Interview mit Katja Kullmann
DIE SINGULÄRE FRAU ist eines der besten Bücher, die ich bislang in diesem Jahr gelesen habe. Schon nach den ersten zwei Seiten begann ich, einzelne Stellen anzustreichen, weil ich die jeweiligen Sätze und Gedanken nicht wieder vergessen wollte. Oft habe ich mich so sehr in den Beschreibungen der Autorin Katja Kullmann wiedergefunden, dass es manchmal fast ein bisschen weh tat. Denn: Wenn ich wie die Frau(en) in diesem Buch bin oder fühle, würde das ja bedeuten, dass auch ich eine „singuläre Frau“ wäre…
Aber eins nach dem anderen: Liebe Katja, erklär’ doch mal bitte, was das überhaupt ist, eine „singuläre Frau“. Wie bist du auf diese Begrifflichkeit gekommen und was bedeutet sie?
Je länger ich schon ohne Partnerschaft lebte, desto öfter stieß ich mich am Begriff „Single“. Ich wollte nie so genannt werden, konnte mich nicht damit identifizieren – und fragte mich eines Tages, woran das liegt. Das Bild der „Single“-Frau ist bis heute geprägt von einer ganzen „Single“-Industrie, von Dating-Apps oder TV- und Kino-Figuren wie Bridget Jones, Carrie Bradshaw oder Ally McBeal. Die sind alle erfolgreich im Job, weiß, hübsch, Anfang 30 – und obwohl es ihnen gut geht, hetzen sie wie angestochene Hühner durch die Gegend, um ihren „Mr. Right“ oder „Mr. Big“ zu finden, bevor ihre eigene Attraktivität auf dem Partnerschaftsmarkt womöglich schwindet.
Diese Karikaturen der alleinlebenden Frau sind nun schon ein Vierteljahrhundert alt, sie haben kaum etwas mit meinem Lebensgefühl oder Selbstverständnis zu tun – und ich fand schnell einige soziologische Studien, die belegen, dass auch andere Solistinnen sich an diesem veralteten Wort stören, vor allem, wenn die Frauen über 30 sind. Die „Single-Frau“ ist im Prinzip eine ewig Suchende – sie scheint sich nicht ganz fertig, nicht komplett und irgendwie unglücklich zu fühlen, sie wäre insgeheim lieber eine andere: eine Frau „in festen Händen“. Im Buch frage ich mich: „Und was, wenn man nicht suchte, sondern bloß lebte?“
Wichtig ist: Nicht jede Solistin ist freiwillig ins Alleinleben gerutscht, manche wurden brutal verlassen oder hatten nie die Chance, eine:n Partner:in zu finden – die Wege sind sehr unterschiedlich, es sind keineswegs immer nur Jubelstorys. Aber viele lernen das Alleinsein früher oder später auch zu schätzen, werden selbstbewusster, wählerischer, freier. Jede hat ihre eigene Geschichte, ist sozusagen ihr eigenes Kunstwerk, jede auf ihre Art einzigartig – ein „singulärer Fall“. Ich wollte die Lebensrealität dieser Frauen auf andere Art ins Gespräch bringen und ihnen, und auch meiner eigenen Lebensweise, einen schöneren, schillernderen Begriff gönnen. Voilà: So entstand „Die Singuläre Frau“.
Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass es dir vermutlich schon von jeher an passenden Gelegenheiten mangelte, Männer kennenzulernen. Aber nein: Du schreibst „Ich habe Schlag bei Männern“ und „Ich bin der Beziehungstyp“. Wie kommt es denn dann zum Alleinstehenden-Dasein?
Wie so viele Frauen habe auch ich mich nie bewusst fürs Alleinleben entschieden, es gab keinen Plan dazu, es war kein Programm, das ich mir zurecht gelegt hatte, eher im Gegenteil: Von meinem 16. bis zu meinem 35. Lebensjahr war ich ohne Pause fest und dauerhaft liiert, meine längste Beziehung, sie war fast eheähnlich, dauerte 10 Jahre. Als die dann vorbei war, beschloss ich, erst einmal für eine Weile ohne Partner zu bleiben, um mich zu regenerieren von all dem Pärchenstress – den Missverständnissen, immer gleichen Diskussionen, auch von den Enttäuschungen.
