„Der Vater meines Kindes wollte mich fertig machen“
Sarah (32) ging zwei Jahre lang durch einen Sorgerechtsstreit mit ihrem narzisstischen Ex.
In unserer Serie „Kindeswohl“ protokolliert Anne Dittmann die Erlebnisse von Müttern, die sich von einem gewalttätigen Ex-Partner trennen und versuchen sich und ihre Kinder zu schützen. Warum? Weil wir in Deutschland trotz Istanbul Konvention immer noch ein Problem mit Gewalt gegen Frauen haben. Insbesondere Trennungen sind ein Risikofaktor für Frauen. Und laut einem Alternativbericht des Bündnisses Istanbul Konvention sind Polizeibehörden, Gerichte und Jugendamt nicht zum Thema partnerschaftliche Gewalt geschult. Das führt dazu, dass sich die partnerschaftliche Gewalt in institutionelle Gewalt übersetzt, sobald gewaltbetroffene Mütter sich trennen. Denn: Institutionen stellen immer wieder keinen Gewaltschutz für Frauen und Kinder, sondern verhandeln stattdessen das Umgangsrecht der Täter – alles für das Kindeswohl.
TW: Gewalt, Misshandlung, Vergewaltigung
„Du bist ein dreckiges Bonzenmädchen“, stand auf meinem Handy-Display. Eine Nachricht von Armin (alle Namen von der Redaktion geändert). Er schrieb mir von Berlin aus, ich war mit einer Freundin in Australien. Fünf Wochen Urlaub, wir hatten lange im Voraus gebucht. Armin wollte, dass ich den Urlaub absage, weil ich im vierten Monat schwanger war. Aber das Geld hätten wir verloren, außerdem gab meine Frauenärztin grünes Licht und ich hatte mich schon darauf gefreut. Also flog ich. Und er schickte mir schreckliche Nachrichten hinterher, die jedes Gefühl von Freiheit und Ferne in mir erstickten.
Als ich Armin vor drei Jahren erzählte, dass ich schwanger bin, wollte er zunächst nichts damit zu tun haben. Es sei nicht sein Kind und wenn doch, solle ich das erstmal beweisen. Eine klassische Panikreaktion, dachte ich. Wir hatten uns kurz vorher bei einem Promo-Job
kennengelernt, schliefen ein paar Mal miteinander, hielten es ansonsten aber locker. Bei einer Affäre erwartet man voneinander nicht viel, erst recht keinen Nachwuchs. Aber ich wollte das Kind bekommen und Armin beruhigte sich. Ihm gefiel schließlich die Idee von sich selbst als guter Vater. Könnten wir eine Familie sein? Einen Versuch war es doch wert, für unser Kind, dachte ich. Also wurden wir ein Paar. Ich konnte nicht ahnen, was auf mich zukommen würde.
„Ich lebte in einem Wechsel aus Schock und Angst“
Als ich aus dem Urlaub zurückkehrte, fing der Psychoterror richtig an. Ich hatte Armin mein Auto in meiner Abwesenheit ausgeliehen, den Autoschlüssel drückte er einer fremden Person auf der Straße in die Hand, statt ihn in meinen Briefkasten zu werfen. Dann schickte er die Steuerfahndung zu mir, weil ich meine Wohnung während meiner Reise untervermietet hatte. Ich lebte in einem Wechsel aus Schock und Angst. Zumindest bekam ich sowohl eine Steuerrückzahlung als auch meine Autoschlüssel wieder.
Zu Lillys Geburt bezahlte ich Armins Zugticket in meine Stadt, damit er dabei sein konnte. Ich dachte, es könnte auch für Lilly später wichtig werden zu wissen, dass ihr Vater da war. Armin wechselte am ersten Tag ihre Windeln – darin wäre er der allerbeste unter den jungen Vätern im Krankenhaus, sagte er. Danach kümmerte er sich nicht mehr. Je nach Laune war Lilly mal sein Kind, mal nicht.
Der Umgang musste geklärt werden
Als sie ein Jahr alt war, kam ein Schreiben vom Gericht: Armin forderte einen offiziellen Vaterschaftstest. Die Kosten von 1000 Euro musste ich bezahlen. Als dann alles klar war, drängte das Jugendamt: Der Umgang müsse geklärt werden. Mein kleines Kind schutzlos diesem Psychoterror aussetzen? Ich kann mich gegen ihn wehren, aber mein Kind doch nicht. Schon beim Gedanken daran, dass er Lilly bekommen könnte, schnürte sich mir der Hals zu.
