„Ich darf mein Kind nicht beschützen“
Esther (26) wurde von ihrem Ex vergewaltigt. Das gemeinsame Kind lebt jetzt beim Vater
In unserer Serie „Kindeswohl“ protokolliert Anne Dittmann die Erlebnisse von Müttern, die sich von einem gewalttätigen Ex-Partner trennen und versuchen sich und ihre Kinder zu schützen. Warum? Weil wir in Deutschland trotz Istanbul Konvention immer noch ein Problem mit Gewalt gegen Frauen haben. Insbesondere Trennungen sind ein Risikofaktor für Frauen. Und laut einem Alternativbericht des Bündnisses Istanbul Konvention sind Polizeibehörden, Gerichte und Jugendamt nicht zum Thema partnerschaftliche Gewalt geschult. Das führt dazu, dass sich die partnerschaftliche Gewalt in institutionelle Gewalt übersetzt, sobald gewaltbetroffene Mütter sich trennen. Denn: Institutionen stellen immer wieder keinen Gewaltschutz für Frauen und Kinder, sondern verhandeln stattdessen das Umgangsrecht der Täter – alles für das Kindeswohl.
TW: Gewalt, Misshandlung, Vergewaltigung
Ich darf meinen Sohn zwei Stunden pro Woche sehen. Jeden Mittwoch in einem Zimmer beim Jugendamt. Ich darf unter den Augen der Umgangsbegleiterin beschreiben, was er gerade macht: „Jetzt nimmst du einen roten Baustein“. Ich darf meinen Sohn nichts fragen, denn das würde ihn in einen Loyalitätskonflikt bringen, meint das Jugendamt. Ich weiß nicht, wie es im Kindergarten läuft und auch nichts darüber, wie er sich entwickelt oder ob es ihm gut geht. „Jetzt stellst du ihn auf den blauen Baustein.“ Und ich soll auch nichts erzählen. Nichts von Zuhause, nichts von seinem kleinen Halbbruder, seiner geliebten Tante, seiner Oma oder seinem Stiefvater. „Der Baustein bleibt stehen. Gut gemacht!“ Ich sehne mich nach Normalität. Ich will mit meinem Sohn einkaufen gehen, auf den Spielplatz oder zum Schwimmen.
Aber wir sind weit weg von normal. Nicht einmal die Zeugung meines Kindes war normal: Kurz nachdem ich Richard (Name geändert) 2016 geheiratet hatte zwang er mich regelmäßig zum Geschlechtsverkehr, acht Wochen lang alle zwei Tage. Er wollte, dass ich schwanger werde – ich hatte gesagt, dass ich noch warten will. Es war nicht das erste Mal, dass er mich in unserer Beziehung missbrauchte.
„Ohne mich bist du nichts, ohne mich hast du nichts, ohne mich kannst du nichts“
Diese drei Sätze hatte er mir immer eingebläut. Ich kannte es nicht anders, auch in meiner Kindheit wurde ich abgewertet. Für mich war dieses Verhalten normal, für mich war das Liebe. Ich denke, Richard kommt aus einem ähnlichen Haushalt: Ich war 15 und er 17 Jahre alt als wir uns beim Tanzen kennenlernten und er mich kurz darauf seiner Mutter vorstellte: „Sie müssen wir aber noch erziehen, Frauen in diesem Haushalt tragen keine kurzen Haare“, so hatte sie mich begrüßt. Richard war sehr eifersüchtig und versuchte mich zu kontrollieren: Wenn ihm meine Kleidung nicht gefiel, dann musste ich mich umziehen. Mal waren meine Röcke zu kurz und mal zu lang.
Und plötzlich war Richard wieder sehr liebevoll und aufmerksam, außerdem teilten wir gemeinsame Hobbies wie das Tanzen, Tauchen und Motorrad fahren. Mit Beginn der Ehe waren auch die guten Momente vorbei. Es war als hätte sich plötzlich ein Schalter bei Richard umgelegt. Er sagte, dass ich nur ein Parasit wäre, ich würde mich einnisten und durchfressen – und das, obwohl ich im Gegensatz zu ihm arbeitete und alles bezahlte.
„Wann immer er Sex wollte nahm er sich meinen Körper“
Nachdem unser Sohn geboren wurde, nutzte Richard seine Elternzeit, um mit einem Freund in den Urlaub zu fahren, wann immer er Sex wollte nahm er sich meinen Körper. Den Haushalt, unser Baby und unseren Hund versorgte ich alleine. Freund*innen hatte ich schon längst nicht mehr. Wenn man sich nicht mehr treffen kann oder spontan absagt, dann fragen sie irgendwann nicht mehr.
Als unser Sohn zehn Monate alt war schaffte ich es endlich, mich von Richard zu trennen. Einer seiner Freunde hatte mir Unterschlupf angeboten nachdem er Richards Verhalten erlebt und mich gefragt hatte, ob alles okay sei. Aus sicherem Abstand hatte ich darüber nachgedacht, die Vergewaltigungen anzuzeigen. Aber wie hätte das ausgesehen? Ich hätte das Klischée einer rachsüchtigen Ex-Frau erfüllt. Eine, die sich Lügen ausdachte, um den Vater ihres Kindes loszuwerden und weiterhin Unterhalt zu kassieren. Ich wollte das Pulverfass nicht zum Explodieren bringen. Ich wollte endlich Ruhe finden.