Kaum lebte ich dann „ohne“, ging mir sehr schnell auf, dass ich mich viel wohler fühlte – als ob eine Last von meinen Schultern gefallen wäre. Ich entdeckte mit Mitte 30 eine aufgeschlossenere, unternehmungslustigere, entspanntere mutigere, vielleicht euch eigenwilligere Frau in mir – es war ein bisschen wie ein „Coming-out“ vielleicht. Und ich bemerkte schnell, dass ich eine regelrechten Widerwillen entwickelte, mich wieder fest mit einem Mann einzulassen, mich an X oder Y zu binden. So wurden aus der „Übergangsphase“ rasch ein paar Jahre, bis ich feststellte: Hoppla, offenbar habe ich ein Lebensmodell gefunden, das mir sehr gut taugt – ohne dass ich es mir je so vorgestellt hatte. Huch, was ist denn da passiert?
Also kann man Liebe tatsächlich „verlernen“? Oder ist es vielleicht auch eine bewusste Entscheidung, sie nicht mehr in das eigene Leben zu lassen?
Interessanterweise geht es vielen Geschiedenen offenbar ähnlich wie mir. In meiner Recherche zeigte sich jedenfalls, dass viele Frauen erst in der Mitte ihres Lebens, erst ab 40 ungefähr, nach einer gescheiterten Ehe oder x Versuchen, mit einem Mann zusammenzuleben, auf ähnliche Gedanken kommen: „Danke, ich hatte meine Erfahrungen, jetzt reicht’s, ich will das nicht noch mal alles von vorne, diesen Krampf – alleine geht es mir doch eigentlich ziemlich gut.“
Neben diesen etwas gereifteren Frauen, die schon viel Zeit hatten, ihre eigene Persönlichkeit gut kennenzulernen und ihre Erfahrungen zu machen, fielen mir jetzt aber auch viele sehr junge Stimmen auf, die von vorneherein skeptisch auf das heterosexuelle Pärchenwesen blicken. Etwa Laurie Penny oder die Französin Pauline Harmange, Anfang 20 – junge Frauen, die feministisch geschult sind, die die Leben ihrer größeren Schwestern oder Mütter beobachtet haben und damit auch die sexistischen Muster, die sich in Hetero-Partnerschaften allzuleicht ergeben. Ja, ich denke, Frauen aller Altersgruppen stellen heute selbstbewusster denn je in Frage, wem sie wie viel ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Kraft, ihrer Liebe widmen wollen – ob es also unbedingt dieses herkömmliche Paarmodell sein muss, das seit Jahrhunderten romantisch verklärt wird, und fast immer zum Nachteil der Frau.
Das Ende einer Beziehung schien für dich häufig erleichternd gewesen zu sein: „Wieder ohne Mann an meiner Seite, war es jedes Mal so, als ob ich endlich wieder nach Hause gekommen wäre.“ Hast du dich in Beziehungen oft verloren? Ist das der Nachteil von dem du sprichst?
Viele Frauen haben im Zusammensein mit Männern „atemberaubende Illoyalitäten“ erlebt, wie ich es im Buch formuliere. Das kann ganz alltagsnah damit beginnen, bei der Hausarbeit oder Kinderfürsorge immer wieder hängengelassen zu werden. Das kann auch sogenanntes Fremdgehen sein, Psychospielchen, Machtgezacker oder gar körperliche Gewalt. Und immer wieder fühlen meist die Frauen sich verantwortlich für die „Beziehungshygiene“ in einer heterosexuellen Partnerschaft. Statistiken zeigen sehr klar, dass die Drecksarbeit in Hetero-Beziehungen überwiegend noch immer den Frauen aufgedrängt wird, nicht nur das Putzen übernehmen mehrheitlich Frauen, sondern sie buttern auch eine Menge emotionale Arbeit hinein: Frauen versuchen, für Aussprachen zu sorgen, sich selbst notfalls ein bisschen kleiner zu machen, ihm zuliebe, und so weiter. So eine war ich wahrscheinlich auch.
