Wie der Staat Alleinerziehende zum Alleinbleiben zwingt
Studenten-WG, man kennt es. Wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, weiß man trotzdem, worum es geht: Zwei oder mehr Menschen gehen eine Zweck- und Wohngemeinschaft ein, so spart man Miete und ist weniger allein. Man teilt Küche, Bad und Putzplan, es wird zusammen gekocht und gegessen. Oft entstehen Freundschaften, man wird, wenn es gut läuft, eine Art Ersatz-Familie, teilt Probleme und Alltagssorgen, unterstützt sich gegenseitig. Und manchmal entsteht auch die ein oder andere Liebschaft oder gar eine richtige Beziehung.
Den Staat interessiert das nicht, es bekommt trotzdem jeder Studierende* unabhängig von den anderen WG-Mitbewohnern sein BAföG – denn wer mit wem was hat, geht den Staat ja auch nichts an.
Und man ist eben keine Haushaltsgemeinschaft, man wirtschaftet nicht gemeinsam, jeder hat sein eigenes Geld. Verdienen manche WG-Mitbewohner gutes Geld, tangiert das den BAföG-Bezug der anderen natürlich nicht. Es wäre ja auch völlig absurd davon auszugehen, dass Menschen sich gegenseitig finanziell versorgen, nur weil sie sich Wohnraum teilen und sich auch noch mögen. Oder?
Bei Alleinerziehenden sieht die Sache ganz anders aus.
Bezieht man Hartz4, geht der Staat sofort davon aus, dass diese andere erwachsene Person, mit der man da zusammenleben möchte, sich selbstverständlich auch finanziell um einen kümmert. Zu beweisen, dass man KEINE sogenannte Bedarfsgemeinschaft bildet, ist schwer. Will man es trotzdem, muss man unter Umständen sehr demütigende Hausbesuche über sich ergehen lassen, bei denen die Menschen vom Amt ganz genau schauen, wer wo schläft, ob die Zahnbürsten zusammen im Becher stehen und ob man es hier nicht vielleicht doch mit Sozialbetrug zu tun habe. Eine Beziehung darf man in diesem Szenario nämlich nicht führen. Man darf maximal befreundet sein. (Ob “friends with benefits” nun als Freundschaft oder als Beziehung gilt, darüber schweigt Vater Staat sich aus – man verzeihe mir meinen Sarkasmus an dieser Stelle.)
Bezieht man Wohngeld und Kinderzuschlag, hat man immerhin ein Jahr Zeit. Doch spätestens nach Ablauf dieses Jahres geht auch hier der Staat davon aus, dass man gemeinsam wirtschaftet und finanziell füreinander Verantwortung trägt. Auch die Steuerklasse 2 fällt weg, wenn zwei Erwachsene in einem Haushalt leben.
Der Grundgedanke dahinter ist klar: Wieso sollte die Solidargemeinschaft der Steuerzahler einzelne Mitglieder einer Familie unterstützen und nicht die Familie sich gegenseitig?
Lebt man unverheiratet mit einem oder mehreren gemeinsamen Kindern zusammen, ist dieser Gedanke ja noch nachvollziehbar. Wenn nun aber eine Alleinerziehende einen neuen Partner hat, wie absurd ist es bitte, dass der Staat verlangt, dass dieser Mensch, der nicht das andere Elternteil ist, für diese Kinder finanziell sorgen soll und für die Mutter gleich mit? Was für ein zutiefst veralteter, patriarchaler Gedanke steckt da hinter der Gesetzgebung?
Das Vertrackte daran ist zudem: Die meisten Alleinerziehenden bekommen keinen oder zu wenig Unterhalt vom leiblichen Vater des Kindes. Wir reden hier nicht von Trennungsunterhalt für die Ex-Partnerin, sondern wirklich vom Lebensunterhalt für das gemeinsame Kind. Die meisten Alleinerziehenden könnten als Kinderlose durchaus finanziell für sich selbst sorgen, müssen aber Wohngeld und/oder Kinderzuschlag (und einen lächerlichen Unterhaltsvorschuss, der die Hälfte des Mindestunterhalts beträgt) für ihre Kinder beziehen.
Hat eine Frau also das “Glück” einen Kindsvater zu haben, der sich NICHT vor seiner finanziellen Verantwortung drückt, ist es auch völlig egal, mit wem sie wie zusammenlebt. Denn sie muss ja keinen finanziellen Ausfall mit staatlicher Hilfe kompensieren, also kann ihr dieser Staat auch keine Regeln fürs Zusammenleben diktieren. Hat diese Frau aber einen Ex-Partner, der sie mit der finanziellen Last allein lässt und sie dadurch auf Wohngeld angewiesen ist, dann passiert Folgendes: Beschliesst sie, dass sie lange genug alleine war und es auch ihren Kindern gut tun würde, noch andere Erwachsene um sich rum zu haben, muss sie damit rechnen, dass diese Erwachsenen zur Kasse gebeten werden.
