Interview mit Caroline Uhl

Alleinerziehend zu sein und sich dabei selbst nicht aus dem Blick zu verlieren, ist schwer. Die Psychologin und alleinerziehende Mutter Caroline Uhl kennt dies aus eigener Erfahrung.

Mit ihrem ersten Buch „Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin?“ möchte die Kölnerin deshalb Frauen ermutigen, sich – fernab toxischer Positivität – mit den richtigen Fragen zu beschäftigen. Durch ihre psychologische Expertise zeigt sie praxisnah, an welchen Stellschrauben Mütter drehen können, um sich selbst wieder mehr in den Fokus zu rücken und eigene Freiräume zu schaffen.

Unsere Gründerin Sara wollte mehr dazu wissen und hat mit Caroline zu ihrem neuen Buch gesprochen.

Liebe Caroline, warum und für wen hast du dieses Buch geschrieben?

Ich war zu Beginn meiner Mutterschaft unglaublich überfordert und habe mich als Alleinerziehende nicht gesehen gefühlt. Von Ratgebern hatte ich mich bewusst distanziert, da mir diese immer noch mehr Druck auferlegten. Vielmehr brauchte ich ein Ventil und das fand ich im Schreiben. Ich habe alle meine Gefühle runtergeschrieben und das direkt in meinen Krisenmomenten. In der Retrospektive konnte ich dann als Psychologin analysieren, was da ablief, eigene Konzepte entwickeln und ausprobieren. 

Ich habe das Buch also zuerst einmal für mich, aber dann auch für andere Solo-Mütter geschrieben. „Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin?“ ist eigentlich für alle, die sich in ihrer Situation alleine fühlen. Ich wollte etwas schreiben, das leicht zu lesen ist. Ein Buch, in dem jede Seite einen Mehrwert bietet und in dem man sich zuhause fühlen kann. Ich wollte die negativen Dinge auf den Punkt bringen, ungeschönt, und gleichzeitig auch die Chancen für die eigene Entwicklung aufzeigen. Mein großes Ziel ist es, mit dem Buch den Druck rauszunehmen und Wege aufzuzeigen, um die eigenen Freiheitsgrade wieder sichtbarer zu machen.

Du sagst, dass deine Botschaft nicht politisch sein soll. Was meinst du damit genau?

Ich finde politische Arbeit super wichtig und bin sehr dankbar für jeden, der sich engagiert. Und ich hoffe wirklich, dass die politische Lage besser wird. Solange das aber nicht so ist, möchte ich mit Frauen gemeinsam Wege finden, schwierige Phasen gut durchzustehen und auf die eigenen Füße zu kommen. 

Ich denke, jeder hat seine Stärken und sein Ventil. Mein Ventil ist das Schreiben und allgemein meine psychologische Arbeit. Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe, genau diese Stärken zu nutzen. Ich wollte etwas schaffen, bei dem es wirklich nur um uns geht: Einen Ort, an dem wir als Alleinerziehende und unsere Bedürfnisse wichtig sind, niemand sonst.

Zudem trotze ich gerne dem System. Ich nenne das immer: Schach mit dem System spielen. So mache ich aus etwas sehr Schwerem etwas Spielerisches. Wenn mir also jemand sagt: „Alleinerziehende können das nicht“, dann ist es mein Ansporn Wege zu finden, es doch zu tun. So war ich schon immer. Raus aus der Opferrolle.

Wir vergessen oft unsere Freiheitsgrade und werden unkreativ, weil wir nur die Probleme sehen. Auf eine Türe zu hämmern, die gerade einfach nicht aufgeht, versperrt manchmal den Blick auf zehn andere Türen und das ist verdammt schade.

Was liegen deiner Erfahrung nach die größten Herausforderungen und Stolpersteine, denen Alleinerziehende begegnen?

Für mich sind das hauptsächlich die ganzen Zusatzbelastungen: Dazu gehört zum Beispiel das Verarbeiten der Trennung oder des Verlusts, der Stress mit dem Ex, ggf. Gespräche mit dem Jugendamt oder das Gefühl versagt zu haben und die damit einhergehende Scham. Hinzu kommen aber natürlich auch alltägliche Dinge und Sorgen wie etwa: Was mache ich, wenn ich selbst einmal krank werde und auf wenig Unterstützung bauen kann? Wo finde ich generell Hilfsangebote? Auch finanzielle Sorgen sind wichtiger Aspekt. Die große Frage ist meist: Wie stelle ich mich neu auf, wenn ich eigentlich gar keine Zeit dafür habe?

