Corona-Urlaub, wir kommen! Oder nicht.

Das kommt überraschend! Was Mütter in den sozialen Netzwerken monatelang gefordert haben, wurde nun tatsächlich kurz vor der Bundestagswahl umgesetzt: Unter dem Motto „Corona-Auszeit“ gönnt die Bundesregierung allen Familien mit geringem bis mittlerem Einkommen und Familien, die einen Schwerbehindertenausweis vorzeigen können, zwei Wochen Urlaub – jeweils eine Woche für 2021 und eine Woche im kommenden Jahr. Auf der Seite des Familienministeriums sind drei notwendige Schritte für die staatlich geförderte Entspannung gelistet: Voraussetzungen prüfen, Unterkunft finden, Aufenthalt buchen. Man bezahle nur zehn Prozent des eigentlichen Urlaubspreises, heißt es. Klingt gut und einfach, ist es aber nur bedingt.

Ich starte die Suche nach einem Urlaub gleichzeitig mit einer befreundeten Mutter auf der Webseite des Familienministeriums – sie sucht auf der interaktiven Deutschlandkarte nahe der Nordsee und ich an der Ostsee. Interessant ist, dass die meisten Ferienorte stark christlich-religiös geprägt sind – ob sich hier auch Familien einquartieren, die etwa muslimischen oder jüdischen Glaubens sind? Ich als Agnostikerin frage mich, warum die Bundesregierung nicht auch andere Ferienorte einbezieht und wie viel Kirche mich im Urlaub wohl begleiten wird, lasse mich aber davon erstmal nicht abschrecken.

Als Autistin hat meine Freundin eine Behinderung – ebenso ihre drei kleinen Kinder. Aber: Einen Behindertenausweis besitzen sie noch nicht. Warum sie noch keinen beantragt hat? „Wann hätten wir das auch noch schaffen sollen, Anne?“, fragt sie und seufzt. Stimmt, denke ich. Mir wird schon bei dem Gedanken an ihren Alltag schwindelig: mehrmals die Woche Therapietermine, Diagnosen, ärztliche Untersuchungen, Anträge für Inklusionsassistent*innen in der Kita, Pflegegeld und Verhinderungspflege – all das neben der normalen Carearbeit für drei kleine Kinder. Sie ruft also direkt beim Familienministerium an und fragt, welche alternativen Bescheinigungen sie statt des Behindertenausweises einreichen könnte. Gar keine, heißt es am anderen Ende der Leitung. Der Ausweis müsse sein, Bürokratie eben. Dabei hat sie den Urlaub verdammt nötig.

Zeitgleich rufe ich verschiedene Ferienorte in Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern an – denn ich erfülle die Voraussetzung des geringen bis mittleren Einkommens. Da können sich viele Familien noch gar nicht so sicher sein, denn der Einkommensrechner für Corona-Urlaub werde erst noch auf den Weg gebracht. Warum der Corona-Urlaub trotzdem schon in großer Aktion startet? Am Sonntag sind Wahlen und die Union gilt aktuell nicht gerade als familienfreundliche Partei – zumindest nicht für jene mit geringem Einkommen. Das Image könnte sich mit dem Corona-Urlaub noch drehen.

„Ich würde gerne Corona-Urlaub buchen – wie geht das bei Ihnen?“, frage ich bei mehreren Ferienstätten im Nord-Osten des Landes. Immer wieder heißt es: „Tja, gute Frage! Das wissen wir selbst noch nicht so recht“, viele Ferienstätten sind noch gar nicht auf die vielen Anrufe vorbereitet, denn sie bieten erst ab 2022 staatlich geförderte Zimmer und Ferienhäuser an. Das ist aber nirgends vermerkt, man muss sich durchtelefonieren. Alle sagen, ich solle Mitte Oktober noch mal anrufen und dann für kommendes Jahr buchen.

Auf Usedom gibt es die Familienferienstätte St. Otto in Zinnowitz vom Erzbistum Berlin – alle Plätze sind bereits ausgebucht, das steht dick und rot auf der Webseite. Am Ende schreibe ich noch dem Familienferiendorf Rerik von der AWO (Arbeiterwohlfahrt) eine E-Mail. Sie melden sich bald zurück, heißt es. Es gebe nämlich sehr viele Anfragen.

Laut Familienministerium kommen in den nächsten Wochen weitere Ferienorte hinzu, also kein Grund zur Panik? Theoretisch könnten im nächsten Jahr alle Familien einen Urlaub bekommen, aber viele von ihnen haben schulpflichtige Kinder und sind auf die Ferientermine angewiesen. Diese werden also als erstes ausgebucht sein – und manche haben dann wohl einfach Pech gehabt. Für dieses Jahr scheint die Auswahl bisher so überschaubar klein, dass innerhalb weniger Stunden überall dort Plätze weg waren, wo es für 2021 schon welche gab. Ich hatte mir selbst nur 30 Minuten Zeit-Investment für die Suche gegeben. Die sind jetzt weg.

Von Anne Dittmann

Porträt von SOLOMÜTTER Kolumnistin Anne Dittmann