Falls sie sogar eine klassische Zweier-Beziehung eingeht, die sie emotional trägt und stützt und der neue Partner sich vielleicht sogar on top noch gut mit den Kindern versteht, dann wird es schwierig. Sie muss ihrem Partner sagen: “Nein, du kannst deine eigene Wohnung nicht aufgeben und bei mir einziehen, denn dann müsstest du finanziell die Verantwortung für uns übernehmen, auch wenn du nur 2.000 netto verdienst.”
Im Worst Case hat sie diesen einen Satz im Wohngeld-Gesetz gar nicht auf dem Schirm und sagt begeistert “Ja” wenn der Mann vorschlägt: „Lass uns doch zusammen nach einer grösseren Wohnung suchen, wir machen Hälfe Hälfte“ – auch wenn ihre Kinder viel mehr Wohnraum einnehmen als er allein. Sie denkt vielleicht sogar noch: “Oh, die Hälfte der Miete einer größeren Wohnung ist sogar weniger als ich allein aktuell für meine kleine Wohnung zahle, meine Abhängigkeit vom Staat wird also weniger”. Und nach einem Jahr heißt es vom Staat dann: “Es gibt nun kein Wohngeld mehr, du hast ja einen Partner.” BÄM.
Nun liegt es an ihr, ihrem Partner zu sagen “Du Schatz, entweder du ziehst wieder aus oder du musst finanziell die Verantwortung für meine Kinder übernehmen”.
Im Jahr 2022 sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, dass der Staat eine Mutter NICHT zwingt, sich finanziell von einem neuen Mann abhängig zu machen.
Finanzielle Abhängigkeit ist immer ätzend, aber wenn man die Wahl hat, von einem System abhängig zu sein, zu dem man keine emotionale Bindung hat oder von jemandem, mit dem man auf Augenhöhe eine Partnerschaft führen möchte, ist für die meisten die Antwort klar.
Der Staat könnte auch einfach sagen: Alleinerziehende haben es schwer genug. Wenn da jemand ist, der eine Vaterrolle übernimmt, der Teile der Care-Arbeit übernimmt, der für diese dauergestresste Mutter da ist, sie auffängt, dann ist das toll. Vielleicht sorgt er durch seine Anwesenheit dafür, dass sie einen neuen Job annehmen kann, in dem sie bessere Karriere-Chancen hat, weil er das Kind auch mal aus der Kita holt und ins Bett bringt. Das ist eine Entlastung für diese Mutter und die soll sie haben. Vielleicht setzt das Zusammenleben so viele Ressourcen frei, dass sie sich komplett neu orientiert und am Ende überhaupt keine Unterstützung mehr braucht. Und wenn nicht, ist es auch ok. (Wir retten schließlich regelmäßig Banken und sonstige Betriebe mit Ausgaben in Milliardenhöhe, da können wir auch entspannt unserer zukünftigen Generation unter die Arme greifen bzw. denen, die sie grossziehen.)
Aber nein, der Staat sagt: Entscheide dich. Du bleibst allein und abhängig von uns oder du darfst eine klassische Beziehung haben, musst dich dafür aber abhängig machen von deinem Partner. Wow.
Ich will gar nicht wissen, wie viele Frauen da draussen alleine wohnen bleiben, um kein Ungleichgewicht in eine Beziehung zu bringen, um nicht zur Last zu fallen. Wie vielen Kindern eine alternative Form des Zusammenlebens zur klassischen Familie verwehrt wird, nur weil der Staat so unfassbar engstirnig ist.
Übrigens gilt das Ganze natürlich andersrum genauso und für alle Arten von Geschlechtern und Beziehungen. Lernt eine Frau einen alleinerziehenden Vater kennen, kann es sehr gut sein, dass sie sagt: “Ja, ich ziehe bei euch ein, ich helfe dir sogar mit deinen Kindern.” Aber sollte das automatisch bedeuten, dass sie auch finanziell für diese Kinder sorgen muss?
Alles oder nichts? Kann es das wirklich sein?
*Dieser Text ist nicht geschlechter-neutral geschrieben, da das in der Realität bestehende massive Geschlechterungleichgewicht beim Thema finanzielle Versorgung dargestellt werden soll.
Sonja Howard ist Mutter von vier Kindern, u.a. Mitglied im Betroffenenrat der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und studiert Sozialpolitik. Sie weiß aus eigener Erfahrung wie es ist, neben dem Vollzeit-Job als Mutter ohne familiäre Unterstützung nur eingeschränkt arbeitsfähig und auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.
von Sonja Howard