In den USA und in Frankreich läuft längst eine interessante Debatte, Feministinnen dort sagen: Zuerst haben Frauen sich ihre wirtschaftliche Autonomie erkämpft, über die Berufstätigkeit. Dann gewannen sie ihre politische Autonomie, mit dem Frauenwahlrecht, das hierzulande 1918 eingeführt wurde, in der Schweiz erst 1971, in Liechtenstein sogar erst 1984, als Madonna „Like a Virgin“ sang – kaum zu glauben, nicht wahr? Das dritte Bein, das noch fehlte, um eine wirklich stabile Selbstbestimmung hinzubekommen, war nach der wirtschaftlichen und der politischen auch die „emotionale Autonomie“. So nennen es die Amerikanerinnen. Dahinter verbirgt sich die Einsicht, dass keine Frau heutzutage mehr einen männlichen Partner „braucht“. Wenn sie sich mit jemandem zusammentun möchte: gut, warum nicht. Aber ein Mann ist längst nicht mehr nötig, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen, gesellschaftlich gut aufgehoben zu sein, ein zufriedenes oder sogar glückliches Leben zu führen.
Welche Vorteile hat diese bewusste Entscheidung für das Sololeben für dich persönlich?
Für mich persönlich bedeutet es vor allem, dass ich nicht ständig Diskussionen über meine Arbeit führen muss, die mir schon als ganz junge Frau viel bedeutet hat. Als „Arbeit“ verstehe ich für mich vor allem das Schreiben, aber auch das viele Lesen, für beides brauche ich meine Ruhe, ich ziehe mich gern immer mal wieder für ein paar Tage zurück, bin dann nicht sehr gesprächig. Oder aber im Gegenteil, ich bin viel unterwegs und komme in Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen, etwa wenn ich mich gerade in einer Recherchephase befinde, Lesungen gebe oder Referate halte. Die drei Lieben meines Lebens, ha, so nenne ich sie heute, waren sehr unterschiedliche Typen, und sie hatten sich alle ursprünglich mal in genau diese Frau verliebt, die Frau „die ihr Ding“ macht. Aber früher oder später drängten sie alle darauf, dass ich mich ändern, dass ich „weiblicher“ werden sollte, eine „normale Frau“, so formulierte es tatsächlich mal einer.
„Ein Mann kann eifersüchtig auf den Kassenautomaten sein, an dem Du jeden Tag 9 Stunden sitzt“: So hat es eine alleinlebende Frau im Buch in einem Gespräch formuliert. Sie hat einen ganz anderen Job-Alltag als ich, ist als Niedriglöhnerin in einem Parkhaus tätig und arbeitet nebenbei bei McDonald’s, und auch bei ihr sind zwei langjährige Partnerschaften daran zerbrochen, dass ihre Männer ihr immer wieder die Hölle heiß machten wegen ihrer Jobs. Besonders schlimm war es – auch bei mir – in dem Moment, in dem „sie“ auch noch mehr verdient als „er“. Eine Menge Männer fühlen sich dann gekränkt, reagieren aggressiv oder psychotisch. Auch dazu gibt es hinlänglich bekannte Studien und Storys, nicht nur die sogenannten Frauenmagazine sind voll davon.
Und das Ganze lässt sich letztlich sogar auf die Gesundheit herunterbrechen: Deserteurinnen scheinen gesünder zu leben als Prinzessinnen?
Der britische Verhaltenspsychologe Paul Dolan untersuchte eine große Zahl internationaler Studien zur allgemeinen Lebenszufriedenheit heute und veröffentlichte 2019 einen interessanten Befund: In allen entwickelten Ländern profitieren Männer deutlich stärker von heterosexuellen Partnerschaften, sie leben gesünder und länger, wenn sie dauerhaft mit einer Frau zusammenleben, kommen auf sich gestellt deutlich schlechter zurecht, vernachlässigen sich selbst dann schneller. Umgekehrt sieht es hingegen für Frauen aus: Gerade im mittleren Alter, zwischen Mitte 30 und Mitte 50, steigt für fest gebundene oder verheiratete Frauen das Risiko für „körperliche und geistig-seelische Beeinträchtigungen“ laut Dolan enorm. Hier ist sie wieder: die kräftezehrende Care- oder Beziehungsarbeit. Erstmals hat der Brite auch festgestellt: Verheiratete Frauen sterben tendenziell sogar etwas früher als solche, die sich alleinlebend gut eingerichtet haben. Er sagt: „Wenn Sie ein Mann sind, sehen Sie zu, dass Sie heiraten. Wenn Sie eine Frau sind, lassen Sie besser die Finger davon.“
Du bezeichnest dich als „reiche Frau“ und beziehst dieses Attribut nicht auf Finanzielles, sondern?
