Die Patchworkfamilie aus Sicht einer Bonusmama

Ich bin Jule (39) und seit guten vier Jahren Partnerin von Marc (inzwischen 45) und damit Bonusmama von Annika (14) und Tommi (11)*.

Bei uns ging damals alles ganz schnell: nach einem Kennenlernen beim Speeddating kamen wir vier Wochen später zusammen. Am folgenden Kinderwochenende hatte ich zwar noch „Zeit für mich“ geplant, doch Marc wollte, dass ich die Kids direkt kennenlerne. Gesagt – getan (und glaubt mir: lange war ich schon nicht mehr so aufgeregt zu einem Kennenlernen gefahren… was erzählt man mit einem Siebenjährigen und einer Zehnjährigen?). Aber alles ist gut gegangen – ich wurde „approved“ und Marc ist vier Monate später bei mir eingezogen.

Inzwischen haben wir schon viel gemeinsam erlebt… gemeinsame Urlaube, gemeinsame Ausflüge und Feste und nach einer Weile auch gemeinsame Schulaufführungen etc. Wir haben gemeinsam geweint und gelacht und inzwischen auch die ein oder andere Teenie-Eskapade durchlebt.

Was allerdings eigentlich konstant „suboptimal“ geblieben ist, ist das Verhältnis zur Kindsmutter. Erklärend muss man sagen, dass ich Marc beim Speeddating kennenlernte als er und die Kindsmutter bereits seit einem halben Jahr getrennt waren und Marc auch nicht mehr zu Hause wohnte. Besser gesagt müsste man eigentlich sagen: die Kindsmutter hatte sich von Marc getrennt. Folglich hatte ich also auch so gar nichts mit der Trennung zu tun.

Nichtsdestotrotz war sie nie sonderlich begeistert – so die Erzählungen der Kinder – von mir zu hören. Ich kann das auch total verstehen, denn es fühlt sich sicherlich schal an, wenn Dein Sohn Tommi nach einem Wochenende bei Papa, wo regelmäßig die Party abgeht und 1000% Bespaßung gefahren wird, nach Hause kommt und erstmal zwei Stunden von Bonusmama Jule erzählt und was die alles Tolles gemacht hat. Aber auch mir geht es als Bonusmama manchmal ähnlich, wenn die Kinder von „damals“ erzählen, als „Papa Mama zum Hochzeitstag rote Rosen im Türkeiurlaub besorgt hatte“ und Annika diese stolz mit überreichen durfte. Ich fühle mich dann wie das 5. Rad am Wagen, das irgendwie nicht dazu gehört. Ein bisschen sind wir vielleicht in gleichen Rollen, wenn es um die Einheit „Papa & die Kinder“ geht. Wir gehören irgendwie nicht dazu: ich in der Vergangenheit und sie in der Gegenwart.

Die ersten anderthalb Jahre kannten die Kindsmutter und ich uns nicht. Hierzu muss man sagen, dass wir über 100 km auseinander wohnen, so dass ein „zufälliges Über-den-Weg laufen“ nicht passieren konnte. Aber irgendwie legten weder sie noch ich sonderlichen Wert darauf, uns gegenseitig kennen zu lernen. Allerdings wurde es immer schwieriger, traurigen Kinderaugen zu erklären, warum ich denn nicht mit zum Auftritt des Schulchores kam? Lustigerweise sehen achtjährige darin übrigens auch gar kein Problem, dass Bonusmutter und leibliche Mutter bei der Schulaufführung aufeinandertreffen könnten.

Irgendwann war es mir zu blöd und ich bat Marc darum, ein kurzes Treffen bei der Kinderübergabe zu initiieren. Im Dunklen, bei 4 Grad Celsius schüttelten wir uns sonntagabends um 19 Uhr dann auf der Straße die Hände und tauschten ein paar Höflichkeiten aus. Summa summarum war alles gut gegangen und ich war erleichtert, dass wir diese „Hürde“ im Patchwork-Zirkus nun dann auch erledigt hatten.