Wo denkst du ist der größte Handlungsbedarf, um die Lebensrealität von Alleinerziehenden zu verbessern?

Ich finde es wichtig, gemeinsam das Thema „Alleinerziehend“ sichtbarer zu machen und an einer Entstigmatisierung zu arbeiten – persönlich und gesellschaftlich. Wir als Gesellschaft sollten uns mit den Vorurteilen auseinandersetzen, aber auch Alleinerziehende selbst dürfen sich mit ihren eigenen Vorurteilen beschäftigen. Nicht selten quetschen wir uns in ein viel zu enges Korsett.

Auch politisch muss sich natürlich noch viel ändern, beispielsweise in Bezug auf Kinderbetreuungsangebote und finanzielle Unterstützung.

Und es müsste ein Umdenken bei Dienstleistern und Institutionen stattfinden. Als ich selbst begann erste Angebote für Alleinerziehende zu schaffen, wurden diese kaum genutzt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es wichtig ist, zu spiegeln, welche Angebote es gibt und ob diese wahrgenommen werden oder nicht. Wir müssen uns fragen: Was ist wirklich umsetzbar und was ist vergeudete Zeit für alle? Diese Erkenntnisse sollten wir dann gemeinsam nutzen, um bessere, passendere Angebote für Alleinerziehende zu schaffen. 

Alleinerziehend zu sein bringt vor allem viele Herausforderungen mit sich. Welche Chancen siehst du denn, die vielleicht auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind?

Ich sehe die Chance, sich selbst wirklich kennenzulernen und die Möglichkeit an der wertvollsten Beziehung in deinem Leben zu arbeiten – nämlich an der Beziehung zu dir selbst. Wir Alleinerziehenden müssen uns oft komplett neu ausrichten, unsere Weltbilder von der Wand abhängen und so viel mehr leisten, was unglaublich schmerzt. Allerdings vergessen viele oft, dass eine leere Wand Platz für neue Bilder hat. Wir dürfen kreativ werden, neue Bilder malen und unsere Wand schmücken.

Außerdem müssen Alleinerziehende im Laufe der Zeit unglaubliche Ressourcen entwickeln, um mit Ungewissheit, Wandel und Innovationen umzugehen, in vielen Bereichen – so auch im Job – können diese Ressourcen Gold wert sein. Denn wir dürfen nicht vergessen: Wir führen jeden Tag Menschen mit sehr hohem Widerstand, löschen Brände, erfinden uns neu und sind unglaublich gut darin, mit dem Unerwarteten umzugehen – wenn das keine guten Voraussetzungen sind, weiß ich es auch nicht.

Meiner Meinung nach, müssen wir daher mit den anderen mithalten, sondern sie mit uns (und hier brauchen wir natürlich auch wieder die Politik). Mir ist wichtig, dass wir das erkennen, unsere „Systemrelevanz“ wahrnehmen und nicht warten, bis die anderen soweit sind. Wir haben vielen steifen, bürokratischen (wirtschaftlichen) Strukturen einiges voraus und unser Wert ist eben nicht von anderen abhängig.
 
Ein weiterer positiver Punkt ist für mich, dass ich nun für das größte Abenteuer meines Lebens nicht mehr weit reisen muss seit ich alleinerziehende Mutter bin 😊.

Wie schaffst du es denn persönlich, dein eigenes Muttersein, deine Selbstständigkeit, deine neu eröffnete Praxis und deine eigenen Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen?

Ich plane sehr bedürfnisorientiert und vorausschauend. Viele Tools dazu gibt es in meinem Buch und in einem von mir selbst gestalteten Jahresplaner, der mit dem Buch erscheinen wird. Ich mache immer erst einen grobe Monatsübersicht und plane z.B. auch meinen Zyklus ein. Leider werden die Wunder der Weiblichkeit noch viel zu selten genutzt, obwohl sie so viel Potenzial haben. Dann schaue ich, wann gute Tage für schwierige Termine sind und an denen vereinbare ich dann zum Beispiel Telefonate mit dem Jugendamt. Ansonsten sind meine Tage unter der Woche in drei Hälften unterteilt. Bis 14 Uhr arbeite ich sehr konzentriert und führe auch keine unnötigen Telefonate. Dann hole ich meinen Sohn ab und verbringe den Nachmittag mit ihm. Hausarbeitssachen machen wir dann oft zusammen und treffen uns ansonsten viel mit Freunden. Wenn der Kleine im Bett ist, ist Me-Time. Ich will oft Sport machen, schaffe es aber fast nie. Meist lande ich auf der Couch oder bekomme noch Besuch von Freunden (weil ich ja nie selbst raus kann). Mir ist bewusst, dass der letzte Fitzel Energie am Ende des Tage nicht gerade Quality Time bedeutet, aber ich gestehe mir hier zu, nichts Produktives mehr zu machen.

