Interview mit Hendrik Lind von TrostHelden

Alleinerziehende fühlen sich manchmal ziemlich einsam. Während die meisten von uns sind „nur“ geschieden oder getrennt sind, haben rund 4 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 9 Prozent der Single-Väter ihre Partnerschaft völlig unfreiwillig – durch den Tod – verloren. Verwitwet zu sein, ist eine sehr besondere Herausforderung für die Betroffenen. Es gilt, die eigene Trauer zu bewältigen und gleichzeitig für die Kinder stark zu bleiben. Nur wie?

Wir haben mit Hendrik Lind von TrostHelden gesprochen und ihn genau danach gefragt. Lieber Hendrik, wie können Eltern mit dem Verlust des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin umgehen und gleichzeitig für die eigenen Kinder stabil bleiben?

Hendrik Lind: Die Situation von alleinerziehenden Witwen oder Witwern ist tatsächlich extrem schwer und vielschichtig. Es heißt, die Trauer der Kinder zu versorgen und die eigene hintenan zu stellen. Nur: Was heißt hintenan? Abends? Trauer nach Plan? Das funktioniert nicht. Am Ende zeigt unsere Erfahrung mit tausenden Trauernden, dass die eigene Trauer erst einmal verschoben, verdrängt wird. „Ich muss stark sein!“. Irgendwann kommt sie dann ganz unerwartet mit voller Wucht an die Oberfläche. Der Trauerfall ist dann eventuell schon etwas her und das soziale Umfeld wundert sich oft ohne Verständnis, dass immer noch getrauert wird.

Da passt das Zitat von Benedict Wells so gut: „Trauer ist kein Sprint, Trauer ist ein Marathon.“ Was ist denn eigentlich die besondere Herausforderung bei einem Trauerfall in einer Partnerschaft mit Kindern?

Zum einen ist da die eigene Trauer um die geliebte Partnerin oder den Partner und die Trauer der Kinder. Dann kommt da aber noch ein anderer Traueraspekt dazu, den ich hier mal die egoistische Trauer nenne. Dabei möchte ich betonen, dass ich in diesem Rahmen „egoistisch“ NICHT als bewertenden Ausdruck benutze. Ein Beispiel: Neben der Trauer um den Partner trauert die junge Witwe auch darum, nun eventuell nicht eine heile Familie mit Haus und Hund zu haben. Auch die in der Phantasie schon ausgemalten, familiären Urlaubsträume sind geplatzt. Es sind eh alle Träume und gemeinsamen Pläne hin. In den vielen Gesprächen haben wir immer wieder gehört, dass der oder die Trauernde selbst sich für diese Gedanken und Gefühle schämen. Wir sagen: Diese Gefühle sind mehr als angebracht. Wir alle, ob trauernd oder nicht, bedauern nicht realisierbare Träume! Ein weiterer Aspekt von besonderen Herausforderungen: Pärchenabende mit Freunden sind nun auch eher Dreier- oder Fünferrunden. Die Witwe wird sich oft als fünftes Rad am Wagen fühlen. Eventuell nehmen befreundete Paare auch Abstand, denn sie wissen nicht, wie sie mit ihrer trauernden Freundin umgehen sollen – auch wenn sie es eigentlich unbedingt wollen. Die Einladungen zu gemeinsamen Aktivitäten werden seltener…

Das kennen auch nicht verwitwete Alleinerziehende. Dieses langsam heraufkriechende Gefühl nicht mehr überall willkommen zu sein. Da helfen oft nur Gleichgesinnte. Ihr vermittelt Trauerfreunde. Erklärt doch mal, was und wozu das gut ist.

Mit dem Schicksalsschlag spricht ein Mensch von jetzt auf gleich eine neue Sprache. Ich nenne es mal eine Trauersprache. Diese ist ganz individuell, da sie eine Kombination aus Schicksalsschlag, dem eigenen Umgang mit der Trauer und sonstigen Lebensumständen ist. So gibt es allein auf Deutsch tausende verschiedene Trauersprachen. Eine Frau, die um ihren Verlobten (und geplatzte Träume) trauert, spricht eine andere Sprache als die Frau, die 30 Jahre mit ihrem Partner hatte. Beide haben absolut unterschiedliche Themen. Doch auch zwei gleichaltrige Frauen mit gleichem Schicksalsschlag können unterschiedliche Themen haben. Die eine ist finanziell gut ausgestattet, die andere muss sich nun wirklich Sorgen machen, wie sie und die Kinder über die Runden kommen. Mit unserem Trauerfreunde-Matching schauen wir auf die drei genannten Aspekte Schicksalsschlag, Umgang mit Trauer und sonstige Lebensumstände. Insgesamt bieten wir einen sicheren und anonymen Rahmen, also ein sehr beschütztes Nest, in dem mit der Zeit Vertrauen aufgebaut wird. Erst wenn das eigene Bauchgefühl sagt „zu dieser Person fühlt es sich vertraulich an“, werden die Klarnamen, Telefonnummern und Adressen ausgetauscht. Wir als TrostHelden werden dann nicht mehr benötigt.