„Niemand außer mir sah, dass Armin mittlerweile launenhaft wechselte zwischen Liebesbekundungen an mich und Drohungen, mir die Hells Angels auf den Hals zu hetzen“
Ich schlug der Mitarbeiterin vom Jugendamt einen begleiteten Umgang vor. Sie verstand mein Problem nicht, Lillys Vater wäre doch ein ganz feiner Mann. Ich sagte ihr, dass er regelmäßig kifft und andere Drogen nimmt. Ihre Antwort: „Solange er es nicht vorm Kind konsumiert.“ Ich fühlte mich wie in einer verkehrten Welt. Niemand außer mir sah, dass Armin mittlerweile launenhaft wechselte zwischen Liebesbekundungen an mich und Drohungen, mir die Hells Angels auf den Hals zu hetzen.
Er beantragte im Eilverfahren das alleinige Sorgerecht
Die erste Erleichterung für mich: Ich bekam eine andere Sachbearbeiterin beim Jugendamt, die sich aus eigener Erfahrung mit psychischer Gewalt auskennt. Sie sorgte dafür, dass Armin zunächst nur den begleiteten Umgang bekam. Und dann hatten meine Tochter und ich großes Glück. Als die Mitarbeiterin vom Jugendamt beim Umgang ankündigte, dass sie demnächst Urlaub mache und deswegen den Umgang aussetzen musste, verlor Armin die Kontrolle, zeigte sich aggressiv und laut. Er beantragte im Eilverfahren das alleinige Sorgerecht für Lilly, behauptete, dass meine Familie Waffen hätte und für meine Tochter gefährlich sei.
„Je mehr ich meine Panik verstecken wollte, desto mehr zeigte es mein Körper: Ich bekam schlechte Haut und Panik-Attacken, meine Brust entzündete sich“
Ich stand unter Dauerstrom, im Modus „Kind schützen“. Aber zeigen dürfte ich meine Gefühle nicht, denn beim Familiengericht würden sie alle als Hysterie ausgelegt werden und ich würde als bindungsintolerant und erziehungsunfähig gelten. Ich dürfte auch nicht gegen ihn sein, sonst wäre ich die böse, rachsüchtige Mutter, die dem Vater das Kind vorenthalten will. Ich musste also vorspielen, Armin unterstützen zu wollen – dabei wurde mir speiübel. Und es ging mir immer schlechter. Je mehr ich meine Panik verstecken wollte, desto mehr zeigte es mein Körper: Ich bekam schlechte Haut und Panik-Attacken, meine Brust entzündete sich.
„Er wollte mich fertig machen“
Die Richterin schien anfangs auf Armins Seite zu sein, er hatte gute Karten. Trotzdem beruhigte er sich nicht, schrieb massenhaft Anzeigen gegen mich, das Jugendamt, die Frau vom begleiteten Umgang, die Frauennothilfe, bei der ich mich beraten ließ. Und er forderte Schadensersatz beim Bürgermeister der Stadt, in der ich wohne. Außerdem schickte er Briefe an meine Tochter, in denen er ihr versprach, „all die Nazis umzulegen“ und dass sie sich „keine Sorgen machen“ müsse.
Die Richterin gab ein Gutachten in Auftrag, das vor einem Monat fertiggestellt wurde und hier ankam. Darin steht, dass er so lange das Sorgerecht beantragen wollte, bis ich mit meinen Nerven am Ende sei. Der Gutachter schreibt, Armin müsse eine Therapie machen und der Umgang wird aktuell ausgeschlossen. Dieses Gutachten ist meine Sicherheit. Wenn auch nur für die nächsten zwei Jahre.
Der ganze Prozess hat mich 4500 Euro gekostet. Ich lebe mit 32 Jahren wieder bei meinen Eltern und bezahle die Schulden so schnell wie möglich ab. Aus meinem Leben habe ich ein Versteck gemacht: Unser Garten ist seit kurzem hoch umzäunt, die Kita meiner Tochter weiß, dass sie nur von mir oder meinen Eltern abgeholt werden darf, ich ändere regelmäßig meinen Namen auf Instagram und poste keine sensiblen Informationen über uns. Nicht einmal Urlaubsbilder, denn er könnte in einen Flieger steigen und uns überraschen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich für das Magazin „Eigenes Zimmer Mag“ verfasst. Nachdem das Magazin eingestellt wurde, hat Anne Dittmann diese Texte in unser SOLOMÜTTER Magazin überführt.
Von Anne Dittmann