Ich vermisse meine Tochter nicht

Ich vermisse meine Tochter nicht, wenn ich alleine verreise.

Das hört sich jetzt vielleicht irgendwie gemein und hart an. Aber ich tue es wirklich nicht. Ich kann mich voll und ganz auf meine Reise konzentrieren, die meistens zu meinem Beruf gehört. Ich habe dann bis zu 10 Tage, an denen ich einzig und allein Aileen bin, Aileen im professionellen Kontext. Meine Tochter wird in der Zeit meistens von meiner Mutter betreut und ab und zu ist sie bei Freund:innen. Und bis jetzt ging es ihr immer gut. Das ist natürlich Voraussetzung dafür, dass ich gut und ohne schlechtes Gewissen unterwegs sein kann. Ich muss mir sicher sein, dass es ihr gut geht. 

Wem gehört meine Zeit, wenn nicht mir selber? 

„Oh, du vermisst Deine Tochter bestimmt sehr“, werde ich oft gefragt, wenn ich allein unterwegs bin. Und meine Antwort wäre gerne „Nee, eigentlich nicht“, aber ich sage dann schön konditioniert „Ja, ich vermisse sie sehr.“ Das ist natürlich auch nicht wirklich gelogen, aber halt auch nicht die Wahrheit. Ich genieße meine Zeit alleine, die eigentlich nie Me-Time ist, sondern Lohnarbeit oder Ehrenamt. Wobei die Frage natürlich im Raum steht, die Terese Bücker in ihrem Buch „Alle Zeit“ aufwirft: Wem gehört die Zeit, wenn nicht mir selber? Ich  genieße die Tage, an denen ich nur für mich zuständig bin, an denen ich einzig und allein für mich selber entscheiden kann. Was möchte ich essen, wann und wie will ich schlafen? Es ist Zeit der Erholung von der ständigen „Care-Arbeit“ die man als Alleinerziehende bewältigt. Doch wenn ich das genauso auch äußern würde, wäre da jedesmal unangenehme Stille. Man sagt sowas nicht. Man gibt sowas nicht zu. Als Mutter muss ich so investiert in diese Rolle sein, dass Zeit ohne mein Kind fast traumatisch schmerzhaft scheinen muss. Aber das ist es nicht. Ich erinnere mich noch an meine ersten Dienstreisen, ich versuchte mit allen Mitteln meine Tochter von irgendeinem Hügel im ländlichen Südafrika, auf dem ich Netzwerk hatte, anzurufen. Nach vielen Versuchen komme ich zu ihr durch und meine Tochter sagt nur ganz trocken „Mama, ich kann jetzt nicht ich muss spielen!“. Ich glaube, das waren die Momente, an denen ich wusste, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Dass mein alternatives Netzwerk funktioniert und meine Tochter gut aufgehoben ist. Von dem Moment an konnte ich mich so richtig gut entspannen. 

Ich muss zugeben, es wird schwieriger je älter meine Tochter wird. Ich glaube wir sind in diesem merkwürdigen Alter, in dem sie es noch nicht genießt, dass ich weg bin, und gleichzeitig die Absenz anders wertet. Ich habe sie für diesen Artikel gefragt wie sie es findet, wenn ich unterwegs bin und sie sagte sehr bestimmt: „ Also manchmal finde ich es blöd und gleichzeitig ist es auch ok“, auf Nachfrage warum sie es blöd findet, sagte sie: „ Na ja, weil ich dich dann halt nicht so viel sehe, also ich sehe dich dann ja gar nicht, aber ich weiß ja das du zurück kommst.“

Ambivalenz ist ok 

Diese Ambivalenz muss ich aushalten. Dass sie nicht „Juhu“ schreit ist klar und gleichzeitig liegt sie nicht weinend auf dem Boden – ich denke, das ist eine ganz gute Balance. Sie versteht, dass ich das brauche, um meinen Job zu machen, dass ich meinen Job sehr gerne mag, weiß sie auch und sie war schon öfters mal mit mir unterwegs. Sie hat eine genaue Vorstellung davon, warum ich unterwegs bin und was ich dort so treibe. Als ich mich mal entschuldigte dafür, dass ich so viel arbeite, sagte sie trocken, dass es ok sei, weil ich ja eine coole Arbeit hätte. Sie assoziiert mit meinem Büro Limo und einen großen Monitor zum Cartoons gucken… Alles richtig gemacht. 

