Interview mit Jacinta Nandi

Schreibt man ein Buch mit dem Namen „50 Ways to Leave your Ehemann“ aus Frustration? Oder aus Ironie? Oder will uns die Autorin darin erstgemeinte Tipps geben? Unsere Gründerin Sara hat bei Jacinta Nandi nachgefragt und ist nun schlauer.

Liebe Jacinta, du hast ein neues Buch, 50 Ways to Leave your Ehemann, geschrieben. Das klingt nach einem Ratgeber, nach einem Selbsthilfebuch. Denkst du ernsthaft, dass alle Frauen in Deutschland ihre Ehemänner verlassen sollten? Und falls ja, warum? Ich habe nämlich gehört, dass es Frauen geben soll, die ihre Partner sogar mögen.

Ich habe diese fantasievolle, unglaubwürdige These auch schon mal gehört, aber ich halte es für ein Gerücht! Ich glaube eher daran, dass Prinzessin Diana in den 1990ern ihren Ehemann Prince Charles bei einem Blow Job mit dem Butler erwischt hat, als dass ich daran glaube, dass ein Mann und eine Frau zusammen glücklich sein können. Und deswegen habe ich das Buch geschrieben. Alle Frauen, die sich Feministinnen nennen, müssen sofort ihre Männer verlassen. Egal wie gut diese abwaschen, wie sehr die Kinder sie mögen oder wie sehr sie ihre romantischen Netflix-Abende zu zweit genießen. An alle Frauen in Deutschland: Verlasst eure Männer und befreit euch von den Ketten des Patriarchats! Warum gibt es denn sonst Vibratoren? Oder eine öffentlich zugängliche, elektrische Luftpumpe im Indoorschwimmparadies Tropical Islands? Selbst zum Luftmatratze befüllen, brauchen wir keinen Partner mehr! Warum sollten wir Frauen denn sonst mit Männern zusammenleben wollen?

Komm, das ist jetzt nicht dein Ernst, Jacinta, oder? Echt, jetzt?

Nein, Quatsch. Aber das Leben mit einem Mann in einer Paarbeziehung ist unglaublich schwer und anstrengend – besonders, wenn Kinder im Spiel sind. Das Leben ohne einen Mann und mit Kindern ist aber eben auch nicht leicht. Obwohl es in vielen Facetten viel, viel leichter ist. Harmonischer, befriedigender und einfach interessanter. Es ist aber eben nicht leicht, wenn nur ein Mensch für eine gesamte Familie und einen ganzen Haushalt alleine aufkommen muss.

Ich wundere mich immer, dass ich, obwohl ich nicht wie eine ostdeutsche Frau aus der Arbeiterklasse zehn Stunden pro Tag in der Fabrik verbringe, sondern eine freiberufliche Künstlerin bin und meine Stunden selbst einteilen kann, dass mein Kind oft das letzte in der Kita ist. Und ich frage mich: Warum? Ist es, weil ich alleine bin? Weil immer nur ich das Kind abholen kann? Ist es die Doppelbelastung?

Also was denn jetzt? Sollen Alleinerziehende doch mit ihren Ehemännern zusammenbleiben, um die Belastung des Alleinerziehens zu vermeiden? Ist dein Buch also ironisch gemeint?

Ich wollte in dem Buch mit humorvollen Texten – und nicht nur mit diesen, denn es ist auch ein trauriges Buch geworden, weil Mitte des Jahres meine Mama gestorben ist – zeigen, dass die Gesellschaft immer so tut, als ob die Frauen oder Mütter Schuld an einer Trennung sind: Sie sind schuld, wenn die Beziehung nicht gut läuft. Sie sind daran schuld, dass die Trennung für die Kinder schwer ist. Das ist unfair und die Vorwürfe sind unberechtigt.

Ich habe in meinem Buch hinterfragt, was sich verändern müsste, damit keine Frau mehr gezwungen ist, in einer Beziehung zu bleiben, die sie nicht will. »Leave your Ehemann« – das muss viel einfacher werden!

