Ist das Wechselmodell feministisch?

So einfach ist es nicht, sagt unsere Kolumnistin Anne Dittmann

Das Wechselmodell wird immer populärer und gilt als die gleichberechtigte Betreuungsvariante für getrenntlebende Eltern – dabei leben es gerade einmal vier Prozent aller Familien. Aber die FDP will das Wechselmodell zum Regelfall nach einer Trennung machen – mit Blick auf Schweden, wo genau das schon längst der Fall ist. Die schwedische Autorin und Feministin Maria Sveland beschreibt in ihrem Fortsetzungsroman „Immer noch Bitterfotze“ ihr Leben im Wechselmodell so: halb alleinerziehende Mutter, halb Singlefrau. Das Wechselmodell verschafft ihr Freiheiten, etwa für Sex und ein ausgeprägtes Sozialleben und dadurch eckt sie sogar in ihrem engeren Umfeld an. Weil sie ein Leben führt, das sich eine Mutter normalerweise nicht erlauben kann. Wie viel Freiheit bringt das Wechselmodell wirklich? Ist es feministisch?

Ich habe meine Community auf Instagram gefragt und viele unterschiedliche Antworten erhalten: „Für mich ist das Wechselmodell das beste Modell aller Zeiten“, schreibt mir eine Mutter. „Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll: Ein Kind mit dem Mann, mit dem ich zusammenlebe. Ohne große Verschnaufpausen.“ Hat das Wechselmodell etwa mehr Vorteile als die klassische Kleinfamilie in der gemeinsamen Wohnung? Ist es womöglich das Familienmodell der Zukunft? Zumindest was die Arbeit im Haushalt und eine gerechte Kinderbetreuung angeht, können Mütter hier offenbar nur gewinnen. Sie leisten laut der Organisation Equal Care Day jeden Tag über zweieinhalb Stunden mehr Sorgearbeit als Väter; durch ein Wechselmodell ist damit Schluss.

„Ich cancele keinen einzigen Job, damit der Vater meines Kindes arbeiten kann – aber ohne Kooperation geht’s auch nicht.“

Ich lebe seit dreieinhalb Jahren im Wechselmodell. Die meiste Zeit fiel also in die Pandemie der vergangenen zwei Jahre und damit in eine gesellschaftliche Phase der Retraditionalisierung. Davon habe ich persönlich aber nichts gemerkt. Der Grund ist: In zwei Haushalten kocht jede*r sein eigenes Süppchen, wäscht die eigene Wäsche und wischt den eigenen Boden – daran ist auch in Krisenzeiten nicht zu rütteln. Das hieß für die Lockdowns mit geschlossenen Kitas und Schulen: Sie haben meinen Ex und mich jeweils privat und beruflich stark belastet, aber eben gleichermaßen.

Unser Vorteil im Wechselmodell: Es verhindert zu jeder Zeit, dass die Betreuungsdynamik unbemerkt in eine Schieflage gerät – in zwei getrennten Haushalten vermengen sich Care-Arbeit und Finanzen nicht einfach so. Feste Übergabezeiten, die klare räumliche Trennung und vor allem die Not, sein eigenes Brotgeld zu verdienen sind Faktoren, die wenig Spielraum für andere Absprachen lassen. Einfach gesagt: Ich cancele keinen einzigen Job, damit der Vater meines Kindes arbeiten kann. Denn von seinem Einkommen habe ich nichts. Ich muss mich um mein eigenes Einkommen kümmern. Wenn der Vater meines Kindes allerdings während der Papa-Zeit krank wird, kümmere ich mich natürlich um unser Kind. Ganz wichtig: Ohne Kooperation geht’s nicht.

„Ich beobachte noch heute, wie mein Kind sein Kinderzimmer zu einem lebendigen Ort macht – und wie diese Lebendigkeit an Papa-Tagen mit ihm zur Tür hinausspaziert.“