Wie stellt ihr sicher, dass die Trauernden auch zueinander passen?

Ein „Matching“ kennen die meisten von uns von Singlebörsen. Wir funktionieren ähnlich, obwohl es bei uns nicht um romantische Bedürfniserfüllungen geht. Wir schauen sehr feingliedrig auf die jeweilige Situation unserer TrostHelden. Um dann die Trauerfreund-Vorschläge machen zu können, bei denen die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass es passt. Wir versuchen unsere Mitglieder dann dazu anzuhalten, ruhig Kontakt zu mehreren TrostHelden aufzunehmen, da sich oft erst mit der Zeit herauskristallisiert, wer das passende Gegenüber sein kann. Oftmals haben unsere Mitglieder auch mehrere Trauerfreundschaften.  

Habt ihr denn auch trauernde Elternteile in eurer Community?

In der TrostHelden-Community haben wir viele Elternteile, die um ihren Partner trauern. Die Ohnmacht im eigenen sozialen Netzwerk, auch wenn dieses sich bemühen will, wird ja täglich größer, ebenso die eigene Verzweiflung. Dann jemanden zu treffen, der oder die die gleichen Themen und Gefühle hat, tut gut. An dieser Stelle möchte ich noch einmal schildern, welches denn die beiden elementaren Aussagen Betroffener neben der Trauer sind.: 1. „Mein soziales Umfeld versteht mich nicht. Es kann mir das nicht geben, was ich dringend benötige.“ Und 2.: „Ich verstehe mich selbst nicht mehr.“ Wenn nun das Gegenüber genauso tickt wie du, fühlst du dich verstanden. Verständnis im Außen fühlt sich immer gut an. Im Fall der Trauer und meiner zweiten Aussage geht es aber noch weiter: Verständnis im Außen ist wie ein Spiegel, um sich neu zu erkennen; um sich neu kennenzulernen. Wir schlagen mit TrostHelden sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Das Sprichwort „Gleich und gleich gesellt sich gern“ bekommt im Rahmen der Trauer eine ganz intensive Bedeutung.

Gibt es Feedback von den Trauernden? Also wisst ihr, wie es den verwitweten Eltern in den Patenschaften bei TrostHelden geht? 

Feedback bekommen wir zu Hauf. Da ist zum einen dieses „Endlich versteht mich jemand“. Und es ist in Ordnung, wenn ich mein Gegenüber um 3 Uhr morgens anrufe, denn da ist Verständnis für meine Situation. Wir haben viele gleichgeschlechtliche Trauerfreundschaften, aber auch Männleins und Weibleins. Tatsächlich sind auch schon zwei Liebespaare durch die anfänglich reine Trauerfreundschaft entstanden. Das eine Pärchen ist 78 und 80 Jahre alt, das andere sehr viel jünger. Beide haben Kinder mitgebracht und fühlen sich, auch durch das so sehnlichst gewünschte Verständnis ob der eigenen Situation, romantisch hingezogen. Ich möchte aber betonen, dass das Ziel von TrostHelden nicht die Vermittlung von Knutschereien ist, sondern, dass die beiden Menschen mit exakt gleicher Trauersprache zusammenkommen.

Welche Tipps könnt ihr verwitweten Müttern oder Vätern an die Hand geben? Was ist am Anfang wichtig und was auf Dauer?