Ich werfe deshalb einen Blick drauf, was es für lustige Ideen und wie viel Unterstützung es für Alleinerziehende in einer idealen Welt geben könnte. Zum Beispiel wenn Alleinerziehende bei der Kita-Anmeldung bevorzugt würden oder vom Jugendamt die Betreuungskosten erstattet bekämen oder verheiratete Frauen nicht mehr „unsolidarisch tolle Kuchen backen“ würden. Das sind alles nur Fantasien, und klar, zum Teil paranoide und absurde Fantasien, die nichts mit der Realität zu tun haben.

Denn die Realität sieht aktuell leider sehr anders aus. Realität ist beispielsweise, dass die Inflation Alleinerziehende doppelt heftig trifft: Viele meiner alleinerziehenden Freundinnen, die Vollzeit arbeiten, in normalen Jobs, guten Jobs sogar (ich rede nicht von Frauen, die wie ich, künstlerisch unterwegs sind oder von meinen Freundinnen die Teilzeit bei Kik oder DM arbeiten, ich rede von Frauen in bürgerlichen Jobs), diese Freundinnen kämpfen gerade echt mit der Inflation. Einfach alles ist teurer geworden. Und dann kommt da eine staatliche Entlastung, die dafür sorgt, dass der Elternteil, der erzieht, die Hälfte der Entlastung an den Elternteil, der nicht erzieht, verliert. Warum? Ich verstehe es einfach nicht!

Und alleinerziehende Frauen, die Unterhaltsvorschuss bekommen, kriegen noch nicht einmal etwas von der „oh, so großzugigen“ 18 Euro Kindergelderhöhung. Das verstehe ich erst recht nicht!

Oder vielleicht verstehe ich es doch? Frauen, die ihre Männer verlassen, sollen für die Entscheidung frei zu leben, mit Armut bestraft werden. Manchmal habe ich sogar den Verdacht, dass der Staat fürchtet – oder vielleicht besser gesagt, dass die Gesellschaft fürchtet – dass, wenn die Alleinerziehenden nicht mit einer Assoziationen von Armut, Opfer, Ausgrenzung und Isolation in Verbindung gebracht würden, sich noch viel, viel, viel mehr Frauen von ihren Partnern trennen und einen Schritt in die Freiheit machen könnten. Denn: Das Leben mit Kindern und ohne Mann kann sehr, sehr schön sein. 

Es besteht also nicht nur aus dem Bezahlen von Mahnungen und der Reparatur kaputter Waschmaschinen?

Nein, das Leben als Alleinerziehende bedeutet oft weniger Belastung durch eine Partnerschaft. Denn viele Partner – nicht alle, aber viele – verhalten sich wie nervige Teenager. Versauen einem den Tag wegen schlechter Laune. Motzen rum. Helfen nicht.

Ich glaube, dass das Leben im Patriarchat unsere Männer einfach daran gewöhnt hat, dass ihnen die ganze Aufmerksamkeit gebührt. Kommen dann Kinder dazu, bekommen die Kids mehr Aufmerksamkeit als die Männer und manchmal sollen diese dann sogar noch mithelfen… Das passt denen gar nicht. Deshalb foltern sie ihre Frauen mit schlechtem Benehmen bis diese sich entscheiden, ihre Partner zu verlassen. 

Steile These! Ist dein Buch denn autobiografisch?

Na ja, ich habe viel über mein eigenes Leben mit den Jungs geschrieben und über meine Erfahrungen als alleinerziehende Mutter. Aber ich habe auch viele Geschichten aus meinem Freundeskreis genutzt, um über das Leben in einem Ein-Eltern-Haushalt in Deutschland im frühen 21. Jahrhundert zu berichten. 

Wie kam es zu dieser Idee und zu dem Buchtitel?