Eine Mutter aus meiner Instagram-Community beschreibt mir eine Schattenseite ihres Wechselmodells, obwohl sie es grundsätzlich für die beste Lösung hält: „In der Zeit mit den Kindern fühle ich mich manchmal überfordert und auf mich allein gestellt. Ohne die Kinder fühle ich mich wiederum allein und einsam.“ Ich fühle es auch! Mein Kind zu vermissen ist ein Bestandteil meiner Mutterschaft. Ich erinnere mich daran, wie ich vor ein paar Jahren nach der Übergabe in meine leere Wohnung zurückkam: Ich zog meine Jacke aus und fand darin noch ein kleines Spielzeugauto, das ich in das viel zu leise Kinderzimmer meines Sohnes legte. All seine Sachen wirkten wie eingefroren. Ich beobachte noch heute, wie mein Kind sein Kinderzimmer zu einem lebendigen Ort macht – und wie diese Lebendigkeit an Papa-Tagen mit ihm zur Tür hinausspaziert. Wie ich damit umgehe? Erst habe ich das Vermissen vor allem nur ausgehalten – und irgendwann angefangen, die leere Zeit mit schönen Momenten zu füllen. Mit der Zeit wird es leichter. Oder vielmehr werden wir Eltern im Wechselmodell stärker.

Insofern verstehe ich die schwedische Autorin Maria Sveland, wenn sie über sich als „halb alleinerziehende Mutter, halb Singlefrau“ schreibt. Nur: Beide Hälften können je nach Umständen prekär bis befreiend sein. Finanzielle Ressourcen etwa bestimmen stark darüber, wie frei Mütter sich im Wechselmodell fühlen können: Haben sie zwischen den Mama-Zeiten genug Geld übrig, um das Leben als Singlefrau selbstbestimmt zu gestalten?

„Eltern im Wechselmodell sollen also nicht gleich viel Unterhalt zahlen, sondern gleichermaßen belastet werden – das ist ein wichtiger Unterschied!“

Wer meint, man würde im Wechselmodell schließlich nur ein halbes Kind durchfüttern, irrt sich! Ein Kind im Wechselmodell kostet nicht halb, sondern fast zwei Mal so viel wie ein Kind in der klassischen Familienkonstellation. Jess schreibt mir auf Instagram: „Im Fall von 50/50 fällt der Unterhalt weg. Einen Arbeitgeber zu finden, bei dem ich alle zwei Wochen nicht voll arbeiten kann, ist schwierig. Genauso schwierig ist es, weiter in Teilzeit zu arbeiten und gleichzeitig all die Ausgaben wie ein eigenes Kinderzimmer, Einrichtung, Kleidung, Spielzeug, Urlaube etc. allein zu stemmen.“

Was viele nicht wissen und auch ich erst nach zwei Jahren im Wechselmodell herausgefunden habe: Der Unterhalt fällt nicht weg, sondern wird stattdessen anteilig aufgeteilt. Eltern im Wechselmodell sollen also nicht gleich viel Unterhalt zahlen, sondern gleichermaßen belastet werden – das ist ein wichtiger Unterschied! Verdient also ein Elternteil mehr, muss es auch anteilig mehr für den Kindesunterhalt bezahlen – es geht also nicht nur um die Betreuungszeit, sondern auch um das Einkommen. Der Nachteil: Ständiges Verhandeln, über jeden Schuh – etwa darüber, ob es die neuen, qualitativ hochwertigen Winterstiefel sein müssen oder nicht lieber gebrauchte vom Flohmarkt. Das kann alle Beteiligten zusätzlich belasten, weshalb manche Eltern auf den Kassensturz lieber verzichten.

So oder so ist das Wechselmodell teuer – vor allem aufgrund der doppelten Anschaffungen. Fakt ist daher, dass sich nur vier Prozent aller Familien das Wechselmodell überhaupt leisten können! Sarah schreibt mir, dass das Wechselmodell für sie und ihren Ex so gut funktioniert, weil sie „ungefähr gleich viel verdienen, es also nie um Geld ging.“ Aber was, wenn beide Geringverdiener*innen sind? Schwierig.

„Ich schreibe mit meinem Ex mehr Nachrichten als mit meinem neuen Partner.“ – Greta, Mutter im Wechselmodell

Im Wechselmodell nehmen im Idealfall beide Elternteile gleichermaßen am Leben des Kindes teil. Das bedeutet aber auch, dass der Mental Load beinahe doppelt getragen wird. Sowohl mein Ex als auch ich regeln nicht nur jeweils unsere Jobs, unsere Haushalte und eigenen sozialen Kontakte, sondern kennen auch jeweils immer alle Termine unseres Kindes, haben beide Kontakt zu Schule und Hort, kennen alle Freund*innen unseres Kindes beim Namen, besprechen jede neue Winterjacke, die angeschafft werden muss, wer wann mit unserem Kind Urlaub macht oder zur Oma fährt und wer das Geld für die Klassenfahrt überweist. Riccarda aus meiner Instagram-Community schreibt: „Gefühlt ist der Mental Load viel mehr als früher. Ständig muss man Termine hin- und herschieben, auf dem Schirm haben, dass Geburtstagsgeschenke gebraucht werden, auch wenn das Kind gar nicht da ist und die Zeit mit dem Kind selbst ist viel zu kurz.“

