Ring frei
mit Hanna Hansen aus Köln
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Hanna Hansen ist Profiboxerin – und alleinerziehend. Als wir sie vor einiger Zeit in der Presse entdeckt haben, war uns klar: Diese buchstäbliche Powerfrau möchten wir euch vorstellen. Et voilà, hier ist das Interview mit der Zweifach-Mama aus Köln.

Liebe Hanna, die BILD-Zeitung hat vor kurzem getitelt: „Hanna Hansen boxt sich nach oben“ – Warst du denn auch schon mal ganz unten?

Wer war das nicht?! Höhen und Tiefen gehören zum Leben nun mal dazu. Das Schöne an den Tiefschlägen ist ja, man hat die Chance daran zu wachsen. Ich musste Zeit meines Lebens kämpfen und mich durchbeißen, um meine Ziele zu erreichen. Das Leben hat mir nie etwas geschenkt. Ich bin aber sehr dankbar für den steinigen Weg, denn der hat mich zu der Kämpferin gemacht, die ich heute bin. Als Kind war ich sehr schüchtern und unsicher. Ich wurde in der Schule gemobbt. Und jeder, der damit zu tun hat, weiß, was das mit einem Kind macht. Mit meiner Arbeit und meinem Kampfgeist möchte ich andere anstecken. Vor allem möchte ich zeigen, dass aus schüchternen Mädchen, starke junge Frauen werden können, die für sich selbst einstehen und für ihre Träume kämpfen. Als Boxerin natürlich im wahrsten Sinne des Wortes.

Mit gerade mal 19 Jahren habe ich mich entschieden alleine nach Paris zu gehen, um als Model zu arbeiten. Ich wusste gar nicht, was mich erwartet. Ich war erstmal geschockt. Eine harte Schule. Es ging über Monate von Casting zu Casting. Es war alles sehr oberflächlich, und gar nicht gesund für eine junge Seele. Ständig zu hören: zu dick, zu blond, zu Deutsch – sie haben gefühlt immer irgendetwas anderes gefunden. Oder manchmal wurde ich noch nicht mal „angeschaut“ und man sagte direkt „Next Girl“! Degradierung pur! Das war furchtbar. Trotzdem habe ich mich durchgebissen und gute Laufstegjobs für große Designer ergattern, weil ich dachte, das Business ist eben so. Ein großer Trugschluss, weil sich all die Mühe und Entbehrungen keinesfalls ausgezahlt haben. Geld habe ich in dieser Zeit nämlich keines gesehen. Meine damalige Agentur hat mich nämlich komplett ausgenutzt. Was ich erst später festgestellt habe. Ich war einfach zu jung.

Mit null Euro in der Tasche, aber um viele Erfahrungen reicher habe ich mir in Deutschland, neben dem Modeln, ein zweites Standbein als Djane aufgebaut. Und auch das hatte mir keiner zugetraut. Von meinen männlichen Kollegen belächelt habe ich mich auch da durchgebissen. Irgendwann war ich so gut, dass ich überall auf der Welt auflegen durfte. Das war eine großartige Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Aber auch hier musste ich immer hartnäckig bleiben und bei null anfangen.

Wie genau bist du zum Boxen gekommen?

Mit Mitte zwanzig wurde ich das erste Mal schwanger. Zuerst war es ein kleiner Schock, im zweiten Moment aber das größte Glück. Ich habe meine Gigs zurückgeschraubt und nur noch innerhalb Europas aufgelegt. Für mich war es immer schon wichtig unabhängig zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen. In meiner damaligen Beziehung war ich der
Alleinverdiener, könnte man sagen. Ich musste also auch weiterarbeiten. Nach der Geburt meiner ersten Tochter war ich schon sechs Wochen später wieder auf meinem ersten Gig! Gottseidank hat das alles gut funktioniert. Das Wohl meiner Tochter war dabei immer an erster Stelle.

Um nach der Geburt wieder körperlich fit zu werden, ging ich zum Kickboxen. Ich habe diesen Sport vorher nie betrieben und startete wieder bei null! Ich war sehr diszipliniert und wollte immer jeden Tag etwas besser sein, als gestern. Schnell war für mich klar, dass ich auch an Wettkämpfen teilnehmen will. Diese Disziplin und mein Wille brachten den Erfolgen: 5-facher deutscher Meister und schließlich Weltmeister. Kurz nach der Geburt meiner zweiten Tochter, trennten sich mein Partner und ich! Ich war also plötzlich allein mit Säugling und einer 7-jährigen großen Schwester.

