Weihnachten ist auch nur ein Gefühl

Eigentlich wollten mein Kind und ich an Weihnachten zu meinen Großeltern fahren. Aber die sind kürzlich an Corona erkrankt und müssen sich nun erholen. Seit neuestem empfiehlt das Robert-Koch-Institut zudem die „maximale Kontaktbeschränkung“ wegen der Omikron-Variante. Das Corona-Virus zerschlägt unsere Weihnachtspläne und die vieler anderer Menschen auch. Wir werden zuhause bleiben und zu zweit feiern, mein Kind und ich. Was für eine grausige Vorstellung – das dachte ich noch vor zwei Wochen.

Weihnachten kannte ich immer nur in groß und viel. Prachtvoll. Laut. Es fand immer bei meinen Großeltern statt. Sie leben in einem kleinen Haus am See, der vor zwanzig Jahren im Winter regelmäßig zufror. Dann schaufelte die Nachbar*innenschaft den Schnee beiseite und wir fuhren mit unseren Schlittschuhen übers Eis. Wenn unsere Zähne zu klappern anfingen und unsere Finger blau wurden, gingen wir ins Haus und wärmten uns am offenen Kamin wieder auf. Das ganze Haus funkelte und glitzerte durch die pompöse Weihnachtsdekoration, ein süßlicher Duft erfüllte das Haus. Ich habe intensive, zauberhafte Weihnachtserinnerungen und würde sie gerne an mein Kind weitergeben.

Ich weinte als mir vor ein paar Wochen bewusst wurde, dass wir Weihnachten zu zweit verbringen würden. Zwei sind keine Party. Zwei sind nicht prachtvoll, laut, viel und groß. Im Film „Pettersson und Findus – Das schönste Weihnachten überhaupt“ kann das Fest des alten Mannes und des Katers am Ende nur gerettet werden, weil die ganze Nachbar*innenschaft vorbeikommt, Essen, Musik und Geschenke mitbringt. Kurz davor trauerten Pettersson und Findus noch einsam vor sich hin. So würde auch unser Weihnachten werden, dachte ich. Nur ohne das Happy End. Es würde ein mieser Abschluss werden nach einem Jahr des ständigen Abstandhaltens. Frohe Weihnachten, mein Kind!

Ich rief meine beste Freundin an und ergoss meine Verzweiflung durch die Leitung. Und sie sagte: „Weihnachten ist auch nur ein Gefühl! Du brauchst nicht die vielen Menschen, das Funkeln und das Haus am See sondern Geborgenheit. Ein schönes Weihnachten kannst du dir selbst geben.“ Ich hörte auf zu weinen und überlegte, was ich brauchte, um mich geborgen zu fühlen, damit ich meinem Kind Geborgenheit schenken konnte. Dazu eine Prise Festlichkeit.

Ich zog los und kaufte zum ersten Mal in meinem Leben einen 170 cm hohen Tannenbaum – sie sind überraschend leicht zu tragen! Anschließend wählten mein Kind und ich gemeinsam den Weihnachtsschmuck aus, wir einigten uns auf die Farben rot, gold und weiß. Wieder zuhause schalteten wir weihnachtliche Musik ein, stellten den Baum auf und schmückten seine Nadeläste. Einen selbst geschmückten Tannenbaum zu bewundern ist purer Genuss!

Am 24. Dezember werden wir in die Stadt fahren sobald es dunkel ist, am Ku’Damm entlang spazieren und uns die riesigen Lichtinstallationen ansehen. Wir werden uns das Abendessen liefern lassen, ich koche Pudding als Nachtisch. Wir werden Brettspiele spielen und einen Weihnachtsfilm schauen – ich kann Jingle Jangle Journey und Klaus empfehlen!

Der Weihnachtsmann wird es nicht zum Abend hin bis nach Berlin schaffen sondern erst in der Nacht ankommen – völlig verständlich, fand mein Kind. Wir werden die Geschenke dann also nach dem Aufstehen am 25.12. unter dem Weihnachtsbaum vorfinden. Ich beschenke mich selbst und werde mich sehr über hochwertiges Make-Up und Kleidung freuen. Wir werden weihnachtliche Onesies tragen, unsere Katzen auch – einfach, weil ich das witzig finde. Und am Nachmittag werden wir mit der Nachbarsfamilie in den Christmas Garden gehen, eine weihnachtliche Veranstaltung mit verschiedenen Lichtinstallationen des Botanischen Gartens.

Als Freund*innen gehört haben, dass ich mit meinem Kind zuhause Weihnachten feiern werde, haben sie uns zu sich nachhause eingeladen. Auch das hat mir Geborgenheit geschenkt. Aber seit wir den Tannenbaum bei uns haben und ich die schönsten Pläne für uns geschmiedet habe, findet Weihnachten bei uns zuhause statt. Keine Logik, nur so ein Gefühl.

Von Anne Dittmann

Porträt von SOLOMÜTTER Kolumnistin Anne Dittmann