Veo schreibt, dass es auch anders laufen kann: “Es ist so anstrengend, weil die Hauptverantwortung trotz Wechselmodell weiter bei mir liegt. Die Dynamik ist quasi wie in der Beziehung: Ich habe die Oberaufsicht über die komplette Orga-Arbeit.“ Und auch Greta belastet der Mental Load: „Es frisst viel Zeit und Energie, weil man ständig im Austausch ist. Ich schreibe mit meinem Ex mehr Nachrichten als mit meinem neuen Partner. Aber es klappt wirklich gut. Wir und unsere neuen Partner*innen stellen unsere Bedürfnisse dafür stark zurück, zum Beispiel ist ein Umziehen weiter weg ausgeschlossen.“ Aber was, wenn ein Elternteil nicht will, dass es klappt?

„Es bedeutet maximalen Kontakt zu meinem Peiniger, weitere Kontrolle durch ihn, fortgesetzte Gewalt.“ – Jess

Das Wechselmodell wird problematisch bis gefährlich für das Kind, wenn der*die Partner*in absichtlich nicht kooperiert. Diese Erfahrung muss eine weitere Mutter namens Rana machen: „Es bedeutet für jede Kleinigkeit zu kämpfen. Impfen, Nachhilfe, neue Schuhe, Jacke. Ich kümmere mich um alles. Arztbesuche, Schulsachen, Verwaltung des Kindergeldes, Berechnung und Überweisen seiner Hälfte.“ So geht ähnlich geht es einer weiteren Mutter, die mir über Instagram schreibt: „Das Wechselmodell wird bei uns für Machtausübung genutzt und um ein Ego zu bedienen. Das Kind wird zum Kuchen, der gerecht geteilt werden soll.“

Manchmal wird das Wechselmodell über das Familiengericht festgeschrieben – darunter fallen auch Fälle, in denen häusliche Gewalt vorangegangen ist, ohne dass diese bewiesen werden konnte bzw. den Opfern geglaubt wurde. Über solche Fälle habe ich bereits in früheren Kolumnen geschrieben. Für Mütter wie Jess, die mir über Instagram schreibt, ist das Wechselmodell eine Zäsur: „Es bedeutet maximalen Kontakt zu meinem Peiniger, weitere Kontrolle durch ihn, fortgesetzte Gewalt. Das Kind wird zur Waffe.“

Für manche Kinder ist das Wechselmodell die beste Lösung, wenn ihre Eltern sich getrennt haben – für andere nicht. Als Eltern haben wir besonders am Anfang genau auf unser Kind geschaut und uns gefragt, ob es ihm gut geht. Ob die Wechsel alle drei bis vier Tage passen. Ob es gerade doch wieder mehr Mama-Zeit braucht – ich war ja vorher alleinerziehend. Aber was, wenn ein Elternteil nicht so genau hinschaut? Wenn es ihm womöglich egal ist? Oder das Kindeswohl sogar genutzt wird, um dem anderen Elternteil zu schaden?

Prekäre Fälle im Wechselmodell zeigen, dass Familiengerichte, Gesetzgeber, das Jugendamt noch genauer hinschauen müssen. Das Wechselmodell ist keine Garantie für eine feministische Elternschaft. Es kann so vielfältig gelebt werden wir jede andere Familienform und steht oder fällt mit den passenden Ressourcen wie naheliegenden Wohnungen, genug Geld, flexible Arbeitszeiten und dem festen Willen beider Eltern, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen. Familien darin zu bestärken und zu begleiten ist eine staatliche Aufgabe, die erfüllt sein sollte, bevor das Wechselmodell als Regelfall eingeführt werden kann.

Von Anne Dittmann

Porträt von SOLOMÜTTER Kolumnistin Anne Dittmann

Diese Kolumne wird unterstützt von der Stiftung Alltagsheld:innen.