Ich hasse es
Ich hasse es, alleinerziehend zu sein. Ich hasse alles davon. Jeden einzelnen Moment. Und am meisten hasse ich es, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu versuchen das Beste daraus zu machen.
Wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt habe dann, dass sich niemand und zwar wirklich überhaupt niemand für alleinerziehende Frauen und weiblich gelesene Personen interessiert. Klar, ich darf stark sein, inspirierend sein, die gütige Mutter, die sich aufopfernde Märtyrerin, die Überlebenskünstlerin, die auch völlig broke noch ein herzhaftes Mahl für ihre entzückenden Kinder zaubert. Das wird gesehen, beklatscht und nicht selten als Inspirationsporno genutzt, um die eigene, absurde Existenz erträglicher zu machen. Die dankbare Milf darf ich auch sein, wenn ich das möchte. Die, die ach so gütigen cishet Männern jeden Wunsch von den Augen abliest, weil sie ja dankbar sein kann, dass sie mit Kindern überhaupt jemand will. Ich darf all das sein, was mir eben vom Patriarchat zugeschrieben wird. Und das aber bitte leise. Und natürlich mit mehr Stolz als Verstand. Denn um Hilfe bitten oder fordern soll ich nichts.
Schon gar nichts, was alten weißen Männern ihr überpriviligiertes Dasein wenn auch nur minimal erschweren könnte. Ich arbeite bereits ohne das Miteinbeziehen der Care Arbeit, gut 15 Stunden mehr pro Woche als der Vater meiner Kinder für etwa die Hälfte an Lohn und Gehalt. Ich nehme 99% aller Krankheitstage. Unsere Kinder verbringen mindestens 75% ihrer Zeit bei mir. Wenn sie länger als ein Wochenende bei ihrem Vater sind dann, damit ich mal mehr arbeiten kann. Und trotzdem, obwohl ich diejenige bin, die da ist, diejenigen die ihre Verantwortung ernst nimmt und übernimmt, werde ich beschämt. Ich werde nicht als Frau mit Kindern gesehen, sondern als gescheiterter Versuch, Familie zu leben. Ich werde nicht als die gesehen, die geblieben ist, sondern als die, die von einem Mann verlassen wurde. Nicht als die, die mehr wollte, etwas anderes wollte, sondern als die, die nicht gut genug war. Und ich hasse alles daran. Ja, ich kann mich weiterbilden, studieren wollen.
Nur muss ich dann eben bereit sein, für jeden Meter vorwärts fünf Mal so viele Schritte aufzuwenden wie eigentlich nötig. Ich habe nie die Möglichkeit großartig Geld beiseite zu legen und weiß schon heute, mit 30 Jahren, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich später unter Altersarmut leiden werde verdammt hoch ist. Und jeder Schritt hin zu einem Leben, das mein Leben ist, das meinen Bedürfnisse entspricht, ist ein radikaler Akt der dieses Risiko um ein Vielfaches erhöht. Ich hab das nun dennoch getan. Und meine feste Lohnarbeitsstelle gekündigt, um die Möglichkeit zu haben, mein Studium doch noch abschließen zu können. Das bedeutet eine ganze Menge Unsicherheit und noch weniger Geld. Das bedeutet noch mehr Verzicht und noch mehr nötiges Durchsetzungsvermögen. Und die Hoffnung auf ein bisschen Glück und darauf, dass es vereinzelt Menschen gibt, denen bewusst ist wie viel patriarchaler Gewalt, wie vielen Machtstrukturen vor allem nicht weiße, alleinerziehende Frauen und weiblich gelesene Personen schutzlos ausgesetzt sind. Mir ist bewusst, dass ich Privilegien genieße, die anderen alleinerziehenden Frauen und weiblich gelesenen Personen verwehrt bleiben. Ich weiß, dass es einem Zusammenspiel aus einigen Privilegien zu verdanken ist, dass ich überhaupt die Möglichkeit habe so hart an meinem Traum zu arbeiten.
Meine Situation ist trotzdem ziemlich ätzend. Und an der Stelle gibt es keine Pointe, die diesen Text für nicht betroffene Menschen sanfter enden lassen könnte. Ich hasse es, alleinerziehend zu sein. Ich hasse alles davon. Jeden einzelnen Moment. Und am meisten hasse ich es, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu versuchen das Beste daraus zu machen. Am allermeisten würde ich nämlich tatsächlich mich selbst hassen, wenn ich nicht alles versuchen würde was irgendwie geht um das tun zu können, was ich tun möchte. Und das ist studieren und schreiben und ich sein. Mit Kindern.
Dieser Text ist zuerst auf dem Instagram-Account von Yassamin-Sophia erschienen. Eine Mutter aus unserer tollen Community hat ihn entdeckt und uns geschickt. Wir fanden dieses Meinungsstück so ehrlich und treffend, dass wir die Münchner Autorin sofort gefragt haben, ob wir es auch auf SOLOMÜTTER veröffentlichen dürften.
Danke, Mina, dass Du einverstanden bist!
Von Yassamin-Sophia Boussaoud