Wie Alleinerziehende zur Bundestagswahl 2021 wählen

Meine Wahlbenachrichtigung ist angekommen, am 26. September ist Bundestagswahl. Das Problem ist: Eltern von Kita- und Schulkindern müssen sich ab Herbst auf eine Quarantäne einrichten, denn die Zahl der Corona-Infizierten schießt nach oben während die Impfzahlen seit zwei Monaten beinahe stagnieren. Für Kinder unter 12 Jahren gibt es keine Impfung. Um sich und andere zu schützen müssen sie sich isolieren, in Schule und Hort Masken tragen und sich drei Mal wöchentlich testen. Das bedeutet: Mein Kind wird sich womöglich infizieren und ich werde vielleicht nicht zum Wahllokal gehen können. Um die Wahlunterlagen für die Briefwahl zu beantragen, habe ich also den QR-Code auf meiner Wahlbenachrichtigung gescannt – sicher ist sicher, dauert auch nur eine Minute. Aber wen wählen? Welche Partei vertritt die Interessen von Allein- und Getrennterziehenden sowie Kindern am besten?

Was Allein- und Getrennterziehende und Kinder brauchen

Die Mütterinitiative für Alleinerziehende MIA hat kürzlich auf Twitter eine Umfrage gestartet und hält drei Forderungen zur Bundestagswahl fest: Eine bessere Carearbeitspolitik, die gerichtliche Durchsetzung des Gewaltschutzes vor dem Umgangsrecht und Steuergerechtigkeit für Ein-Eltern-Familien. Der Verband für alleinerziehende Mütter und Väter fordert zuletzt eine Kindergrundsicherung als Stellschraube gegen Kinderarmut.

Tatsächlich hat die Kinderarmut in den letzten zehn Jahren stark zugenommen hat – auf 20,5 Prozent. Das belegt eine aktuelle Studie der Paritätischen Forschungsstelle. Betroffen sind vor allem Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Erhöhungen des Kindergeldes und der Hartz-IV-Sätze, Reformen beim Kinderzuschlag und dem Unterhaltsvorschuss, ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz – all das hat in den vergangenen zehn Jahren nicht geholfen, im Gegenteil. Der Paritätische Gesamtverband fordert daher eine Kindergrundsicherung. Und darüber haben auch die Kanzlerkandidatin und die Kanzlerkandiaten beim TV-Triell am vergangenen Sonntag diskutiert. Während sich Annalena Baerbock (Die Grünen) und Olaf Scholz (SPD) für eine Kindergrundsicherung aussprachen, zeichnete Armin Laschet (CDU) lieber das Bild der arbeitslosen bzw prekär beschäftigten Alleinerziehenden, die ihre Kinder aus der Armut holen könnte, wenn sie nur Lohn- und Care-Arbeit besser organisiert bekäme. Dass Alleinerziehende laut Monitor Familienforschung des Familienministerium bereits mehr arbeiten als Mütter mit Partner*in, öfter an Burnout leiden, belastet genug sind – das spielt offenbar keine Rolle.

Alle Wahlprogramme lesen? Eine Utopie!

Welche Partei hat gute Lösungen? Faire Wahlen kann es eigentlich nur geben, wenn wir uns die Programme aller Parteien durchlesen und entsprechend eine Entscheidung fällen würden – aber das bleibt Utopie. In der Realität schnappe ich alle vier Jahre Aussagen aus Zeitungen, TV-Interviews und Social Media auf, beteilige mich an Diskussionen und Analysen und fälle dann eine Bauchentscheidung – auch das ist ein Privileg. Alleinerziehende kümmern sich nach der Arbeit um ihre Kinder und den Haushalt – allein. Sie haben weniger Zeit, um sich zu informieren. Gut für sie: Dieses Jahr gehen mehrere progressive Wahl-o-Mat-Alternativen an den Start: darunter Wahltraut und Progressomaschine. Wahltraut ist schon Ende August aktiv, der Wahl-o-Mat und Progressomaschine sollen Anfang September verfügbar sein.

Genauso wie Progressomaschine ist Wahltraut auf Gerechtigkeit fokussiert. Ich beantworte 32 Fragen, unter anderem nach Gleichstellung als Grundsatz für alle politischen Entscheidungen, gebührenfreien Kitas, nach der konsequenten Umsetzung der Instanbul Konvention, nach legalen Schwangerschaftsabbrüchen und selbstbestimmter Fortpflanzung für Frauen mit Behinderung. Ja, ja, ja – ich beantworte alle Fragen mit Ja. Gerechtigkeit und Selbstbestimmung sind auch bei meiner Wahlentscheidung im Fokus. Das Ergebnis: 100 Prozent Übereinstimmung mit Die Linke, 98 Prozent mit Die Grünen und 97 Prozent mit der SPD – letztere sind nicht für einen kostenlosen Zugang zu Periodenprodukten für alle Menschen. Dann werden nur noch FDP und CDU gelistet, mit 58 und 41 Prozent Übereinstimmung.