Ich bin mir allerdings auch bewusst, dass ich einen anderen Zugang zum Vermissen hätte, wenn ich Zweifel daran hätte, ob es ihr wirklich gut geht. Ich weiß von vielen Alleinerziehenden, dass die Trennung vom Kind schwer ist, wenn man z.B. der/dem Ex-Partner:in nicht vertraut, wenn man etwa durchs Wechselmodell gezwungen wird, auch wenn man kein gutes Gefühl dabei hat. Ich kann es nachvollziehen und ich glaube, um das Wohl des Kindes zu bangen, ist womöglich eines der am schwersten auszuhaltenden Gefühle, die ich kenne. Ich habe das nicht. Der Vater meiner Tochter ist so gar nicht im Bilde und daher muss ich auch nichts aushandeln und somit bleiben mir auch die schlechten Gefühle erspart. Natürlich wird mir dadurch auch Unterstützung und Unterhalt verwehrt, aber das nehme ich in Kauf dafür, dass ich mich auf „mein“ Netzwerk verlassen kann. 

Das Model muss verteidigt werden

Ich war nicht immer so selbstsicher im verteidigen meines Models. Als Alleinerziehende Vollzeit zu arbeiten, bedarf Rechtfertigung, nicht zu arbeiten übrigens auch und wenig zu arbeiten sowieso. Ich habe lange defizitär auf mich geschaut, dafür, dass ich mein Kind alleine lasse, dafür, dass ich Karriere auch wähle und dafür, dass ich meinem Beruf einen so großen Wert zuschreibe. Ich weiß jetzt aber besser, dass ich eine schlechtere Mutter wäre, würde ich dies nicht so tun. Meine Hoffnung ist, dass meine Tochter es irgendwann wertschätzt, vielleicht sogar etwas stolz ist auf mich und die Arbeit die ich tue. Dennoch bin ich selber nicht das Problem, das weiß ich. Wenn ich fairer besteuert würde, könnte ich ein paar Stunden weniger arbeiten, um meine Großstadtmiete und den relativ einfachen Lebensstil zu finanzieren. Würden mehr Familienmenschen Politik machen, die die Realitäten der Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit mitdenken würden (ich sag nur 12 Wochen Ferien im Jahr und 6 Wochen Urlaub für mich…), würden wir unsere Zeit nicht individuell mit unseren Arbeitgeber:innen verhandeln müssen, sondern uns gewerkschaftlich organisieren und für bessere Modelle für alle eintreten, dann sähe die verfügbare Zeit für uns alle etwas anders aus. Aber ich schweife ab…

Sozialisiertes Mutterbild noch allgegenwärtig 

Letztendlich ist es ja die Tatsache, dass ich außerhalb des Rahmens, den die Mutterschaft vorgibt, nicht existieren soll. Es ist die Brille, durch die ich gesehen werde. Und wenn ich aus dieser Box raussteige, und das auch noch genieße, dann können Viele das einfach nicht verarbeiten. Es ist nicht vorgesehen. Es bedarf Kraft, innere Arbeit und Selbstbewusstsein, um das Wohlbefinden auch ohne Kind zu verteidigen. Ich arbeite auch noch dran, aber es wird einfacher je mehr ich drüber spreche und je sicherer ich mich in meiner Rolle und unserem Familiengefüge fühle. Sich ohne Kind neu zu definieren ist wichtig und erfüllend und ich gönne es allen ab und zu und das Wichtigste: Ich bin trotzdem eine gute, liebende Mutter. 

Von Aileen Puhlmann