„Es sind immer die Mütter, die den Vätern etwas anhängen wollen.“
Richard konnte unseren Sohn zwei Tage pro Woche sehen, das hatte das Gericht entschieden. Doch nach sechs Monaten kam unser Sohn immer öfter mit blauen Flecken von seinem Vater zurück, vor allem unter der Windel. Mit meinem Vorwissen über Richard stellte ich mein Kind in der Kinderklinik vor, wo alles dokumentiert wurde. Der Arzt sagte, die Verletzungen sähen nach Gewalteinwirkungen aus. Damit ging ich zum Weißen Ring und bekam einen Anwaltsgutschein, um Anzeige zu erstatten. Ich informierte auch das Jugendamt über mein Vorgehen, die Reaktion der Mitarbeiterin: „Es sind immer die Mütter, die den Vätern etwas anhängen wollen.“
Kurz darauf veränderte sich unser Leben: Richard ging mit unserem Sohn zu einem anderen Kinderarzt, weil er einen Ausschlag am Po hatte, den unser Kinderarzt als Windeldermatitis diagnostiziert hatte. Es stellte sich dann aber heraus, dass es ein HP-Virus war – der kann bei der Geburt übertragen werden, beim gemeinsamen Baden oder auch wenn man ein gemeinsames Handtuch nutzt, es gibt viele Wege. Aber Richard und sein Kinderarzt zeigten es beim Jugendamt an. Kindeswohlgefährdung, der Vorwurf: Mein Partner würde meinen Sohn missbrauchen.
„Ich lag nur noch apathisch im Bett, mir war alles egal“
Das Jugendamt holte ihn sofort aus meiner Obhut und brachte ihn zu seiner Oma väterlicherseits. Dabei war er doch erst 1,5 Jahre alt. Nur er und ich in ein Mutter-Kind-Heim? Dürfte ich nicht. Sein Vater sagte wohl zum Jugendamt: „Es ist mir scheiß egal, wo mein Kind hinkommt und wie es ihm dabei geht, Hauptsache meine Ex-Frau kriegt es nicht.“ Bei jedem normalen Menschen würden dabei alle Alarmglocken schrillen, warum im Jugendamt nicht?
Ich dürfte mein Kind nur noch 1,5 Stunden pro Woche sehen, begleitete Umgänge.
Damals ging ich monatelang immer wieder alles gedanklich durch. Was hätte ich anders machen können? Ich hatte doch immer mein bestes gegeben und keine Möglichkeit, mein Kind zu schützen.
Nach einem Jahr durfte ich mein Kind unbegleitet von der Kita abholen und abends zur Großmutter und seinem Vater zurückbringen. Der war nämlich längst wieder bei seiner Mutter eingezogen. Beim Gericht sagten sie, der würde seinem Kind schon nichts tun. Das machte mich völlig fertig. Ich lag nur noch apathisch im Bett, mir war alles egal. Nur für die Umgänge mit meinem Sohn stand ich auf. Und danach ging ich wieder ins Bett. Auch mein Partner vermisste ihn sehr. Er war ein liebevoller Stiefvater, sodass mein Sohn schon bald Papa zu ihm sagen wollte. Aber das dürfte er nicht und liebhaben dürfte er meinen Partner auch nicht, weil „der Papa ihn nicht mag“, sagte mein Sohn.
Mein Sohn umarmt mich nicht mehr, aus Angst mich zu verlieren
Als mein Sohn vor zwei Jahren aus meiner Obhut genommen wurde, war er noch ein normal entwickeltes, fröhliches, aufgeschlossenes Kind. Jetzt hat er Angst vor allem. Er traut sich nicht, an Menschen vorbeizugehen, ist motorisch zurück entwickelt und sprachverzögert. Er umarmt mich nicht mehr, weil er Angst hat etwas falsch zu machen und dass er mich dann nicht mehr sehen darf. Und ich als seine Mutter kann ihm nicht helfen.
Im Juli kam er wieder mit blauen Flecken zu unserem Umgang – es waren viele, sogar in der Poritze hatte er welche. Daher nahm ich ihn mit zur Jugendschutzambulanz. Der Arzt dokumentierte die Verletzungen, sagte es sähe nach massiver Gewalteinwirkung aus. Dann rief er das Jugendamt an, die ihm sagten, ich hätte „wahnhafte Störungen“, wolle meinen Sohn gegen seinen Vater aufhetzen und sei massiv „bindungintolerant“. Er schickte uns nachhause – würde ich zur Polizei gehen, würde es genauso ablaufen. Und seitdem kann ich mein Kind wieder nur im begleiteten Umgang sehen.
„Man muss sein Kind aufgeben, um nicht durchzudrehen“
Ich kam mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung aus der Ehe mit Richard, aber was danach kam war noch viel schlimmer. Wenn ich nicht wieder Freund*innen hätte, die von außen alles miterleben und meine Wahrnehmung bestätigen, dann würde ich längst denken, dass ich verrückt bin.
Um mich mental zu schützen, musste ich auch mein Kind ein wenig aufgeben. Ich habe ein zweites Kind bekommen und einen Partner und muss diese Familie vor dem Horror, den mein Sohn und ich erleben, irgendwie schützen. Ich will nicht, dass sich mein jüngeres Kind irgendwann fragt, wann er von mir weg muss – denn sein Bruder musste ja auch gehen. Die Hoffnung, meinen Sohn zu mir zurück zu holen, habe ich aufgegeben. Mein Ex-Mann würde sich immer in den Weg stellen.
Esthers Erfahrungen haben sie dazu motiviert, als Teil eines Teams, das die Initiative White Lily Revolution ins Leben gerufen hat, über Gewalt gegen Frauen in Gerichtssälen und anderen Institutionen aufzuklären.
Dieser Artikel wurde ursprünglich für das Magazin „Eigenes Zimmer Mag“ verfasst. Nachdem das Magazin eingestellt wurde, hat Anne Dittmann diese Texte in unser SOLOMÜTTER Magazin überführt.
Von Anne Dittmann