Nein, finanziell leider alles andere als reich, das teile ich mit einer großen Zahl von Solistinnen. Es ist leicht erklärbar: Eine Einpersonenwohnung kostet heutzutage vielerorts kaum weniger als ein Dreizimmerdomizil, alle Grundkosten, vom Netzanschluss bis zur Müllabfuhr, müssen alleine gestemmt werden, und geht mal was kaputt, die Waschmaschine, ist niemand da, der sich an den Kosten beteiligt. Wenn jemand wohlhabende Eltern hat, ist es durchaus wahrscheinlich, dass pünktlich zur Hochzeit ein vorzeitiges Erbe ausgeschüttet wird – da regnet es dann Geldgeschenke, oder die Einbauküche wird von den Schwiegereltern gesponsert, manchmal auch gleich eine ganze Eigentumswohnung oder ein fetter Baukredit. Außerdem regnet es mitunter riesige Steuervorteile durchs gesetzliche Ehegattensplitting. Auf all diese großzügigen Geschenke braucht eine alleinlebende Person nicht zu hoffen.
Reich bin ich aber trotzdem, und aus den Texten anderer Frauen und aus Gesprächen weiß ich, dass viele Solistinnen es ähnlich empfinden – und dabei geht es eher um einen Lebens-, einen Erfahrungsreichtum. Als Alleinlebende sehe, höre, erlebe ich mehr, komme mehr herum, bin mehr „in der Welt“, erlebe andere Dinge und die oft intensiver, die schlechten, wie die guten Dinge. Ich gehe wacher durch die Welt und bekomme auch viel mehr von ihr zurück als früher, als ich noch versuchte, mich im Pärchenknast zurechtzufinden, wo ich nach einer Weile immer begann, nach Luft zu schnappen.
Auch vermutest du, dass Solofrauen sozial-verträglicher und geselliger seien. Weshalb?
Oh je, so ganz pauschal lässt sich so was selbstverständlich nie behaupten, und ich will hier auch gleich mal einfügen, dass etliche meiner engsten Freundinnen und Freunde schon lange Jahre fest gebunden sind – und wir verstehen uns prächtig! Weder habe ich etwas „gegen Männer“, noch etwas „gegen Liierte“. Aber es existieren tatsächlich einige wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, die nicht in einer Zweierbeziehung stecken, mehr Freund- und Bekanntschaften unterhalten und diese auch aufmerksamer pflegen, auch Kontakte in die Nachbarschaft oder in Vereine. Der Chicagoer Soziologe Eric Klinenberg geht so weit zu sagen, dass Solistinnen und Solisten sich weniger „selbstsüchtig“ als Gebundene verhielten, auch weil sie, statistisch gesehen, mehr Ehrenämter übernähmen und sich politisch stärker engagierten. Singulär lebende Personen beleben das sogenannte „öffentliche Leben“ stärker als Gebundene, sie nehmen eher an sozialen oder kulturellen Aktivitäten ein, verbringen mehr Zeit in Bars, Cafés, Clubs und Restaurants.
Was bedeutet dies für Freundschaften und Netzwerke?
Für mich persönlich habe ich das Prinzip der „social alonerin“ entdeckt und koste es voll aus – beide Teile davon gleichermaßen. Das mit der „Alonerin“ ist klar: Ich beschäftige mich gern allein mit Dingen, ziehe mich häufiger mal zurück, reise und erkunde auch gern allein fremde Orte. Das ist für mich vor allem dann genussvoll, wenn es sich mit „Social“-Phasen abwechselt: Wenn ich also auch immer wieder etwas mit anderen gemeinsam unternehme, mich mit dieser Person oder jenem Kollegen mal auf einen Film, ein Gespräch, einen Ausflug oder auch nur einen Spaziergang voller schlechter Witze treffe.
Freundschaften nehmen für Alleinlebende meist einen höheren Rang ein als für Liierte. Das bedeutet nicht, dass es dabei immer nur um langjährige, tiefgehende Verbindungen handeln muss – um echte „Emotionships“, wie die Amerikanerinnen sagen, verlässliche, vertrauensvolle, dauerhafte Verbindungen nur eben ohne romantischen oder erotischen Kern. Auch flüchtigere Bekanntschaften, lose Kumpeleien spielen eine wichtige Rolle im Leben vieler Alleinlebender, und das hat übrigens nichts mit dem Internet zu tun. Schon in den 1910er oder in den 1960er Jahren schwärmten Solistinnen vom Wert der „Bis-baldigen“ – so nannte die französische Journalistin und Politikerin Françoise Giroud ihre eher oberflächlichen, aber dennoch geschätzten Kontakte.