Es ist schon richtig, dass zuerst einmal die Trauer der Kinder aufgefangen wird und die eigene die zweite Geige spielt. Doch auch die zweite Geige ist extrem wichtig in einem Orchester! So ist es wichtig, sich kleine Inseln zu schaffen, um sich dort um sich kümmern zu können. Damit meine ich nicht die Trauer nach Plan. Doch Bewegung, evtl. Atemübungen, Meditationen oder was einem sonst gut tut, hat dann auch seinen Raum. Freunde wissen oft nicht, wie sie helfen können. Eine tolle Hilfe ist, die Kinder mal für eine Zeit abzuholen, mit ihnen kleine Ausflüge zu machen, auf den Spielplatz zu gehen. Für die trauernde Freundin oder den Freund gibt das dann Raum für bewusste Selbstfürsorge (das kann auch „einfach“ mal eine Runde heulen bedeuten). Wäre ich aktuell Trauernder, würde ich meinem sozialen Umfeld sagen: „Bitte behandle mich weiter ganz normal. Ich stecke zwar gerade in einer speziellen Situation in der du mir aus ganz logischen Gründen nicht helfen kannst. Für diesen Teil von und in mir suche ich mir an anderer Stelle Hilfe. Auch bei dir werde ich bestimmt hier und da mal in akute Trauer kommen und vor Verzweiflung fast nicht atmen können. Halt mich dann bitte. Such nicht nach Antworten oder ähnlichem. Halt mich nur.“ Übrigens können wir die Situation ja auch mal von der anderen Seite betrachten! Für eine:n Zugehörige:n eines trauernden Menschen ist es nun wirklich keine angenehme Situation. Ein Herzensmensch leidet zutiefst und man selbst kann nicht helfen. Die Ohnmacht ist so groß, dass oftmals ein Rückzug gesucht wird. Bei Trauernden heißt es dann: „Mein soziales Umfeld/meine Freunde/meine Familie hat mich im Stich gelassen.“ Als Zugehörige:r kannst du aber durchaus die Aussage machen, dass du selbst zwar keine Antworten für die sehr spezielle Situation hast, dass du aber in den Pausen zwischen der Trauer da bist, um ein wenig Normalität und Freude in das Leben des oder der Betroffenen bringen kannst. Du kannst Kommunizieren, dass du es auch aushältst, aktive:r Zuhörer:in zu sein und nicht versuchst, aus gesellschaftlich anerzogenen Gründen unbedingt eine schlaue Antwort zu liefern. Na, und dann gibt es natürlich die Möglichkeit, für den trauernden Herzensmensch das Erlangen der richtigen Antworten zu ermöglichen – durch einen TrostHelden-Gutschein 😊. Damit verschenkst du eine rettende Möglichkeit, die nicht viel kostet.

Gibt es Anlaufstellen, die ihr für die erste Hilfe, also die Akutsituation, empfehlen könnt? An wen wende ich mich, wenn mein:e Partner:in gestorben ist?

Dieser Aspekt ist Geschmacksache. Es gibt Trauergruppen, die von kirchlichen und nichtkirchlichen Organisationen angeboten werden. Es gibt überall Trauerbegleitung etc. Dort sind viele Tipps zu erlangen und der/die Betroffene wird erst einmal aufgefangen. Jemanden mit gleicher Trauersprache gibt es dort aber nur mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit zu finden. Das haben wir durch tausende Einzelgespräche mit Betroffenen immer wieder erfahren. Und weil wir genau dieses seit Jahrzehnten bestehende Problem erstmalig lösen, machen unsere Mitglieder ja auch so großartige Erfahrungen. Großartige Erfahrungen & Trauer, wie passt das zusammen?! Menschen, die einen guten Umgang mit ihrer Trauer erfahren haben, berichten meist von Geschenken, die die Trauer mit sich gebracht hat. Natürlich würden diese Geschenke sofort gegen den geliebten Menschen eingetauscht werden, doch das ist ein Thema, über das wegen seiner Unmöglichkeit nicht weiter gesprochen werden muss. Die Geschenke aber gehen alle in Richtung mehr Selbstliebe, mehr Selbstwert. Ist das nicht ein Hammer? Eben habe ich ja schon erwähnt, dass Trauernde sich selbst nicht mehr verstehen. Und ja: Mit dem Schicksalsschlag sind wir (für immer) anders. Ist es da nicht im Eigeninteresse, sich neu kennen zu lernen? Trauern hat demnach sehr viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Erzählen wir das aber nicht Trauernden in akuter Trauer, denn das ist in der akuten Situation blanke Theorie und bloß ein rationaler Gedanke, ein Lösungsversuch, um aus der unangenehmen Situation herauszukommen. Als Vergleich: Einem 15jährigen Mädchen, das seine Matheaufgaben nicht schnallt und schier verzweifelt, hilft es nicht, wenn wir ihm erzählen, dass es in zwei Jahren, wenn es fleißig weiter übt, großen Spaß machen wird, Matheaufgaben zu knacken.

