schwanger zu sein. Auch wenn die Voraussetzungen für ein gefestigtes Familienleben nicht gegeben waren, da er gerade erst anfing mehr Umgang mit seinem Kind zu haben, es wegen der emotionalen Belastung seiner und meiner Situation oft Konflikte gab und wir kliometerweit  voneinander weg wohnen, habe ich gehofft, dass der Test positiv sein möge. Wir hätten uns beide gefreut. Als er es nicht war, war ich traurig. 

Ein Jahr später pinkle ich erneut auf einen Teststreifen. Wie damals bin ich relativ sicher, dass ich nicht schwanger sein kann. Wie damals will ich sicher gehen. Aber diesmal google ich Beratungsstellen und hoffe inständig auf ein negatives Ergebnis. 

Aus “ich hätte so gerne noch eins” ist erst „ich glaub vielleicht nicht” und mittlerweile “um Gottes Willen, ich will wirklich nicht NOCH ein Kind großziehen und meine Partnerschaft dafür opfern” geworden. Der Test ist negativ, ich bin erleichtert.

Was ist also passiert in diesem Jahr? Was hat meine Meinung geändert?

War es mein Partner, der versuchte, sich in seiner Vaterrolle und als Ex-Mann zurechtzufinden und dem ich nicht zumuten konnte, ein neues Kind willkommen zu heißen, während er beim ersten doch gerade erst eine Bindung aufbaute?

Oder war es der Fakt, dass ich nicht nur bereits Mutter bin, sondern eine pflegende Mutter? Dass mein Kind den höchsten Pflegegrad hat und ich so ausgelastet bin, dass ich mehr Kinder gar nicht mehr schaffen könnte? Dass meine jetzige Partnerschaft wahrscheinlich keine erneute (und für uns erstmalig gemeinsame) Elternschaft überleben würde, schon gar nicht, wenn wir in getrennten Wohnungen leben?

Nichts davon stimmt komplett und alles davon stimmt ein kleines bisschen. Eines aber haben all diese Annahmen gemeinsam: Sie machen weder individuell aus, was meine Entscheidung beeinflusst hat, noch gibt es einen direkten Grund. Vielmehr sind sie ein winziger Bruchteil in diesem ganzen Prozess.

Was noch ein Kind für mich/uns bedeuten würde, hatte ich zu dem Zeitpunkt des ersten Tests nicht bedacht. Und tatsächlich sollte dies auch in meiner Entscheidungsfindung letztendlich eine untergeordnete Rolle spielen. Zumindest anders, als die meisten glauben.

Die meisten Leute denken nämlich, dass ich kein weiteres Kind möchte, weil ich bereits ein behindertes Kind habe. Manche denken so, weil sie annehmen, dass mein Alltag zu anstrengend sei. Manche, weil sie glauben, es tut mir zu weh, ein nicht behindertes Kind auszutragen, manche, dass ich Angst vor dem Risiko habe, ein weiteres behindertes Kind zu bekommen. Natürlich ist diese Entscheidung nicht komplett freiwillig. Ich bin fast 38 Jahre alt. Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich anders darüber nachdenken.

Ich bin aber nicht zehn Jahre jünger. Und deshalb war diese Erkenntnis und diese Entscheidung auch keine, bei der ich mir sofort sicher sein konnte. Vielmehr war es eine Frage, die ich mir immer wieder stellte. Und jedesmal, wenn ich es tat, schwanden die Argumente für ein weiteres Kind. Bis es irgendwann keine mehr gab, bis auf: Ich liebe Babies und ich war gerne schwanger, außerdem könnte sich jemand um meine Tochter kümmern, wenn ich nicht mehr bin. Und das halte ich nicht für ein ausreichendes Argument im Dialog mit mir selbst. 

Die Vorstellung nämlich, dass dieses Baby größer würde, mit all den Bedürfnissen, die Kleinkinder mit sich bringen, den schlaflosen Nächten, dem ständig gebunden sein,

Keine Zeit mehr füreinander als Paar zu haben, keine Zeit mehr für mich zu haben, für wahrscheinlich die nächsten 14 Jahre oder länger hat mich sehr ernüchtert.

Denn ich muss meine Ressourcen schonen.

Das bedeutet, solange ich eine Mutter habe, die meine Tochter betreuen und übernehmen kann, nutze ich dieses Privileg. Wenn meine Mutter nicht mehr in der Lage dazu ist oder nicht mehr lebt, werde ich keine Auszeit mehr haben. Zumindest nicht in der Form. Während die Kinder von anderen erwachsen und selbstständig werden, wird meines größer und ich älter. Ich selbst lebe auch mit einer Behinderung und kenne mittlerweile meine Grenzen besser als früher. Ich weiß auch besser als früher, wie fundamental einschneidend es für jeden Aspekt meines Lebens wäre, ein weiteres Kind zu bekommen. Und so vielseitig die Emotionen, die diese Entscheidung mit sich bringt, auch sind, ich bin mir deshalb nicht weniger sicher, dass sie die richtige für mich ist.

Von Jasmin Dickerson

Porträt von SOLOMÜTTER Gastautorin Jasmin Dickerson