Besonders schön ist in diesem Zusammenhang auch dein Begriff der „Zufallszwischenmenschlichkeit“. Magst du mal erklären, was du damit meinst?
Naja, es ist eben die eine Kollegin, mit der ich eigentlich nichts gemeinsam habe – außer, dass wir uns beide für die gleiche Musik interessieren, also besuchen wir gemeinsam ab und an Konzerte. Ist doch in Ordnung, muss doch nicht gleich mehr sein. Es ist der Kioskmann, der meine Stammkundinnenwünsche kennt und mir schon von Weitem meine Lieblingszigaretten hinhält und wieder ein Schwätzchen beginnt. Es ist der überraschend lustige Plausch mit einem Fremden auf dem Bahnsteig, wenn der Zug wieder mal nicht kommt. Es ist die flüchtige Fetenbekanntschaft, deren Namen man beinahe schon vergessen hatte, die aber plötzlich anruft und fragt, ob man nicht mal gemeinsam ins Kino gehen könne, weil sie dringend „mal raus“ müsse. Na klar, warum nicht – ich muss nicht alles über ihre akuten Probleme wissen, sie will sie vielleicht auch gar nicht erzählen, sie braucht nur etwas Abwechslung und Gesellschaft, etwas Leichtigkeit gerade. Seit ich außerhalb des Pärchenrahmens lebe, habe ich den Wert von solcher „Zufallszwischenmenschlichkeit“ erkannt und zu schätzen gelernt. Ich weiß jetzt, dass die Menschen in der Merheit so übel gar nicht sind und dass sie sich viel mehr umeinander kümmern, als oft behauptet wird.
In deinem Buch beschreibst du eingangs viele verschiedene Formen und Qualitäten des Alleinelebens. Kannst du uns ein paar Beispiele nennen?
Da sind wir wieder bei der Einzigartigkeit, dem „Singulären“. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Erfahrungsschatz und den Erlebnissen einer verwitweten 70-Jährigen, die unfreiwillig und in hohem Alter zur Alleinlebenden wurde, und dem Alltag einer 28-Jährigen, die überhaupt keine Lust auf eine Partnerschaft hat, weil sie gerade dabei ist, ihre beruflichen Weg zu machen, sei es, indem sie zur Abteilungsleiterin in einem Supermarkt berufen wird, sei es, dass sie ein Auslandsjahr an einer Uni einlegt. Für viele sehr junge Frauen stelle ich es mir ziemlich schwierig vor, unter dem Instagram- und dem Tinder-Regime überhaupt jemals die Wahl zu haben, also: überhaupt jemals „etwas Festes“ in Aussicht zu haben. So groß wie heute war der Beauty- oder Lifestyledruck wahrscheinlich noch nie, der richtige Körper, die richtige Ernährung, der richtige Look – und bei Nichtgefallen wird einfach weiter geswipet.
Es gibt also freiwillig oder unfreiwillig Alleinlebende, manche finden sehr schnell Gefallen daran, andere tun sich doch lange schwer damit. Vor allem Letzteren will ich sagen: Es ist nichts „verkehrt“ an Euch! Jede zweite bis dritte Ehe geht in die Brüche, 42 Prozent aller Haushalte in diesem Land sind Einpersonenhaushalte – der alleinlebende Mensch ist längst ein „Normalfall“ von vielen, niemand muss sich dafür schämen, im Gegenteil: Solistinnen sind äußerst wertvolle Zeitgenoss:innen und sie haben heute so gute Möglichkeiten wie wahrscheinlich nie zuvor, ein erfülltes, keineswegs einsames Leben zu führen.
Besonders beeindruckt bin ich übrigens von den vielen alleinerziehenden Müttern, die in großer Zahl auch zu meinem persönlichen Freundinnen- und Bekanntenkreis gehören. Oft werden Solo-Mütter ja als „soziale Problemfälle“ besprochen oder behandelt. Auf mich machen sie aber einen ganz anderen Eindruck, nämlich quicklebendig, auffallend lebenslustig, sehr lange sehr „jung bleibend“, im Kopf jedenfalls, und oft sehr souverän, wie sie all die verschiedenen Anforderungen, die an sie gestellt werden, bewältigen.