Keine einfache Zeit. Ich wollte ja meinen Kindern weiterhin ein sorgenfreies gutes Leben bieten. Zu allem Übel hatte 2020 als eine der ersten auch noch Corona, mit ziemlich schlimmem Verlauf. Nach meiner Genesung fing ich an mein Geld als Kickboxtrainerin zu verdienen. Ich habe aber immer gespürt, dass ich noch nicht am Ende meiner eigenen Karriere war. Und weil mich das Boxen immer schon fasziniert hat, habe ich irgendwann meinen damaligen Nachbarn, Profiboxer und Trainer von Felix Sturm, Maurice Weber, gefragt, ob er mich trainieren würde. So bekam ich meinen ersten Vertrag als Profiboxerin. Hier begann meine Profilaufbahn. Heute, 6 Kämpfe und 6 Siege später und einem Champion Titel in der Tasche, kann ich sagen… richtige Entscheidung!

Warst du immer eine Art Lebenskünstlerin oder hast du auch eine, wie Oma und Opa sagen würden, seriöse Ausbildung?

Tatsächlich habe ich eine Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht. Als ich dann allerdings die Chance bekam, meinen großen Traum vom Modeln in Paris zu verwirklichen, habe ich mich dafür entschieden.

In vielen Presseartikeln wird erwähnt, dass du Mutter von zwei Kindern bist. Es scheint ein relevanter Faktor zu sein. Hast du schon einmal einen sportbezogenen Artikel über männliche Boxer, wie Felix Sturm, gelesen, in dem Details zu seinem Familienleben eingearbeitet wurden? Wie erklärst du dir das?

Das in der Presse erzählt wird, dass ich zweifache alleinerziehende Mama bin, finde ich ehrlich gesagt ganz toll. Ich liebe es, Mama zu sein und bin mega dankbar meinen Job so gestalten zu können, dass ich auch genug Freiraum als Mama habe. Ich finde auch es gehört „erzählt“, dass AUCH eine alleinerziehende Mama, Boxerin sein darf. Das eine Mama stark sein darf und das eine Mama ihren Weg autark gehen darf. Der Kampfsport hat mir so viel beigebracht. Unschätzbare Werte wie Disziplin, Durchhaltevermögen, mentale Stärke, der Wert der Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Trotzdem ist der Weg natürlich auch schwierig. Boxen ist hart und Geld zu verdienen ist als Frau in diesem Business noch schwieriger, als es das als Mann sowieso schon ist. Aber ich stelle ein glückliches Leben ganz klar vor finanziellem Reichtum.

Wie kam es dazu, dass du alleinerziehend bist?

Naja, wie kommt es dazu, dass man alleinerziehend ist. Man trennt sich. Manchmal ist es besser, glücklich getrennt zu sein. Als unglücklich zusammen. Die genauen Gründe meiner Trennung bleiben, auf Rücksicht zu meinen Kindern, allerdings privat. Ich hoffe, das versteht ihr.

Alleinerziehend und Profisportlerin. Wie findest du die Zeit für dein Training?

Profisportlerin oder nicht. Alleinerziehende haben es grundsätzlich nicht leicht. Es fühlt sich oft so an, als würde man in der politischen Wahrnehmung nicht „gesehen“ werden. Eine familienfreundliche Politik ist schon gut, eine kinderfreundliche Politik wäre besser. Familien haben andere Bedürfnisse und Nöte als Single-Haushalte. Alleinerziehende Eltern sind da oft nicht berücksichtigt. Denn unsere Bedürfnisse, finde ich, unterschieden sich noch einmal in vielerlei Hinsicht. Zumindest ist das meine subjektive Wahrnehmung. Angefangen beim Verständnis füreinander, stellt einen die Bürokratie in Deutschland manchmal für besondere Herausforderungen. Stichwort: Kinderbetreuung für arbeitende Alleinerziehende. Zeit mit den Kindern ist das höchste Gut. Man muss ja schließlich alles auf einmal rocken und das ohne die alltägliche Unterstützung des Partners – von Einkauf, Haushalt, Arbeit, Behördengängen, KFZ-Werkstattbesuche, etc. – da muss man Abstriche machen, sonst würde das gar nicht funktionieren.