Als ich noch mit dem Vater meines jüngsten Kindes zusammen wohnte, wir uns aber schon getrennt hatten, weil für uns beide klar war, dass wir nicht mehr zusammenleben konnten, versuchte ich, eine Wohnung zu bekommen. Das war mitten in der Pandemie und echt nicht leicht. Das Sozialamt wollte uns in ein „Tiny House“ stecken, aber ich hatte von diesen Dingern noch nie gehört. Der „Sozialamt-Onkel“, der echt nett war, echt, ich lästere nicht über den, der wollte echt helfen, echt das war ein Guter, der sagte versehentlich Container. Also du und deine Jungs, ihr könntet in einem Container wohnen. Und ich dachte sofort an so einem Müllcontainer! Alternativ haben sie beim Amt auch vorgeschlagen, dass wir ins Obdachlosenheim ziehen könnten. Angeblich machen das aktuell viele Familien und manche bleiben über Jahre. Es war eine extrem anstrengende Zeit.

Meine Mama, die damals noch lebte, konnte nicht verstehen, wie verzweifelt ich war. Sie wollte, dass ich „nach Hause“ komme, also nach UK zurückziehen sollte. Ich konnte das aber keinesfalls machen, auch wegen meines Großen. Er ist ein deutsches Kind. Er ist so deutsch, er steht sogar auf Zuckerrübensirup und verweigert Marmite. Er musste hierbleiben, Abitur machen und so weiter. Meine Mama hat dann mal gesagt: „Wenn das Sozialamt dich in ein Tiny House stecken will, dann komm doch hierher, nach Hause, und lebe im Gartenschuppen. Es gibt da jetzt sogar Strom.“ Ich war sauer auf sie, was mich heute sehr traurig macht, da sie gestorben ist, aber ich war einfach wirklich sauer. Diese Leute, die in den 1950ern geboren sind, die zum Bezirksamt gingen und die ihre Namen auf eine Liste für eine Sozialwohnung schreiben lassen konnten, diese Leute verstehen wahrscheinlich einfach nicht, wie verzweifelt man sein kann, wenn man stattdessen mit Kindern einen Container angeboten bekommt, oder?

Ich legte auf und redete ein paar Tage lang nicht mit meiner Mama, obwohl wir in diesem ersten Pandemiejahr, bevor sie krank wurde, eigentlich jeden Tag miteinander gesprochen hatten. Nach einigen Tagen telefonierten wir aber wieder über den Facebook-Messenger. Ein Video-Call, den meine Tante bediente. An diesem Tag sagte meine Mutter: „Du sollst ein Buch über Trapped Women schreiben, darüber, wie schwer es ist, wenn man einen Mann verlässt. Darüber, wie schwer es Frauen gemacht wird.“ Trapped Women oder Women in Prison – meine Mama hatte einen Hauch zur Melodramatik. Ich habe gelacht, aber so war die Idee geboren!

Dann habe ich die Idee erstmal wieder vergessen, denn ich dachte, ich wollte über Positives nachdenken – nicht mehr über Männer, Ehemänner, Ex-Partner, die Vergangenheit. Aber der Verlag, Nautilus, hat mich angerufen, tatsächlich angerufen, und eine Fortsetzung zu „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ vorgeschlagen. Ich hatte schon ein paar Artikel über die Realitäten des Lebens als alleinerziehende Mama geschrieben – und mit diesem Anruf ist die Idee dann auferstanden.

Ich wollte, dass es ein echt lustiges, freches, und männerhassendes Buch sein würde: Kommt Mädels! Verlasst eure Männer! Gebt den faulen Arschlöchern einen Korb! Gebt ihnen tausend Körbe! Wer braucht Männer? Wir haben den WBS-Schein, eine Kiste voller Sexspielzeuge und die Liebe für unsere Kinder! Sisters are doing it for themselves.

Aber wegen des Todes meiner Mutter ist das Buch dann doch trauriger geworden. Denn das Jahr, nachdem meine Mutter gestorben ist, war das stillste und einsamste Jahr meines Lebens. 

Das tut mir sehr leid, Jacinta. Der Titel des Buches ist eine Anspielung auf ein Paul Simon Lied: 50 Ways to Leave your Lover, richtig? Kennen junge Leute dieses Lied noch?

Nee, ehrlich gesagt nicht. Die jüngere Menschen denken alle, dass der Titel eine Anspielung an 50 Shades of Grey ist. Sie sagen, „ach so wie 50 Shades of Grey“.