Von da an war es dann also möglich, dass wir bei Schulaufführungen und Fußballspielen in sorgsam ausgewählter Sitzordnung (ich, Marc, Annika, Tommi, Kindsmutter) aufeinandertrafen. Auch bei gemeinsamen Kinobesuchen tauschten wir uns nett aus und ich begann sogar fast, die Kindsmutter ein wenig zu mögen.

Als Tommis Kommunion anstand, lief es sogar richtig gut zwischen uns. Sie kaufte den Kommunionsanzug, wir die Schuhe. Sie wählte den Mittagstisch aus, wir Kaffee & Kuchen. Wir bestellten die Einladungskarten, sie bastelte die Tischdeko. Auf der Kommunionskarte unterschrieben wir drei gemeinsam, da wir auch jeweils 1/3 der Playstation + Betrag X gezahlt hatten. Wir gingen gemeinsam zum Einstimmungsgottesdienst, zur Kommunion und zum Friedensgottesdienst.

Tommi lud auch meine Mutter und die Familie meines Bruders ein – eine Idee, die ich anfangs nicht ganz so grandios fand. Aber die Kindsmutter bestand darauf, da Tommi auch viel Zeit mit meiner Familie verbrachte.

Die Kommunionsfeier war ein wirklich rundum schönes Fest, was ich nie zu hoffen gewagt hatte. Zwar unkte Marc’s Tante noch „die gute Stimmung zwischen den Damen hält nie im Leben.“, aber euphorisiert ob des gelungenen Festes standen wir darüber.

Den darauffolgenden Tag verbrachten wir auch gemeinsam. Da Annika eine allergische Reaktion auf etwas Gegessenes hatte, konnten wir Tommis Wunsch, Lasertag spielen zu gehen, nicht nachkommen. Gemeinsam managten wir, ein Kind zu trösten und das andere ärztlich behandeln zu lassen. Am Ende des Tages war alles gut, wir klopften uns gegenseitig auf die Schultern, wie gut wir die Patchwork-Kommunion hinbekommen hatten und verabschiedeten uns höflich.

Das war dann auch das letzte Mal, dass ich die Kindsmutter gesehen habe.

Fairerweise muss man auch sagen, dass größere Events seitdem nicht stattgefunden haben – vielleicht mit Ausnahme von Tommis Einschulung ins Gymnasium. Hier war allerdings Corona der Grund, dass ich nicht mitkommen durfte.

Im Sommer 2019 bauten wir, als die Kinder die ersten drei Wochen bei ihrer Mutter waren, unsere Wohnung dergestalt um, dass Tommi und Annika von nun an jeweils getrennte Kinderzimmer hatten. Die Freude war bei den Kindern natürlich riesengroß als sie zum Urlaub bei uns antraten und Türen plötzlich woanders waren, als sie es vorher gewesen waren und jedes Kind nun sein eigenes Reich mit neuen Möbeln hatte. (Gut, Tommi, war das zuerst nicht aufgefallen, dass einige Wände woanders standen, aber nun denn…)

Wir hatten uns aus egoistischen Gründen für den Umbau entschieden: die Streitereien und die Beschwerden darüber, dass man zwei Nächte auf einer Schlafcouch neben seinem kleinen Bruder schlafen musste, gingen uns gehörig auf den Zeiger, so dass zwei getrennte Zimmer definitiv der friedvollere Weg für uns waren. Koste es, was es wolle!

Als wir in den Herbstferien mit den Kinder nach New York flogen und just angekommen waren, schrieb uns die Kindsmutter, dass sie nun die Kinderzimmer renovieren würde und die Kinder sich nun per Whatsapp die Wandfarbe aussuchen sollten. Außerdem stellte sie zur Disposition, dass eines der Kinder ihr (größeres) Schlafzimmer haben könnte und die Kinder untereinander klären sollten, wer das größere Zimmer bekommen soll. Der kindserfahrene Leser mag schon ahnen, wie gut das funktionierte… Wir standen also am Times Square mit zwei sich gegenseitig anschreienden Kindern, die sich gegenseitig auflisteten, wer was wann von den Eltern bekommen hatte und wer was wann nicht und weshalb deswegen ein Forderungsanspruch auf das große Elternschlafzimmer bestand.