Mich besuchen auch oft Freunde aus dem Ausland und bringen so andere Kulturen in meinen Haushalt. Davon profitiert natürlich auch mein Sohn, denn ich kann ihm die Welt zeigen ohne viel reisen zu müssen.

Wichtig ist mir bei allem, mich mit meinen eigenen Anforderungen nicht zusätzlich unter Druck zu setzen und mir hauptsächlich das Leben leichter zu machen. Wir dürfen aus dem Status Quo ausbrechen und das macht Spaß.

Wird es dir auch manchmal alles zu viel? Was hilft dir dann am meisten?

Ja klar!

Mir hilft:

1. Mir bewusst zu machen, dass Überforderung meist mit Erschöpfung zusammenhängt und dann auf meine Bedürfnisse zu hören und mich auch mal in der Arbeitszeit hinzulegen.

2. Mir bewusst zu machen, dass „alles im Griff zu haben“ ein Gefühl und kein Zustand ist und dass ich, nur weil es sich gerade so anfühlt, nicht zwangsweise alles aus dem Ruder läuft.

3. Vertrauen in mich zu haben, mit mir selbst zu reden und mir auch mal das eigene Drama zu gönnen: „Komm Caro, wie oft warst du schon in so einer Situation und wie oft war das Drama nur kurz und dann alles wieder cool.“

4. Mich nicht durch die Situation zu zwingen, sondern aufzuhören. Natürlich mit dem Wissen, dass es endet und ich danach produktiver bin und das meist locker aufhole.

Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben, welchen Rat hättest du im Rückblick gerne bekommen?

Gute Frage! Ich glaube ich hätte gerne alle vorherig genannten Tipps bekommen – plus das Wissen, dass es auch mal ok und normal ist, das Muttersein uncool und verdammt sch** zu finden, weil man eben erschöpft, überfordert, genervt und fremdbestimmt ist.

Ein weiterer Rat wäre: Hör auf in Extremen zu denken. Du brauchst kein ABER, verwende lieber ein UND. Denn etwas kann absolut doof sein und gleichzeitig gut. Nichts sollte durch ein ABER klein gemacht werden. Weder etwas Negatives noch etwas Positives. Es darf und muss alles sein. Die Vielfalt der Emotionen ist toll: Lass sie zu! Wir vergessen, dass auch negative Emotionen eine tolle Ressource sein können. Stör sie nicht bei ihrer Arbeit.

Mein Fazit ist: Mein Leben als Alleinerziehende ist verdammt schwer und trotzdem habe ich einen Weg gefunden, mich damit total gut, intakt und glücklich zu fühlen. 

Danke, Caro, das ist ein guter Schlusssatz. Aus meiner Sicht ist es stets ein schmaler Grat das richtige Level zwischen äußeren Umständen und dem eigenen Selbst zu finden. Mir ist im Rahmen dieser Diskussion immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass es Situationen und Lebensrealitäten gibt, in denen Selbstermächtigung allein nicht helfen wird. In diesen Fällen ist es unabdingbar, dass Politik und Gesellschaft entlasten, unterstützen und auffangen. Deine Gedanken „Raus aus der Opferrolle, zeige deinen Wert!“ unterstreiche ich aber. Wir Alleinerziehenden dürfen fordern – von uns selbst und eben auch von allen anderen.

Caroline Uhl | "Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin?"

Broschur, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95728-659-8
EUR 20,00 (D)

Über zwei Millionen Frauen in Deutschland sind alleinerziehend. Die Psychologin Caroline Uhl ist eine von ihnen. Deshalb beschäftigt sie sich mit der Frage: "Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin, und wie kann ich diese Identität mit dem Alleinerziehendsein vereinen?"

Die Mammutaufgabe alleinerziehend zu sein sorgt dafür, dass viele Mütter ihre persönlichen Bedürfnisse, Ziele und Träume hinten anstellen. Die eigenen Erfahrungen, Glaubenssätze und die Gesellschaft hindern oft daran, aus unangenehmen Situationen auszubrechen. Authentisch und nah beschreibt Caroline ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle und bestärkt dadurch andere Frauen darin, ihren eigenen Weg zu finden.

Von Sara Buschmann