Wenn die Kinder 18 sind, mache ich Champagner auf #3

Das kommt von der Trennung!

Es fing relativ zeitnah nach der Trennung an. Meine große Tochter war 10 Jahre alt und klagte immer wieder über Kopfschmerzen. Was macht man da? Natürlich zum Kinderarzt gehen, in der Folge danach noch zu anderen Spezialisten, bis hin zu Psychologen. Kopfschmerzen sind wie Bauchschmerzen ein besonders undankbar zu diagnostizierendes Symptom, ich habe Verständnis für die ÄrztInnen, dass sie da manchmal ratlos sind. Und anfangs hatte ich auch noch Verständnis dafür, dass die Diagnose dann lautete „Das kommt von der Trennung!“, die war noch nicht lange her, und natürlich hatte die familiäre Situation mein Kind gestresst. Aber zwei Jahre später, als die Kopfschmerzen immer noch da waren, wollte ich es dann doch genauer wissen und suchte mit meiner Tochter einen HNO auf. Der wiederum schickte sie ins CT, wo man tatsächlich etwas Ungewöhnliches sah, und der sagte, wenn das sein Kind wäre, würde er es operieren. Ach guck, dachte ich mir, es kommt also gar nicht alles von der Trennung, was man nicht erklären kann!

Von da an war ich etwas misstrauischer. Die Bauchschmerzen des Sohns, die er in den letzten Grundschulklassen regelmäßig vor dem Unterricht hatte, kamen die wirklich „nur“ von der Trennung, wie es mir die Lehrer in der Elternsprechstunde zu erklären versuchten? Oder war da noch etwas anderes? Und was war mit den massiven Stimmungsschwankungen und den schier endlosen Gedankengebäuden, in denen mein Kind sich regelmäßig verirrte? Alles nur auf die Trennung zurückzuführen? 

Schließlich noch mein jüngstes Kind, von der ich heute weiß, dass sie Autistin ist. Auch hier hieß es in fast allen Anlaufstellen, die ich mit ihr aufsuchte: „Das liegt an der Trennung“, sogar, als sie für drei Monate in einer kinderpsychiatrischen Tagesklinik war. Niemand sah das offensichtliche: Der Sohn hat ADS und damit verbunden Schulängste, die jüngste Tochter war zwar traumatisiert durch miterlebte Gewalt im Rahmen der Trennung, aber das allein erklärte bei weitem nicht ihr absolut aus dem Rahmen fallendes Verhalten, und meine mittlerweile erwachsene Tochter hat auch ihr Päcklein zu tragen. Ich weiß es jetzt ganz genau: Nicht alles, was auffällig ist oder eventuell Krankheitswert hat, liegt an der Trennung.

Viel zu selten wurde ernsthaft danach gesucht, was meinen Kindern fehlen könnte, stets standen der Familienstatus und die Vergangenheit im Fokus der Erklärungsversuche. Dass einige Auffälligkeiten schlichtweg genetisch bedingt sind, und dass die einfachste und naheliegendste Erklärung nicht immer die passende ist, scheint für viele Ärzte und auch Pädagogen richtig schwer zu begreifen zu sein. Mich macht das im Rückblick sehr sauer und ich halte dieses Phänomen für ein verbreitetes Problem. Kinder von Alleinerziehenden, so scheint es, haben grundsätzlich zuerst einmal „Das liegt an der Trennung!“ anstatt irgendetwas anderes.

Hätten meine Kinder früher die passenden Diagnosen gehabt, wären einige Dinge, die uns heute das Leben sehr schwer machen, garantiert anders gelaufen. Ich denke da besonders an das Thema Schule.  Zu wie vielen Ansprechpartnern ich anreisen musste, teils mit über zwei Stunden Anfahrt, und ich auch immer noch fahren muss, weil hier in meiner Stadt keine qualifizierten Anlaufstellen vorhanden sind, will ich gar nicht zusammenrechnen. Aber in den vergangenen 10 Jahren waren das so einige. Ich bin von Pontius bis Pilatus gefahren, mal vergebens, mal habe ich endlich Antworten und Hilfe gefunden. Und so langsam muss ich diesen Satz auch nicht mehr hören, dieses „Das liegt an der Trennung!“, denn offenbar ist die nach 12 Jahren dann doch verjährt als Grund. 

Das Aberwitzige ist, wenn ich mal – selten – versucht habe, anzuführen, dass irgendetwas an der Trennung bzw. dem Verhalten des Vaters meiner drei Kinder liegen könne, dann wurde immer ganz schnell der Kopf geschüttelt. Als denke mein Gegenüber, ich nutze den Exmann als billige Ausrede, um mich nicht mit meiner Situation und auch meinem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. „Leute, so bin ich nicht!“, will ich dann immer schreien und die Augen verdrehen, lasse es aber, weil mir natürlich klar ist, dass ich damit meine Glaubwürdigkeit nicht verbessere.

Ich bleibe also ruhig, jedenfalls meistens. Aber ich lasse mir auch nicht mehr jeden Unsinn gefallen. Und das wiederum, das kommt wirklich von der Trennung.

Von Christine Finke