Liebes Sachgebiet Unterhalts­­vorschuss,

gestern hast du mir wieder einen Brief geschickt. Du hast mir wieder viele Fragen gestellt, auf deinen dicht bedruckten Bögen. Ich muss sie mir nicht anschauen, deine Fragen, die kenne ich schon. Deine Fragen, die fangen immer mit Wer an. Du stellst sie mir jedes Jahr zwei Mal. Auf deinen Formblättern soll ich in Blockbuchstaben jemanden eintragen, säuberlich. Soll darauf auflisten, wer die Kleidung für oben genanntes Kind wäscht. Du willst wissen, wer sich um das Abendessen kümmert. Wer für die Körperhygiene sorgt. Wer in die Schule bringt. Wer abholt. Wer oben genanntem Kind emotionale Zuwendung gibt. 

Unter jeder Frage: Leerzeile und Fragezeichen. Leerzeile und Fragezeichen schiebst du so zwischen das Zähneputzen und das Vorlesen, zwischen Nudeln mit Tomatensoße und Katzenkostüm auf der Wäscheleine. Zwischen Pausenbrote schmieren und Pausenboxen abwaschen. Deine Leerzeilen unterteilen meinen Alltag in Aufgaben und setzen sich in den Raum dazwischen. Sie brechen die Selbstverständlichkeit auf, in der das Zähneputzen ins Vorlesen übergeht, in der mein Alltag sich abspult, ungefragt. In diesen Lücken zwischen Pausenbroten und Abwaschen, zwischen Nudeln und Wäscheleine drehen sich deine Fragezeichen zu mir um und fragen mich wieder und wieder Dinge, die ich mich nicht mehr fragen will, weil das Fragen so wütend macht. Weil es auf diese Fragen keine guten Antworten gibt.

Deshalb möchte ich dich etwas fragen, liebes SG Unterhaltsvorschuss: Was soll ich mit deinen leeren Zeilen machen? Ich brauche sie nicht. Ich brauche nur eine große Klammer. Ein Wort. Drei Buchstaben. Ich. Ich vor sechs Jahren und ich vor viereinhalb. Ich vor sechs Monaten und ich heute. Ich, auch in der Zukunft. 

Was also tun mit deinen leeren Zeilen, die du mir entgegen schiebst? Soll ich sie auf dem Blatt füllen und hoffen, dass die Zeilen zwischen dem Zähneputzen und Vorlesen von selbst wieder verschwinden, mitsamt ihren Fragezeichen? Magst du wieder das Gedicht? Über Kraft und Wut und Trauer? Über einen Vater, der nicht da ist? Du kennst es schon. Ich habe es dir vor fünf Jahren geschrieben und vor zwei. Die Verse haben sich nicht geändert. Ich schreibe es dir heute wieder:

Ich. 

Ich. 

Unter jede Frage.

Ich. 

Und vor einem Jahr auch. 

Ich. 

Ich. 100 Prozent. Alle Tage. Morgens. Abends. Immer. Alles. Ich. 

Und ich frage dich noch was, liebes SG Unterhaltsvorschuss: Fragst du ihn das auch? Lässt du ihn auch aufzählen, wer die Kleidung für oben genanntes Kind wäscht? Wer oben genanntes Kind im Falle einer Krankschreibung versorgt? Wer die Hausaufgaben betreut? Wer oben genanntem Kind emotionale Zuwendung gibt? Wer es tröstet, wenn es seinen Papa vermisst? Wer zuhört, wenn oben genanntes Kind sagt, dass er der beste Papa der Welt ist? Wer Anschaffungen für oben genanntes Kind tätigt? Schulsachen, Schuhe, Winterkleidung, Fahrrad kaputt, jeder Freundin ein Geburtstagsgeschenk? Anschaffungen, die über die Höhe deines Unterhaltsvorschusses nur lachen können? 

Schickst du ihm auch deine leeren Zeilen zu, liebes SG Unterhaltsvorschuss? Schiebst du dich zwischen sein Aufstehen und sein Kaffeetrinken? Brichst du seinen Alltag auf und unterteilst ihn in Aufgaben, die er nicht erledigt? Drehen sich in den Lücken deine Fragezeichen auch zu ihm um und fragen ihn Dinge, die er sich selbst nicht fragen will?

Lässt du ihn auch Gedichte schreiben? Vor sechs Jahren eins und vor anderthalb? Zwei Worte, immer wieder? Nicht ich – muss er dir dieses Gedicht zweimal im Jahr schreiben? Dieses Gedicht über Kraft und Wut und Trauer? Über einen Vater, der nicht da ist?  

Am Ende, was sind dir meine Gedichte wert, liebes SG Unterhaltsvorschuss? 

236 Euro. Volles Kindergeld abgezogen.  

Therese ist 30 und lebt seit sechs Jahren mit ihrer 7-jährigen Tochter als Ein-Eltern-Familie in Leipzig. Unterhalt bezieht Thereses Tochter vom Staat – aber nur, wenn Therese regelmäßig alle Fragen beantwortet. Die Autorin arbeitet für eine Kommunikationsagentur in Berlin und schreibt gerade ihre Masterarbeit über Arabische Feministinnen in Sachsen.

von Gastautorin Therese von Alten