Und macht es auch einen Unterschied WO ich allein lebe?
In Städten ist das Alleinleben aus vielerlei Gründen einfacher. Kurze Wege, öffentliche Verkehrsmittel, ein dichtes Netz aus Versorgungs-, Kontakt- und Unterhaltungsangeboten fangen vieles auf, bieten das an, was einst Dorfgemeinschaften oder Großfamilien geleistet haben. Zudem herrscht in Städten bis heute eine größere Toleranz, ein liberaleres Klima für verschiedene Lebensentwürfe. Die soziale Kontrolle, das Misstrauen und skeptische Beäugtwerden sind geringer. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Gehe ich in einer größeren Stadt mal alleine essen, ist das nichts Besonderes, es sind immer ein paar Tische auch von Alleinspeisenden besetzt. Sitze ich aber in konservativeren Gegenden allein im Lokal, werde ich öfters mal blöd angeschaut oder ruppiger bedient, so ist es mir in ländlicheren Regionen in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, auch in der Türkei und in Japan schon vorgekommen.
In deinem Buch lese ich auch immer mal wieder Zwiespältigkeit, Himmel oder Hölle. Empfindest du das auch so? Oder hast du am Ende der geschriebenen Seiten eine klare und stets aufgeräumte innere Haltung zu deinem Single-Leben?
Ja, es gibt auch als Alleinlebende schwierige Momente, es wäre albern, das zu leugnen. Das extra gesuchte, genossene Alleinsein, die „gute Einsamkeit“ wird auf Englisch solitude genannt – das ungewollte Alleinsein, die „schlechte Einsamkeit“, wird als loneliness bezeichnet. Mit beidem bin ich recht gut vertraut. Allerdings kenne ich beides auch schon aus meiner langjährigen Pärchenzeit. Wie einsam, abgeschnitten, unverstanden gerade Frauen sich auch innerhalb ihrer Beziehungen fühlen können, hat die US-Sexualwissenschaftlerin Shere Hite schon 1989 in ihrem damaligen Bestseller „Kein Mann um jeden Preis“ dargelegt.
Ich betrachte es tatsächlich oft wie eine Partnerschaft: So wie es in einer Beziehung laue, schwierige, kraftzehrende, ermüdende, enttäuschende Phasen gibt, so ist es auch im Alleinsein. Es gibt Höhen und Tiefen, man kann sich selbst genauso auf den Geist gehen, wie es mit einem Partner sein kann – es kommen immer wieder Punkte, an denen man sich berappeln, erfrischen, neu aufstellen muss. Bei Liebeskummer oder Pärchenknatsch weiß man: „Es wird vorbeigehen, eines Tages…“ Vielleicht kann man mit guten Freunden darüber reden, vielleicht hilft das. Und genauso ist es auch im Alleinsein: Traurige Phasen kommen – aber sie gehen auch wieder vorbei. Das Alleinleben ist nicht das bessere oder richtigere, aber es ist auch keinesfalls das schlechtere oder freudlosere Leben. Es ist einfach: ein Leben, eine Art von vielen.
Wenn ich dir damit nicht zu nahe trete, würde ich auch gerne wissen, wie du zu dem Thema Kinder stehst: Wolltest du nie welche oder hat es sich nicht ergeben? Wäre dein Sololeben mit Kind heute ein gänzlich anderes?
Im Buch leuchte ich das ja kurz an: Es ist eine Mischung aus „hat sich nicht ergeben“ und „ich wollte wahrscheinlich auch nicht“ bei mir. Kurz: Nein, ich bin nie einem Mann begegnet, mit dem ich ein Kind hätte zeugen wollen, keinem, von dem ich mir hätte vorstellen können, gemeinsam mit ihm eine Familie zu gründen. Und das Leben als Solo-Mutter konnte ich mir für mich nie vorstellen. Ich begriff es, glaube ich, schon mit Mitte 30, und ich sehe es auch heute noch so: Das Muttersein ist nicht Teil dieser Geschichte, meiner Lebensgeschichte. Ich habe es nie vermisst.
Wie schätzt du die Lage alleinerziehender Frauen in Deutschland heute ein? In deinem Buch gehst du ja auch immer wieder einmal auf dieses Thema ein.