Mein Leben dreht sich ausschließlich um meine Kinder und meinen Beruf, den Sport. Das war‘s. Treffen mit Freunden, Clubbesuche, Essengehen, Kino, andere Hobbies – all das mache ich nicht oder nur äußerst selten. Ich trinke keinen Alkohol und esse sehr gesund! Mein Alltag ist komplett durchorganisiert. Ich gehe abends um 21 Uhr ins Bett und stehe morgen um 6 Uhr auf. Dann geht’s los: Kinder in die Kita, Training, danach Termine des alltäglichen Lebens, Termine zur Regeneration, wie zum Beispiel Kältekammer oder Physiotherapie, dann oft noch mal Training. Nachmittags startet dann meine Quality-Time mit den Kids. Die mir das Kostbarste ist. Zu guter letzt noch Haushalt, Essen, Kinder ins Bett bringen… und ab 21 Uhr schlafen. Es ist alles eine Frage der Organisation.

Hast du auch manchmal Geldsorgen oder andere Struggles, die sich durch deinen Single Mom Status ergeben?

Man verdient als Profisportlerin leider nicht viel. Es sei denn man heißt Roger Federer oder ist im Nationalteam des DFB – und männlich. Da gibt es immer noch ein extremes Gefälle zwischen männlichen und weiblichen Sportlern. Ich persönlich bin niemand, der viel benötigt, um glücklich sein. Ich definiere Glück einfach anders.

Gerade habe ich zusammen mit meiner Community auf Instagram und Dr. Sahin Help für einen Wasserbrunnen gesammelt: 3000 Euro sind zusammengekommen. Der erste „Hanna Hansen Community“-Brunnen wurde im Oktober 2022 in Uganda in Betrieb genommen. Das sind Dinge für mich, die von Wert sind.

Was sagen deine Kids zu ihrer boxenden Mama?

Meine Kinder mögen das was ich tue, vor allem die Kleine liebt es total auch mal im Gym zu sein, wenn ich zum Beispiel Krafttraining habe, darf sie manchmal mit. Sie fühlt sich dort sehr zu Hause. Ich habe das große Glück, dass ganze Team sehr liebenswert und kinderfreundlich ist. Die Coaches haben alle selber Kinder, Felix hat selber Kinder. Zum Sparring dürfen sie aber nicht mit. Auch bei Kämpfen möchte ich das noch nicht. Wenn die Große aber mal alt genug ist und Lust hat, kann ich es gar nicht abwarten, dass sie mich anfeuert.

Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die dich auf deinem Weg supporten? Und falls ja, wie?

Ohne den Support von wunderbaren Menschen in meinem Umfeld, würde ich manchmal nicht wissen, wie ich ein Problem lösen soll. Wir kennen das alle. Es passiert immer etwas Unerwartetes, gerade in der Corona Zeit ist Improvisation das Maß aller Dinge. Ich habe ein paar tolle Freunde, die immer für mich das sind, die mal babysitten, wenn es nicht anders möglich ist. Ich habe Eltern, die mich unterstützen. Ich habe gelernt, es läuft immer irgendwie. Früher wollte ich zum Beispiel nie nach Hilfe fragen, das mache ich jetzt, denn ohne geht’s einfach nicht!

Was wünscht du dir für die kommenden Jahre und welche Ziele möchtest du in naher Zukunft sportlich erreichen?

Im Dezember werde ich meinen Titel verteidigen. Dann möchte ich nächstes Jahr gerne um die Weltmeisterschaft Boxen. All or Nothing – meine Devise!

Hast du einen „Winner-Tipp“ für unsere Community? Faust in der Tasche machen oder mit offenem Visier zu jedem Kampf bereit sein?

„Feeling“ ist wichtig – das Gespür für den richtigen Moment. Wie im Boxen. Im Leben ist es manchmal wertvoller zu schweigen, in anderen Situationen sollte man jedoch auch geradestehen und für sich und seine Liebsten einstehen! Man muss, wie bei allem, die richtige Balance finden.

Danke, liebe Hanna, für dieses tolle und ehrliche Gespräch. Wir drücken dir für Dezember ganz fest die Daumen!

 

 

Dieses Interview führte Sara Buschmann. Sara hat SOLOMÜTTER im Jahr 2020 gegründet und ist seit Ende 2018 alleinerziehend.