Es sollte einen Wahl-o-Mat für Kinderrechte geben

In Bezug auf Alleinerziehende fühle ich mich immer noch nicht genug informiert. Es sollte eine Wahl-o-Mat-Alternative mit dem Fokus auf Kinderrechte geben. Damit wären auch elterliche Bedürfnisse abgedeckt, denn wenn es Eltern nicht gut geht, kann es auch Kindern nicht gut gehen und umgekehrt. Dieses Jahr muss ich aber doch in die Wahlprogramme schauen:

Kinderrechte

Die Union und auch die FDP erwähnen weder das Thema Kinderarmut, noch Kinderrechte in ihren Wahlprogrammen und bieten auch keine Vorschläge für eine Kindergrundsicherung. Die SPD hingegen will eine Kindergrundsicherung, die vor allem Familien mit geringem Einkommen helfen soll. Sie wird je nach Einkommen gestaffelt als Kindergeld ausgezahlt. Die Partei nennt noch keinen Maximalbetrag, aber garantiert Auszahlungen zwischen 250 Euro und mindestens 500 Euro pro Kind. Hinzu kommt eine verbesserte Infrastruktur, wie etwa „gute und beitragsfreie“ Kitas und kostenloser Nahverkehr.

Auch Die Grünen wollen Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag und Bedarfe für Bildung und Teilhabe in eine zusammenfassende Kindergrundsicherung überführen. Es soll einen festen Garantie-Betrag geben – das ist dann ein erhöhtes Kindergeld – und einen GarantiePlus-Betrag, sodass niedrige elterliche Einkommen kompensiert werden. Auch Die Linke sagt Ja zur Kindergrundsicherung: Alle Kinder sollen laut Wahlprogramm ein Kindergeld von 328 Euro bekommen, bei niedrigem Einkommen der Eltern wird es bis auf 630 Euro angehoben. Und: Alle Eltern sollen zudem einen besonderen Kündigungsschutz bis zum sechsten Geburtstag des Kindes bekommen sowie Alleinerziehende günstigen Wohnraum.

Kinderrechte ins Grundgesetz? Das fordern sowohl Die Grünen als auch Die Linke. Die AfD erklärt explizit, dass sie keine gesonderten Kinderrechte im Grundgesetz sehen will.

Steuergerechtigkeit

Die CDU will den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende perspektivisch auf 5000 Euro erhöhen. Die Grünen halten dagegen: Statt eines steuerlichen Entlastungsbetrages, der Spitzenverdiener*innen unter den Alleinerziehenden privilegiert, will die Partei für alle die gleiche Steuergutschrift festlegen – die Höhe nennen die Grünen nicht. Auch die FDP ist für Steuergutschriften offen.

Und das Ehegattensplitting? Die CDU will es beibehalten und es in ein Kindersplitting umwandeln, von dem vor allem die Mittelschicht profitieren soll. Die SPD und Die Linke will es zugunsten der Kindergrundsicherung abschaffen, während Die Grünen es als Variante neben der Kindergrundsicherung beibehalten wollen. AfD und FDP äußern sich zum Ehegattensplitting gar nicht.

Sorgearbeit

Nur SPD und Die Linke erwähnen explizit Anpassungen beim Elterngeld für Alleinerziehende: Die SPD will Alleinerziehenden nach dem ersten Babyjahr flexibel 10 Monate ElterngeldPlus zahlen – mindestens 200, höchstens 900 Euro bis maximal zum achten Geburtstag des Kindes. Die Linke will Alleinerziehende 24 Monate Elterngeldanspruch gewähren, die FDP fordert für Alleinerziehende 15 Monate.

CDU und AfD enthalten sich zum Thema Elternzeit, aber erstere Partei will das Unterhalts-, Sorge- und Umgangsrecht anpassen, um Väter stärker einzubeziehen. Die AfD fordert das Wechselmodell als Leitbild – ebenso die FDP, die zusätzlich das Umgangsrecht von Großeltern stärken will. Die AfD fordert zudem das automatische Sorgerecht für Väter ab der Geburt.

Ein anderer Ansatz bei Die Grünen: Sie wollen getrennt erziehende Eltern stärken, indem sie bei Mehrkosten für Betreuung und Umgang finanziell unterstützt werden. Gleichzeitig fordern Die Grünen ebenso wie Die Linke: Sorge- und Umgangsrecht sollen weiterhin individuell nach der Trennung der Eltern geklärt werden – das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen.

Gewaltschutz

Die Linke stellt als einzige Partei explizit fest: Gewaltschutz muss im Sorgerechtsstreit vor dem Umgangsrecht durchgesetzt werden.

Zwar kommt Die Linke als einzige Partei explizit allen Forderungen von Alleinerziehendenverbänden nach, aber auch die SPD und Die Grünen stehen nicht schlecht da – vor allem steht letztere Partei für eine ökologische Zukunft, die für alle Kinder wichtig ist. Bleibt die Frage: Soll ich lieber die Partei wählen, die Alleinerziehende am meisten stärken will oder lieber eine etwas weniger engagierte Partei, die aber dafür gute Chancen aufs Regieren hat? Ich habe noch ein paar Tage Zeit, um mich zu entscheiden. 

Von Anne Dittmann

Porträt von SOLOMÜTTER Kolumnistin Anne Dittmann

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