Aber eigentlich habe ich mit der Deutung des Titels die Menschen wohl nicht nur unbewusst nach ihrem Alter getrennt,  sondern ich scheine auch die Geschlechter geteilt zu haben: Alle Männer – fast alle – sagen „oh wie platt“, „wie peinlich“, „niemand kennt Paul Simon mehr“, „das ist nicht lustig“, „das klingt so gewollt“ – eben total kritisch. Und die Frauen, auch die verheirateten, die sagen „ach wie schön“, „wie lustig“, „das klingt mega“ oder „das merke ich mir“. 

Wirst du ein schlechtes Gewissen haben, wenn nachdem dein Buch rauskommt, die Scheidungsrate in Deutschland explodiert?

NEEEEEEEIN! Dann werde ich sehr stolz sein, „my work here is done“ rufen und erst mal ab in Tropical Islands fahren, ein paar Mojitos genießen und bisschen Spaß haben. Ich glaube, in meinen letzten beiden Büchern kommt Tropical Islands vor. Irgendwann müssen die PR-Leute von denen mir doch endlich mal ein paar Freikarten zuschicken, oder? Am besten eine Jahreskarte, danke! 

Und du wirst nie wieder heiraten, Jacinta?

Nein, ich bin echt die hoffnungsloseste Romantikerin, die du dir vorstellen kannst, echt, echt echt. Ich gucke Bridgerton und bin nur am Heulen und ich lese Bücher, in denen erfolgreiche Zeitungschefredakteurinnen sich in Praktikanten verlieben. Ich bin echt so eine basic bitch was die Romantik angeht. Aber ich glaube, dass es besser für Frauen und Männern ist, wenn sie getrennt leben – besonders wenn Kinder im Spiel sind. Und ich weiß, dass viele Menschen das nicht so sehen – und wenn es für euch so klappt, dann bin ich glücklich für euch!

Trotzdem bleibe ich dabei: Männer nutzen die Macht, die Paarbeziehungen oder die Kleinfamilien ihnen geben, zu oft aus. Das Leben einer Single Mom bringt viele Probleme, viele Nachteile und viele Schwierigkeiten mit sich – aber es ist trotzdem das beste Leben, das befreiteste Leben und das schönste Leben, das eine Frau in einer misogynen Gesellschaft leben kann.

Jacinta Nandi
50 WAYS TO LEAVE YOUR EHEMANN

Broschur, 232 Seiten
ISBN: 978-3-96054-303-9
EUR 20,00

»Wie kann eine Autorin so viel Gegenwärtigkeit in ihren Büchern haben und dabei so trügerisch einfach schreiben? Lachen und Weinen und vor Lachen weinen sind eins bei Jacinta Nandi.« Mithu Sanyal

Sie hat es getan: Die schlechteste Hausfrau der Welt hat ihren Mann verlassen und ist mit ihren beiden Kindern in eine eigene Wohnung gezogen – oder wie sie sagt: Sie wurde weggentrifiziert nach Lichtenrade. Obwohl sie wusste, auch als Alleinerziehende ist die Welt alles andere als in Ordnung. Das beginnt schon damit, dass es für ganz normale Mütter mit ganz normal wenig Geld verdammt schwer ist, ihren Mann zu verlassen. Und das ist kein Zufall, denn Frauen, Mütter, sollen nicht frei sein. Und wenn sie sich doch ihre Freiheit erkämpfen, sollen sie einen hohen Preis dafür bezahlen.

Jacinta Nandi schreibt über Slutshaming und Mitleid, Rechtfertigungsdruck und Doppelstandards gegenüber Alleinerziehenden. Sie fragt, warum verheiratete Frauen so unsolidarisch tolle Kuchen backen und ob Single Moms by Choice die besseren Alleinerziehenden sind. Während Männer irgendwie immer gut genug sind, müssen Frauen nicht nur perfekte Partnerinnen und perfekte Mütter sein, sondern auch perfekte Opfer – wie der Fall Amber Heard deutlich gezeigt hat.

Was muss sich verändern, damit keine Frau mehr gezwungen ist, in einer Beziehung zu bleiben, die sie nicht will? »Leave your Ehemann« – das muss viel einfacher werden!

Von Sara Buschmann