Jetzt interessiert uns natürlich auch noch euer Hintergrund: Wer sind die TrostHelden? Und welche Geschichte steht hinter eurer Gründung?

Mein Frau Jen und ich haben beide ein Kind mit in unsere Ehe gebracht. Als dann das erste gemeinsame Kind kam, war die Kinderseele der Großen ordentlich am Wackeln. Sie hatten/haben zwei Zuhause und es stellte sich ihnen die Frage, wo in diesem ganzen Chaos denn nun ihr Platz sei. Zudem waren da auf einmal Mama & Papa & Kind. Also die neue heile Familie. Das ist für jedes Trennungskind eine wirklich ätzende Situation. Meine Frau hat dann in sich gefühlt und eine Lösung gefunden: Sie hat ein T-Shirt ihres Ex` genommen und eins von sich und ein Kuscheltier aus beiden genäht. Meine Ex und mich hat sie auch zusammengebracht – in Form eines sogenannten mapapus (MAmaPApaPUppe). Diese mapapus haben so viel mit unseren Kids gemacht, dass Freunde in ähnlicher Situation auch eins wollten. Auch hier wurde über großartige Beobachtungen berichtet. Am Ende haben wir unseren Kindern dieses Zeichen gegeben: „Wir gehen zwar getrennte Wege, doch in Dir sind wir für immer vereint!“. Irgendwann haben wir uns dann selbständig gemacht und wollten allen Trennungskindern dieser Welt diese Möglichkeit bieten. Wir mussten aber lernen, dass sich Getrennte nicht gerne zusammennähen lassen wollten. Dafür gab es aber – auch schon vor der Gründung der mapapu GbR – eine Anfrage, einen mapapu aus den T-Shirts eines verstorbenen großen Bruders für ein Kind zu nähen. Zuerst wusste meine Frau nicht, ob sie diese Stoffe verarbeiten kann – immerhin wurden wir sehr intensiv über den Schicksalsschlag informiert. Das Feedback und die Resultate waren so krass gut, dass wir uns ab da auf diese spezielle Hilfe für Trauernde spezialisiert haben. mapapus nähen wir heute nicht mehr. Doch durch rund 7.000 Einzelgespräche mit Trauernden haben wir so viel gelernt, dass wir unsere wirklich neuartige Hilfe TrostHelden erfunden haben. Diesen Ansatz gibt es weltweit nur bei uns (und wir sind ein wenig stolz 😉).

Und noch eine Frage: Ihr seid selbst Eltern und Experten in Sachen Sterben und Trauer. Gibt es Dinge, die man zu diesem Thema am besten schon besprechen sollte, bevor ein Trauerfall eintritt? Welche Vorsorgemaßnahmen kann ich als Familie für den Worst Case treffen?

Es gibt natürlich finanzielle Vorsorgemöglichkeiten. Und es macht auch Sinn, einen Notfallordner zu erstellen. Darin sind z.B. alle Versicherungen, alle Passwörter, alle finanziellen Werte etc. aufgelistet. Denn wenn ein Schicksalsschlag eintritt, muss ein:e Betroffene sich um so viele Orgadinge kümmern, obwohl die Situation echt anderes verlangt. So ein Notfallordner schließt also ein zusätzliche Erschwerung der eh schon schweren Situation aus. Wir empfehlen zusätzlich, ganz offen mit dem eigenen Partner zu besprechen, wie denn so die eigene Bestattungsfeier aussehen soll. Welches Essen? Welche Musik? Vielleicht wird ja schon eine Playliste erstellt. Meine Frau wünscht sich übrigens auf ihrer eigenen Bestattungsfeier das Lied von Queen „Don´t stop me now“ Toll, oder?! Insgesamt brauchen Paare auch wirklich keine Angst vor dem Gespräch über die eigene Trauerfeier zu haben. Ich verspreche: Es wird viel gelacht werden! Übrigens kann man in solch ein Gespräch auch die Kinder mit einbeziehen. Kinderbücher über Tod und Trauer können da helfen. Mein liebstes Kinderbuch aus diesem Segment heißt „Die besten Beerdigungen der Welt“ von Ulf Nielsson.

 

Von Sara Buschmann