Es ist schon irre, wie viel alleinerziehende Frauen meist leisten müssen, die Verantwortung für die Kinder, in finanzieller wie in emotionaler Hinsicht … Das Armutsrisiko ist für Alleinerziehende bekanntlich besonders hoch. Dennoch erlebe ich die meisten Solo-Mütter als ziemlich selbstbewusste, oft sogar als besonders spannende Persönlichkeiten, mit erstaunlich vielen Hobbys, Talenten, Interessen. Ja, sie kommen mir insgesamt entspannter vor als viele verheiratete Mütter. Vielleicht liegt das daran, dass die Alleinerziehenden sich nicht tagein, tagaus darum grämen müssen, ob sie ihrem Partner noch „gefallen“ oder nicht. Sie haben, allen Belastungen zum Trotz, womöglich eine Sorge weniger und konzentrieren sich lieber auf ihre Freund- und Bekanntschaften, unterstützen sich gegenseitig beim Babysitting, verreisen gemeinsam mit den Kindern, und so weiter.
Was ich außerdem feststelle: Dass Alleinerziehende heute voller Selbstvertrauen über ihren Alltag, ihre gesellschaftlichen, auch ihre politischen Bedürfnisse sprechen. Nicht nur in Blogs und auf Social Media, auch in der Literatur! In sehr vielen aktuellen Büchern spielen alleinerziehende Mütter die Hauptrollen, und sie werden keineswegs immer nur nur zur unfehlbaren Heldin verklärt, sondern als menschliches Gesamtwesen gewürdigt. ich empfehle etwa Marlen Hobracks „Klassenbeste“, Asal Dardans „Betrachtungen einer Barbarin“ oder „Jägerin und Sammlerin“ von Lana Lux.
Die Gesellschaft scheint Angst vor singulären Frauen zu haben. So lese ich es teilweise bei dir und so empfinde ich es auch häufig selbst. Überall wimmelt es von ungebetenen Ratschlägen oder komischen Nachfragen. „Geh doch mal wieder aus!“, „Melde Dich bei einer Dating-App an!“ oder „Du darfst halt nicht so zickig sein.“ Gleichzeitig trifft frau immer wieder auf reviermarkierende Damen. Sind wir Singles nun bemitleidenswert oder eher eine Bedrohung?
„Diejenigen, die niemanden haben, werden bemitleidet. Diejenigen, die niemanden wollen, werden als Bedrohung gesehen“: So drückt es die US-amerikanische Psychologin und Dauersolistin Bella DePaulo aus. Trotz aller bekannter Statistiken – die Scheidungen, die stetig wachsende Zahl von Einpersonenhaushalten – herrscht weiterhin die Illusion vor, dass es ein ganz „natürliches“ Modell sei, dass zwei Menschen sich als Paar zusammentun und dass das dann ein Leben lang hält. Die Idee der romantischen Liebe, nach der eine andere Person „alles“ für mich zu sein hat, ist, historisch betrachtet, ziemlich jung, erst knapp 250 Jahre alt. Auf dieser Vorstellung gründet das, was wir heute noch „bürgerliche Ehe“ nennen – die Ehefrau ging damit ursprünglich sozusagen in den Besitz des Ehemanns über. Noch bis 1958 durfte er ihr hierzulande den Führerschein verbieten, bis 1976 noch die Berufstätigkeit, und bis 1962 durfte eine verheiratete Frau ohne Zustimmung des Gatten kein eigenes Bankkonto eröffnen – die unverheiratete Frau stand in vielerlei Hinsicht schon immer besser da.
Wenn ich mir heute vorstelle, ich wäre auch eine dieser Frauen, die in heimlichen Momenten hektisch sein Handy kontrolliert, ob er eventuell fremdgeht, oder der jedes Mal vor dem gemeinsamen Urlaub graut, weil er wieder alle Tage nur schlafen oder eine Kirche nach der anderen besichtigen will, hier ist es ihm zu laut, dort ist es ihm zu langweilig, oder wenn ich in Restaurants Paare erleben, die muffelig eine Stunde lang voreinander sitzen, ohne ein Wort zu tauschen, bis auf ein motziges „Gibst Du mir mal das Brot“ oder ein „Immer machst Du dies und das!“, dann denke ich: Okay, ich verstehe Eure Faszination für meine Lebensweise, vielleicht auch Euren Neid …
Und jetzt noch abschließend zum Thema „Sex“. Du sagst: „Ich finde es mit Leuten, die mir egal sind, nicht geil. Und es ist mir auch egal, ob sie eventuell mich geil finden, daraus kann ich nichts ziehen.“ Fehlt dir trotzdem manchmal Körperlichkeit?