Marc beendete die Diskussion und teilte der Kindsmutter mit, dass jeder in seinem Zimmer wohnen bleiben würde und Tommi blau wählen würde und Annika peach. Die restlichen Herbstferien war das Gesprächsthema Nr. 1 die neuen Kinderzimmer bei Mama. Die Tatsache, dass wir uns in einer sehr interessanten und vielschichtigen Metropole befanden, interessierte keinen mehr.

Anderthalb Jahres später konnte die Kindsmutter es zudem noch als Argument beim Jugendamt verwenden, dass die Zimmer bei ihr „frischer renoviert“ seien als bei uns (und zudem eh besser – obwohl Marc und ich nicht genau wussten, wie sie das beurteilen wollte).
Uns erschien es wie eine Competition, obwohl es unsererseits nie die Absicht gewesen war, bei uns „bessere“ Kinderzimmer vorzuhalten. Wir wollten einfach nur Ruhe vom Geschwisterstreit.

Eine besondere Herausforderung sollte natürlich auch für uns Corona im Patchwork-Zirkus sein. Die Kinder starteten in den Osterferien 2020 bei uns damit, von zu Hause aus zu lernen. Wir druckten Arbeitspapiere, Aufgaben und Übungen aus und etablierten eine Aufgabenliste, die von allen Beteiligten (Kinder, Marc, ich und Kindsmutter) online eingesehen werden konnte, um einen Überblick zu behalten, was bereits erledigt war und was nicht.

Die Kinder gingen zurück zur Mutter und wir vereinbarten, dass wir morgens um 8 Uhr gemeinsam per Facetime frühstückten, da die Kindsmutter halbtags arbeiten ging. Wir frühstückten mit einem top-fitten 10-jährigen und einer halbtoten 13-jährigen. Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns und wünschten einen schönen Tag, da wir glaubten, die Kinder würden sich nun – wie vereinbart – an die Aufgaben begeben. Weit gefehlt.

Nach drei Wochen hörten wir vom Stress zwischen Kindsmutter und den Kindern, der daraus resultierte, dass Tommi um 1 Uhr mittags noch im Schlafanzug vor der Playstation saß und Annika noch tief und fest schlief. Das Frühstück stand noch immer auf dem Essenstisch und die Aufgaben waren – surprise, surprise! – nicht gemacht.

Es folgte ein Intensiv-Bootcamp bei uns, wo in vier Tagen drei Wochen Aufgaben nachgeholt wurden. Im Anschluss entschieden wir in Abstimmung mit der Kindsmutter, dass Marc und ich die Kinder per Facetime überwachten, da es mir und Marc während unserer Arbeit im Homeoffice möglich war, dies zu tun. Wir wechselten uns dabei immer ab, je nachdem wer gerade einen wichtigen Call o.ä. hatte.

Auch wenn ich in dieser Zeit vielleicht kein sonderlich „wertvoller“ Arbeitnehmer gewesen bin, kann ich aber sagen, dass ich nach 2 Wochen Facetime-Homeschooling definitiv durch war. Leider wurde unserer Bemühung dann damit gedankt, dass die Kindsmutter mir über Marc ausrichten ließ, dass ihr diese „Homeschooling-Freakshow, die Julita so abgezogen habe“ gar nicht gefallen habe und das im nächsten Schuljahr anders laufen würde. In gewisser Weise sah ich das auch so.

Unser Verhältnis ist seitdem sehr unterkühlt und die Tatsache, dass die Kindsmutter die weihnachtliche Umgangswoche per Anwalt durchsetzen wollte, hat auch nicht dazu geführt, dass die Stimmung besser ist.