Aber klar doch. Ja, die Sexualität ist womöglich der schwierigste Punkt am Alleinleben. Die gute Nachricht ist: Auch hier gibt es heute sicher so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, also: Ich denke, es ist eigentlich in jedem Alter möglich, sich einen Geschlechtsverkehr mit jemand anderem zu organisieren, in welcher Spielart auch immer. Ein paar Dinge habe auch ich ausprobiert, sehr wenige One-Night-Stands, eine Affäre … – und es war nichts für mich. „Bevor ich jemandem das Herz breche, mache ich es mir lieber selbst“, sagt die britische Künstlerin Tracey Emin, und, nun ja, das gilt einstweilen auch für mich. Ich vermisse aber auch vieles andere, das Tanzengehen, das Ammeersein … Sobald sich die Gelegenheit dafür ergibt, genieße ich es umso mehr.
Hast du einen abschließenden Tipp oder Ratschlag, was akut helfen kann, wenn das Alleinsein doch einmal schwer wird?
Nein. Außer vielleicht die Lebenserfahrung einer Umdiefünfzigjährigen, die beides nun ungefähr gleich lang ausprobiert hat, erst 18 Jahre Pärchen-Power, danach nun gut 15 Jahre Solo-Leben: Die Summe des Glücks und des Leids war beziehungsweise ist in beiden Varianten gleich. Wirklich! Eine Partnerschaft bietet gewisse Höhen – aber auch Tiefen. Das gleiche gilt fürs Alleinleben. Und: Menschen, die eine gute Beziehung zu und mit sich selbst haben, sind meist Menschen, die auch bessere Beziehungen zu ihrer Umwelt unterhalten. Und das ist, wie ich denke, sowieso eine Grundvoraussetzung dafür, dass überhaupt so etwas wie Liebe entstehen kann, nicht nur romantische oder erotische, sondern jede Art von Liebe überhaupt.
Du hast DIE SINGULÄRE FRAU deiner Oma Irmgard gewidmet. Glaubst du, ihr hätte dein bisheriger Lebensweg gefallen?
Ja, das glaube ich nicht nur, das weiß ich sogar. Ich war 47, als sie starb, sie wusste genau, wie ich lebe, wie ich meine Tage fülle, welche Ziele oder Träume ich mir bereits erfüllt hatte, welche gescheitert waren, welche noch offen sind. Und sie gab mir immer zu verstehen, dass sie meinen Weg nicht nur versteht, sondern auch gut findet. „Die Dinge haben sich geändert für die Frauen“, sagte sie oft, „Frauen brauchen heute nicht mehr unbedingt einen Mann“, und damit hat sie mich sehr gestärkt, meine geliebte Großmutter.
Danke, Katja, für dieses ausführliche und offene Gespräch. Langsam wird mir der Gedanke, selbst eine singuläre Frau zu sein, immer sympathischer.
Katja Kullmann
DIE SINGULÄRE FRAU
Hardcover, 336 Seiten
ISBN: 978-3-96054-303-9
EUR 24,00 (D)
In dem Bestseller "Generation Ally" beschrieb Katja Kullmann, warum es so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Zwanzig Jahre später erzählt sie, wie es ist, eine Frau ohne Begleitung zu sein.
Sie ist die Frau, der man nachsagt, dass sie kein Glück in der Liebe hat. Diejenige, die ihr Leben alleine regelt. Die Frau ohne Begleitung. Vom Bürofräulein der Weimarer Republik bis zur angeblich einsamen Akademikerin der Gegenwart – sie ist die wahre Heldin der Moderne: die Singuläre Frau.
Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag stellt Katja Kullmann fest, dass auch sie so eine geworden ist: ein Langzeit-Single. Die Erkenntnis ist ein kleiner Schock. Dann eine Befreiung. Und ein Ansporn – nicht nur für die schonungslose Selbsterkundung, sondern auch für eine Spurensuche. Welche literarischen, sozialen und popkulturellen Zeugnisse hat die Frau ohne Begleitung hinterlassen? Und wie könnte ihre Zukunft aussehen? Leidenschaftlich und eigensinnig führt Katja Kullmann uns zu einer radikalen Neubewertung der alleinstehenden Frau.
Von Sara Buschmann