Nachdem wir von der Kindsmutter mitgeteilt bekommen hatten, dass wir die Kinder die ersten drei Schulferienwochen zum Umgang haben, hatten wir versucht in Coronazeiten etwas Schönes zu buchen.
Gestern haben wir erfahren, dass die Kinder zwei Wochen zum Nachholunterricht in die Schule gehen werden (Ole! Jetzt geht wieder Präsenz!) und sie anschließend gemeinsam auf Mutter-Kind-Kur gehen. Die letzten fünf Tage der Schulferien sollten die Kinder dann mit ihren Freunden verbringen, so dass für uns genau null Tage Sommerferien mit den Kindern übrigbleiben.

Wir sitzen manchmal ratlos vor den Geschehnissen und wissen gar nicht mehr, wie wir uns verhalten sollen. Unsere Absicht ist es lediglich, dass es den Kindern bestmöglich geht.
Zu keiner Zeit streben wir einen Vergleich an, es besser machen zu wollen als die Kindsmutter oder gar die Kinder wegnehmen zu wollen. Auch wenn es für die Kindsmutter manchmal so aussehen mag.

Insbesondere ich als Bonusmutter sitze gefühlt häufig zwischen den Stühlen.

Ich vermute, dass jede Kindsmutter für ihre Kinder wünscht, dass es den Kindern an den Umgangswochenenden bei Papa gut geht und dass Papa sich eine „ordentliche“ Frau ausgesucht hat. Vermutlich wäre es natürlich lustiger, über eine „blöde Schlampe“ zu lästern, aber tief im Inneren – so vermute ich – möchte man es doch nicht, dass die Kinder sich (vor allen Dingen über Jahre) in einer etwas grenzwertigen Umgebung aufhalten.

Jetzt kommt es natürlich so, dass diese „ordentliche“ Frau, wenn sie was auf sich hält, sich um die Kinder kümmert, denn ganz ehrlich: das würde jede Frau tun, die jedes zweite Wochenende zwei Kinder in ihrem Haushalt leben hat. Genauso wie ich mich um Besuch kümmern würde, kümmere ich mich auch um die Kinder, die ja bekanntermaßen mehr „Input“ benötigen, als ein erwachsener Besuch. Also helfe ich bei den Hausaufgaben, bringe Schuhe-zu-binden bei und klebe Pflaster auf aufgeschlagene Knie. Denn – ganz ehrlich – was sollte ich sonst tun?

Und dass mich die Kinder mögen, zeigt doch nur, dass sie empathische Wesen sind und das ist doch eine gute Sache, oder?

Bin ich oft auch traurig, wenn die Kinder Sonntag abends wieder fahren? Oder vermisse ich sie, wenn sie mal länger nicht da waren? Aber sicher. Natürlich nicht wie eine Mutter, aber eben wie eine Bonusmutter.

Und deswegen mag ich den Begriff der Bonusmutter auch so sehr – denn ich bin etwas, was die Kids als Bonus haben, sprich „on top“ – also zusätzlich. Denn die Mama gibt es schon. Die Mama ist die Mama, bleibt die Mama, wird immer die Mama sein.
Als Bonusmutter werde ich nie, nie, nie auch nur annähernd an den Status der Mutter herankommen und möchte das auch gar nicht.

Ich bin als Bonusmutter eher wie eine „Tante“, die an jedem zweiten Wochenende da ist, mit den Kindern Zeit verbringt, vielleicht auch mal mehr Blödsinn macht, als die Eltern es möglicherweise tun, und den Kindern andere Dinge zeigt als die, die sie von zu Hause kennen. Sind diese Dinge besser? Nein, natürlich nicht. Nur anders.

Und darum, finde ich, geht es doch irgendwie: die Kinder auf das Leben vorzubereiten und ihnen verschiedene Lebensmodelle zu zeigen, damit sie frei entscheiden können, wer sie sein wollen!

Und da bin ich gerne mit dabei!

*Begeisterte Astrid Lindgren Fans erkennen hier direkt, dass es sich nicht um die richtigen Namen meiner Bonuskids handelt.

Die Autorin

Jule bloggt seit 2020 auf www.bonusmutter.de und berichtet über die wöchentlichen Ups and Downs in ihrer Patchworkfamilie.

Von Jule

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